19. Januar 2021
Festveranstaltung zu Hans Bergels 95. Geburtstag: "Mit der Prägnanz kleistischer Sprachkunst"
Vielfältig sind die Versuche des Menschen, dem Lauf der Zeit kurz Einhalt zu gebieten, festzuhalten durch Besinnung auf das, was unverrückbar bleiben kann, mit unbestrittener Gültigkeit. Jubiläen sind Anlass solchen Rückblicks, Feste der Ehrung und des Dankes an Menschen mit bleibenden Werten ihres Schaffens, Zeugnissen ihrer Zeit. Die Festveranstaltung zu Hans Bergels 95. Geburtstag wurde am 3. Dezember 2020 in der Allerheiligen-Hofkirche in München aufgezeichnet und ist seit dem 18. Dezember auf YouTube unter https://www.youtube.com/watch?v=EmbGjKclb2A abrufbar.

Beeindruckend würdevoll ist der Ort, der den Gast der Veranstaltung empfängt, die Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz, der erste neoklassizistische Bau Europas. So wie die diskreten Lichtspots während der Veranstaltung den lichtgedämpften Raum kunstvoll erhellen – Hans Bergel, den Kunstkenner mit seinen Lieblingsmalern, den Lichtzauberern Rembrandt, Velásquez, Goya dürfte dies sicherlich berührt haben – so werden im Verlauf der Veranstaltung dem Betrachter Höhepunkte zugeführt, die in ihrer dichten Aussage und Suggestivkraft Hans Bergels herausragende Persönlichkeit und sein Werk beleuchten. Festlich erhebend trägt das musikalische Intro in die Veranstaltung. Hans Bergel als Musikkenner und Musiker – er war selbst fünf Jahre Cellist im Kronstädter Operntheater – dürfte die Wahl gefreut haben, denn „Bach ist der Komponist, der mir die letzte Zufluchtsstätte bietet“ (H. Bergel). Als Geschenk für den Jubilar hat Oliver Balazs aus J. S. Bachs „Kunst der Fuge“ (BWV 1080) „Contrapunctus 4“ neu gesetzt, arrangiert, verfremdet im Klang des Saxophons, aber wie bei Bach finden die harmonischen Stimmen gelöst, noch besinnlich tragender zu ihrem harmonischen Dialog.
Professor Dr. Andreas Otto Weber, Leiter des HDO, eröffnet in seiner Begrüßung als Gastgeber der Feier das niveauvolle Festprogramm für „Dr. h.c. Hans Bergel, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Siebenbürger Sachsen“. In seiner Ansprache wird deutlich, dass bei dieser Feier in allem der Bezug zum Geehrten bedacht wurde. So erfährt man, dass auch der festliche Rahmen, die Allerheiligen-Hofkirche der Residenz – im Zweiten Weltkrieg zerstört und dann dergestalt wiederaufgebaut, dass an ihre Zerstörung erinnert wird – dass hier ein Raum als Rahmen gewählt wurde, der an die Wunden der Geschichte erinnert und symbolisch mahnt. Eine Analogie zur Biografie des Geehrten ist offensichtlich, bedenkt man, was Hans Bergel in den Kriegsfolgejahren im fernen Rumänien widerfuhr: Als Zweiundzwanzigjähriger nach Fluchtversuch aus der kommunistischen Diktatur verhaftet, nach Flucht aus dem Gefängnis erneut festgenommen, als Vierunddreißigjähriger im Kronstädter Schriftstellerprozess zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, 1968 endlich, dank der Unterstützung von Günter Grass seine Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland, wo neben seinem schriftstellerischen Schaffen das politische Engagement, aus persönlicher Erfahrung gewachsen, weiterhin gleichermaßen Wort und Feder führt.

Auf Lobreden wurde im Konzept bewusst verzichtet, die Texte und dann vor allem ihr Autor selber im Interview sollten Aufschluss geben. Aber schon die Grußworte per Videobotschaft von Prof. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedler und nationale Minderheiten, werden zur Lob- und Dankesrede auf seinen ebenfalls aus Siebenbürgen stammenden Landsmann Hans Bergel, der neben der „stilistischen Brillanz, Sprachgewalt und Sachkenntnis“ der literarischen Werke einen eminenten Beitrag durch seine politischen Schriften und Reden schafft, „wahrlich ein Brückenbauer zwischen den Nationen im freien, demokratischen Europa“. Als langjähriger Chefredakteur der Siebenbürgischen Zeitung habe er diese vom Kommunikationsblatt zum politischen Handlungsinstrument gewandelt, auch in den politischen Foren und in der breiten Öffentlichkeit bis heute gelesen, so der hochrangige Politiker. Im gleichen Sinne ergänzen die Gruß- und Gratulationsworte der Generalkonsulin Rumäniens in München, Iulia Ramona Chiriac, die in ihrer Videobotschaft auch im Namen gerade ihrer jüngeren Generatio dankt für das von Bergel Beigebrachte: „Freiheit ist in erster Linie ein Geisteszustand!“
Dr. Florian Kührer-Wielach, Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der LMU München, weist mit Dank auf die Zeit hin, in der Hans Bergel am Südostdeutschen Kulturwerk, heute IKGS, wirkte und die Südostdeutschen Vierteljahresblätter, heute Spiegelungen, redaktionell betreute. Sein literarisches und publizistisches Schaffen „könne für die Wissenschaft nicht hoch genug eingeschätzt werden“, da es Epochen und Lebensräume festhält, wobei der europäische Gedanke Leitmotiv ist.
Mit Hans Bergels Gedicht „Credo“, philosophisches Vermächtnis der persönlichen Ortung des Schriftstellers, Denkers, leitet die szenische Lesung zum digitalen Interview mit dem Jubilar über. Die große rumänische Lyrikerin Ana Blandiana hat über Hans Bergel geschrieben: „ebenso wie jeder echte Schriftsteller spricht Hans Bergel in seinen Büchern über sich selbst. Aber in seinem Fall (enthalten sie) die ganze Welt.“
Die Welt, nein, das geistige Universum Hans Bergels, von ihm in seinen Werken und nun in aufgezeichneten persönlichen Antworten beigebracht, macht das Interview mit den Fragen von Dr. Lilia Antipow zum wertvollen Dokument. Seine klugen, abgeklärten Gedanken und treffenden Worte vermitteln das Seelen- und Schaffensprofil eines weisen Denkers, der offen und geradlinig, überzeugend engagiert für seine Ideale, ohne Umwege auch kritisch auftritt. Der Zuschauer erfährt, was schon in Kinderjahren prägend und wegweisend wurde, wie den im Sinne des Kantschen Imperativs, des Lutherischen Christentums und Goetheschen Weltbürgertums Erzogenen der kulturelle Vielvölkerraum Siebenbürgen als Heimat im südöstlichen Europa zum Menschen formte. Nicht die Nationalität, sondern die Persönlichkeit und ihr humanes Handeln, „die menschliche Substanz“ (H. Bergel) gediehen bei der Beurteilung des Nächsten zum Maßstab der Wertschätzung. Schon früh wurden dem Knaben im engsten Lebenskreis der Widersinn und die Gefährlichkeit von Dogmen bewusst, so dass das Motiv der Freiheit und Menschenwürde seiner Werke Signum ist, so wie seine an der Formkunst Kleists geprägte stilistische Formkraft und ihr unverwechselbarer feingeschliffener Duktus unverkennbar sind. Und wie bei jeder Begegnung mit dem Hochgebildeten darf man im Gespräch erfahren, was die deutsche Literatur Rumäniens von anderen Literaturen des östlichen Lebensraums unterscheidet. Auch wieso den von dort zugereisten Schriftsteller ein aus Erfahrung gewachsener gesellschaftlicher Auftrag von vielen Autoren der westlichen Gegenwart unterscheidet. Ein Loblied auf den Wort-Schatz der deutschen Sprache, das Instrument des Schriftstellers, und eine Eloge auf die Ausdruckskraft von Musik beschließen dieses Gespräch persönlichster Offenbarung.
Dr. Weber moderiert die Überleitung zu einem weiteren Geschenk an den Geehrten, gleichfalls ein Höhepunkt der Veranstaltung: Als der aus Wales kommende Komponist Dafydd Bullok vor fünf Jahren bei einer Ausstellung im HDO „Mitgenommene Heimat in Dingen“ mit dem Raum Siebenbürgen und seiner Geschichte zum Thema Flucht, Vertreibung, Aussiedlung in Berührung kam, entstand nach besserem Kennenlernen, als er „so viele schöne Melodien entdeckte“, seine Komposition „String Quintett Siebenbürgen“ ein Streichquartett, hier interpretiert vom Quintett Peter Clemente, in dem Volkslieder aus Siebenbürgen in Variationen verfremdet, aber heiter tänzerisch oder elegisch melancholisch die Vielfalt des dortigen Liedschatzes vermitteln. Das Geschenk für den Geehrten als Welturaufführung mit den Gratulationswünschen des anwesenden Komponisten dürfte Hans Bergel, den Musikliebhaber und -kenner, dem das alte deutsche Volkslied „künstlerisches Kleinjuwel“ (Hans Bergel) ist, erfreut haben. Mit einem gemeinsamen „Hoch!“ aller Protagonisten auf den Jubilar klingt die Aufzeichnung – musikalisch noch einmal von den Klängen Oliver Balazs‘ Komposition begleitet – aus.
Für den mit zahlreichen hohen Ehrungen ausgezeichneten Nestor der deutschen Literatur, dürfte diese Hommage mit ihrer Fülle von Informationen, die zu einer runden, geschlossenen Aussage gefügt wurden, kompetent bedacht und präsentiert, ein echtes Geburtstagsgeschenk bleiben! Herzlichste Wünsche dem Jubilar, der „lebt um zu schreiben und schreibt, um zu leben“ (Peter Motzan). Beste Gesundheit und ungebrochene Schaffenskraft und viel Glück mit der lieben Gattin Elke, auch auf diesem Wege!
Karin Servatius-Speck
Schlagwörter: Hans Bergel, Ehrung, Festveranstaltung, Online-Veranstaltung, Haus des Deutschen Ostens München
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