26. Oktober 2020

Der Natur ganz nah: Sieglinde Bottesch stellt „ERD-REICH“ in Ingolstadt aus

Noch bis zum 8. November kann man die Ausstellung „ERD-REICH“ in Ingolstadt besuchen, in der die Künstlerin Sieglinde Bottesch Arbeiten auf Papier und Objekte präsentiert. Es ist ihre sechste Einzelausstellung in der Stadt an der Donau, wo sie seit 1987 lebt.
Sieglinde Bottesch „Fragment“ I., 2018, Tusche / ...
Sieglinde Bottesch „Fragment“ I., 2018, Tusche / Pinsel auf Papier, 40 x 40 cm
Bei der Führung am 9. Oktober herrschte beinahe familiäre Atmos­phäre, einige Besucher duzen die Künstlerin, man spricht über vergangene Ausstellungen von ihr. Siebenbürger Sachsen sind es kaum, es sind vor allem hiesige Kunstfreunde, die in die städtische Galerie im Theater gekommen sind. Und doch ist Siebenbürgen sehr präsent, als Sieglinde Bottesch spricht: Rund vierzig Jahre sei es her, dass sich das Bild von Säckchen voller Samen, die sich an einem Stand auf dem Markt in Hermannstadt aneinander reihten, in ihr Gedächtnis eingebrannt hat. Damals schon nähte sie Leinensäckchen, füllte sie mit Samen und zeichnete. 2006 dann holte sie das Thema wieder ein, jedoch in anderer Gestalt: Zwölf in Wachs getauchte Säckchen aus Chinapapier sind es nun, die in Ingolstadt stehen. Sie sind ebenfalls mit Samen gefüllt, doch sind diese nicht vom Markt, sondern aus Botteschs eigener „Werkstatt“. Wochenlang hat sie in meditativer Arbeit Korn um Korn per Hand aus Ton geformt. In sich versunken und ohne eine Regung der Ungeduld hat sie beobachtet, wie sich die Säckchen langsam füllten. Das Ergebnis ist verblüffend. Nicht selten passiert es, dass Besucher, die sich unbeobachtet glauben, die Hand hinein gleiten lassen wollen.

Es ist aber nicht nur dieses Bild des Bauernmarktes, das Sieglinde Bottesch im Hinterkopf hatte. In ihren Ausführungen verweist sie auch auf den rumänischen Lyriker Lucian Blaga, der in einem Gedicht Samen als schlafende Götter bezeichnet hat, die geweckt werden, wenn sie in die Erde gesteckt werden und dann austreiben. Diese „Erde“ scheint in der Ausstellung in den unterschiedlichsten Bedeutungen des Wortes auf. Der eine denkt dabei vielleicht an den Erd-Boden, der andere an die Welt und ihre vielfältigen Bewohner. In jedem Fall soll „ERD-REICH“ auch auf den Wert der Natur und der Erde hinweisen, deren Reichtum in Gefahr ist.

Irritiert steht man dann vor den Objekten: Auf welchem Fleckchen unserer Erde kann man solche Dinge finden? Organische Formen und Oberflächen, die an Elfenbein oder Stein erinnern – vielleicht wurden sie an einem fernen Strand angeschwemmt? Doch die Größe und die unbekannten Formen machen stutzig. Es sind keine Gaben der Natur, es ist die Gabe der Künstlerin, die das alles hat entstehen lassen, täuschend echt. In ihren Zeichnungen widmet sich Sieglinde Bottesch einigen pflanzlichen und tierischen Bewohnern der Erde. Mit mal mehr und mal weniger Strichen, mit sparsam eingesetzter Farbe entstehen Blumen und Insekten, voller Bewegung, voller Energie. Die Natur wird, sie wandelt sich, sie vergeht.

Die Ausstellung ist still, dezent, subtil. Je mehr man sieht, desto mehr fragt man sich: Wann habe ich das letzte Mal in Ruhe ein Insekt beobachtet? Wann eine Blume, die sich öffnet? Man kann nicht anders, als Sieglinde Botteschs feine Beobachtungsgabe zu bewundern. So probiere nun auch ich in diesem Herbst eine kleine Achtsamkeitsübung: rausgehen und den Blättern zusehen, wie sie die Farbe wechseln, wie sie verwelken und zu Boden fallen.

Die Ausstellung ist bis zum 8. November in der städtischen Galerie im Theater Ingolstadt, Schlosslände 1, zu sehen. Öffnungszeiten: Donnerstag bis Sonntag, 12.00 bis 18.00 Uhr. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

Dagmar Seck

Schlagwörter: Bottesch, Künstlerin, Ausstellung, Ingolstadt, Ankündigung

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