26. Juli 2019

Annette Schorbs außergewöhnliche Liebe zu Deutsch-Weißkirch und Siebenbürgen

Als die Deutsche Annette Schorb sich entschloss, ein Buch über ihre in Siebenbürgen verbrachten Jahre zu schreiben, wusste sie noch nicht, dass es viel mehr sein würde als ein einfaches Erinnerungsbuch. Es wurde zu einer Chronik, einem Sozialbericht, einem Reiseführer und nicht zuletzt zu einer Hommage an eine einzigartige siebenbürgische Ortschaft. Durch die Distanz zu den Dingen, ihre Wahrheitsliebe und Zuneigung ist es ihr gelungen ein persönliches Buch zu schreiben, das im Vergleich mit anderen Heimatbüchern über Siebenbürgen dank seiner Objektivität aus der Reihe fällt.
Ihre Erinnerungen beginnen mit der turbulenten Zeit nach der Wende. Als Zuwanderin aus Deutschland, die ihre große Liebe zu Siebenbürgen zufällig entdeckte und sich in einem abgelegenen Dörflein mit ihrem Mann niederließ, nahm sie die Gegebenheiten so auf, wie sie sie vorgefunden hatte, und versuchte das Beste daraus zu machen. Sie kaufte ein altes Haus und machte es bewohnbar, legte sich einen Garten an, lauschte dem Vogelgezwitscher, sie wanderte und ritt durch eine herrliche Landschaft, von der sie schon lange geträumt hatte, und genoss den endlosen Sternenhimmel, wie es ihn anderswo kaum noch gab.

Aber der Alltag hatte mehrere Gesichter. Im ehemals sächsischen Dorf waren die Hauptbewohner nun Roma, hierzulande Zigeuner genannt. Wie geht man mit ihnen um, wie wird man der ständigen Bettelei Herr? Zwar tauchten die ersten Ausländer mit Hilfsgütern auf, aber war das die Lösung? Damals lernte Annette Schorb die Deutschen Maria und Harald Riese kennen, die mit Sockenstricken einen Anfang wagten: Socken stricken für Geld und diese in Deutschland verkaufen! Die Frauen mussten organisiert und Vertrauen aufgebaut werden, der Frauenverein „Viscri startet“ war das Ergebnis, nachdem die Herstellung von Filzpantoffeln hinzugekommen war. Das im Kommunismus zerstörte Gemeinwesen begann sich mit viel Mühe langsam wieder einzupendeln. Vom Gewinn wurde eine Suppenküche für arme Kinder eingerichtet und Lernhilfe eingeführt, der Frauenverein kaufte sich ein Haus und wurde immer aktiver. Natürlich gab es Reinfälle, aber man lernte mit ihnen umzugehen.
Inzwischen kam die beeindruckende mittelalterliche Kirchenburg der Siebenbürger Sachsen auf dem Hügel inmitten des malerischen Dorfes endlich zu ihrem Recht! Sie gelangte auf die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO, Touristen entdeckten das sächsische Kleinod inmitten einer unzerstörten Landschaft und kamen immer öfter. Die letzten Sachsen krempelten die Ärmel hoch, empfingen die Gäste gebührend, organisierten Führungen und Ausstellungen, die ersten Gästehäuser wurden eröffnet. Als der englische Thronfolger Prinz Charles sich hier ein einfaches Bauernhaus kaufte, als der unter seiner Schirmherrschaft stehende Eminescu-Trust seine Tätigkeit aufnahm, wurde das Dorf allbekannt. Die verwahrlosten Häuser wurden hergerichtet, das traditionelle Handwerk wiederbelebt, eine Ziegelbrennerei eröffnet, alles sollte wie von alters her erhalten und dem Modernisierungsprozess ein Riegel vorgeschoben werden. Inzwischen war auch eine belgische Hilfsorganisation am Werk, um den Lebensstandard der verarmten Bevölkerung zu verbessern. Diese organisierte eine Sanitätsstation für die fünf Dörfer der Umgebung, Kranke, Kinder und Alte wurden betreut. Die Bodenrückgabe entwickelte sich zu einem harten Kampf mit den staatlichen Behörden. Wie sichert man sich eine Viehweide, wenn der Bürgermeister dagegen ist? Geduld und Ausdauer siegten am Ende, Kühe, Schafe und Pferde werden wieder tagtäglich auf die nahe Weide getrieben. Doch hat die EU immer richtig gehandelt, wenn sie Verordnungen verabschiedete, die beispielsweise die Schafzucht kaputt machten?

Annette Schorb kannte sich mit Gesetzen aus, sie entdeckte manches, was anders hätte entschieden werden sollen. Sie half, wo sie konnte, aber das war nicht alles. Sie nahm aktiv am Dorfleben teil, lernte die einheimische Küche und Bräuche aller Art kennen, erlebte Hochzeiten und Begräbnisse, fand viel Neues und Unbekanntes. Denn sie war gekommen, um Land und Leute kennenzulernen, und dieses Land wartete auf sie mit einmaligen Blumenwiesen, uralten Wäldern und Pflanzen und Tieren, die in der westlichen Welt kaum noch zu finden sind. Im Garten zwitscherten Vögel aller Art, der Storch zog seine Runden, im nahen Wald hausten Bären und Wölfe, ihre Spuren waren oft zu finden. In Siebenbürgen haben Mensch und Tier schon immer nebeneinander gelebt, belehrte sie ein alter Schäfer. Nur wenige Kilometer weiter begann ein malerisches Hügelland, das bald in die Karpatenwelt überging. Herden und Hirten, heubeladene Pferdewagen, Mäher und Bauern gingen gemächlich ihrer Arbeit nach, waren gern zu einem Plausch bereit. Um Bretter ging es in die Harghita hoch, in Poiana Mărului wartete eine alte Bäuerin mit Sauermilch auf sie, über Passhöhen fuhr man durch einsame Wälder hinauf in die Gebirgswelt. Sie fuhren bis in die Bistritzer Gegend und amüsierten sich neben dem Dracula-Hotel über das nächtliche Treiben. In der Maramuresch lockte eine Schmalspurbahn, das Wassertal hinaufzufahren.

Annette Schorb kennt und liebt dieses Land ungemein. Sie hat erkannt, dass der Tourismus eine Überlebensquelle darstellt, wenn er nicht ausufert und mehr zerstört als er einbringt. Inzwischen hat sie Nachahmer gefunden. Wer einmal hier war, kommt gern wieder. Auch in das reizende Dörflein, in dem sie heimisch geworden ist. Wer das Buch liest, wird den Ort sofort erkennen oder sich freuen, ihn endlich zu entdecken!

Christa Richter

Annette Schorb: „Ein Dorf wie nirgends anderswo“. Unsere 22 Jahre in Viscri/Deutsch-Weißkirch in Siebenbürgen. Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2019, 125 Seiten, 14,00 Euro, ISBN 978-3-946954514.

Schlagwörter: Rezension, Deutsch-Weißkirch, Dorfleben, Alltag

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