24. Februar 2021

Wie schmeckt Erinnerung? Dagmar Dusils „Blick zurück durchs Küchenfenster“ in englischer Übersetzung

Als ich zum ersten Mal in Dagmar Dusils „Blick zurück durchs Küchenfenster“ lese, fühle ich mich nicht wie in einem Büro mitten in München, sondern zurückversetzt in die Jugend der Autorin. Das Buch lässt mich versinken in ihren Erinnerungen über mehrere Jahrzehnte, beginnend mit den 1950er Jahren in Hermannstadt. Lange Sommer, in denen die Luft vor Hitze flirrt, Winter mit Puderzuckerschnee, und zwischen allem erahnt man ihre ersten Erfahrungen mit politischer Unruhe.
Vor zwanzig Jahren ist Dagmar Dusils „Blick zurück durchs Küchenfenster“ erstmals in deutscher Sprache erschienen. Ich lese das Buch parallel in der englischen Übersetzung, die 2019 im Pop Verlag veröffentlicht wurde – es präsentiert sich als eine Mischung aus Memoiren, Entwicklungsroman und Kochbuch. Die Kapitel behandeln Episoden aus Dusils Leben, doch sind sie nicht chronologisch geordnet. Stattdessen springen sie durch die Zeit, woran der Leser sich vielleicht erst einmal gewöhnen muss. Eine Geschichte geht in die andere über. Diese Art des Erzählens bietet viel Lesegenuss und fühlt sich an, als höre man einer Verwandten bei ihren Geschichten über die Jugend zu.

Als Kochbuch beweist es auf jeden Fall viel Gefühl. So manche Siebenbürger Sächsin könnte wohl von der Bedeutung des Essens in der siebenbürgischen Lebenswelt berichten. Hier wird das Emotionale klar unterstrichen: Jedes Kapitel ist eine Erinnerung aus Dusils Leben, verbunden mit einem bestimmten Rezept. Die Autorin beschreibt alles – von gewöhnlichen Mittagessen bis hin zu Köstlichkeiten für Partys.

Und immer wieder kommt sie auf das Leben und die Kultur der Siebenbürger Sachsen zu sprechen. Als nicht mehr in Siebenbürgen Geborene finde ich jeden einzelnen Hinweis auf meine Wurzeln sehr bedeutsam. Vieles im Buch erinnert mich an meine eigene Kindheit, als ich meine Großeltern im Sommer in Heidenheim besuchte. Ich war als Kind sehr wählerisch und aß lieber die Topfenknödel meiner Oma statt der Ciorbă meines Opas, die meine Schwester und ich einfach „Opa-Suppe“ nannten. Heute esse ich auch Ciorbă gern, und das mit viel Nostalgie (und Brezeln dazu). Man könnte sagen, dass Dagmar Dusil mir geholfen hat, meinen eigenen „Blick zurück durchs Küchenfenster“ zu finden, und anderen Lesern wird es wohl ähnlich ergehen. Es ist ein Buch, das ich weiterempfehle, besonders an Landsleute. Die englische Fassung in der Übersetzung von Ioana Ieronim und Ernest H. Latham jr. war sehr hilfreich für mich, weil meine Muttersprache Englisch ist. Durch die Übersetzung ist für mein Empfinden einiges von der Stimmung des Buches verlorengegangen. Aufgewogen wird das aber durch viele stimmungsvolle Bilder aus dem Hermannstadt früherer Tage.

Derzeit im Buchhandel erhältlich ist auch die Neuauflage der deutschen Fassung, erschienen 2014 im Buchverlag für die Frau. Dagmar Dusil hat das Buch mit einem Vorwort versehen, in dem sie einen geschichtlichen Abriss über die Siebenbürger Sachsen bietet, angefangen von ihrer Ansiedlung in Siebenbürgen bis heute.

Die Autorin handelt immer wieder nach dem Motto „Du bist Gottes Kind, so hilf dir“, ein hoffnungsvoller Spruch, den auch ich oft gehört habe. Er bedeutet: Improvisiere, mach das Beste aus allem, auch in schweren Zeiten. Dieser Spruch hat mich persönlich tief bewegt in dieser unsicheren Corona-Zeit: Fast nichts ist mehr, wie es mal war, aber es ist trotzdem gut.

Victoria Knight


Dagmar Dusil: „Blick zurück durchs Küchenfenster“. Buchverlag für die Frau, Leipzig, 2014, 237 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-89798-468-4
Dies.: „Looking Back Through the Kitchen Window“. Pop Verlag, Ludwigsburg, 2019, 260 Seiten, 16,50 Euro, ISBN 978-3-86356-262-5

Schlagwörter: Buch, Kochbuch, Siebenbürgen, Erinnerungen, Dusil

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