15. Oktober 2021

Die Temeswarer Schriftstellerin und Dichterin Edith Ottschofski in der Reihe „Lebendige Worte“ (XXI)

Edith Ottschofski, geboren 1964 in Temeswar, studierte Philologie an der Universität Temeswar und arbeitete als Lehrerin und Übersetzerin in Rumänien. 1990 reiste sie nach Deutschland aus und wirkte zunächst als Dolmetscherin in Erlangen. Nach einem Zweitstudium in Freiburg, Praktika in Paris und Frankfurt am Main zog sie 1995 nach Berlin, wo sie bis heute lebt.
Edith Ottschofski. Foto: Louise Ottschofski ...
Edith Ottschofski. Foto: Louise Ottschofski
Sie verfasste Reportagen, Literaturfeatures und Buchbesprechungen für den Rundfunk (DeutschlandRadio Berlin, Deutschlandfunk) und schrieb Rezensionen über die rumäniendeutsche und rumänische Literatur für diverse Zeitungen und Zeitschriften (darunter vor allem auch die Siebenbürgische Zeitung). 2010 erschien ihr Debütband der schaum der wörter. Gedichte im Johannis Reeg Verlag, Bamberg, gefolgt vom Roman Luftwurzeln, 2016 im Pop Verlag, Ludwigsburg. Weitere Gedichtbände waren: im wohlklang unverhohlen, 2018 im Pop Verlag und zuletzt Clipe. Augenblicke. Clins d’oeil, 2021 im Verlag Casa de Pariuri Literare, Bukarest. Die folgende Auswahl umfasst Gedichte aus den ersten beiden Lyrikbänden sowie bislang noch unveröffentlichte Texte.

Aus dem Gedichtband der schaum der wörter

zwang
ein zwan
g produzie
rt einen t
e
x
t

Paris 1993

ziergang nach spa
die weiden hängen ihr geäst
immer noch in den fließenden
fluss. rotbäumig gesäumt
der boulevard pârvan – die bega
braungelb, aprilregenfarbig – die bănățeana – schlendern am korso
die wölfin mit den kleinen
die hocken, zwischen plattenbau
und kathedrale – die lloydzeile
auch hier werden handys spa
zierengeführt
wandrer kommst du
nach

Temeswar 2001

heim kehr seite
hundegebell in der fabruckstadt
cartierul fabric
kichernde kinder auf der straße
eine glocke – fernes hämmern
pferdewagen
krießkott herr nachber
kisstiehand
seins auf besuch?
unser haus steht leer
uhren pendeln unruhig in der zwei
zimmrigen wohnung der tante
eva
aschentatzl und salztesl
langoși und mici
samstag namittack
und tes robinet tropft

Temeswar 2001

halaripual
suchen
minciună
irrlichtern
hélas
angst haben adevăr
durst haben o wahr falsch
sollen
joj vrai schau’n offoff
zwirbeln
aufstoßen sich freu’n
ruh
suchen

Berlin 1997

erde
in fremder erde unter fremden
liegt der großvater da
vater weint über seinen fremden vater
der mit der truppe durch’s dorf zog
ihn flüchtig umarmte und
weitermarschierte
bis hierhin nach
saint-désir de lisieux
wo der tod schneller war
als der marschschritt

2009

Für Franz
zwischen*
zwischen talmesch und balmesch
möchte ich jackschi, dem narr, folgen
ins museum der illusionen
und wenn die balkontür zu gott
sich nicht öffnen lässt
am violetten nachmittag
wenn rost aufs licht fällt und das leben einen erpresst
will ich auch auswandern
mit einem flugticket in den konjunktiv
und nie dort ankommen
wo der kreis sich schließt, höchstens um über
den rand des himmels hinauszuspringen

Berlin 2009

In memoriam Oskar Pastior
ossi park orat
rasok sopra ti
karos sapor it
rok aspor sati
karas ros tiop

roitsap rakso
kartior ospas
karpas tioros
paskar ostior

ikar stop rosa
ikar prosa tos
a ikaros prost
post ikar rosa

kora pro stasi
kora prost sai
pro stasi ark o
ok saro ti spra

sik ora post ra
kriptos sara o
skript ora a so
ok pastior sar

Berlin 2006

lübien
liebe lübische liebelei
herzsprung am puppentor
diese grüblerische litanei
klughafen an der trave

rischelrüschel raschelrei
der liebe tod ist im fahrwasser
hüxholstenholperstein
im augapfel zittert der wasserkeim

wieder wünscht' ich was wiedelwei
zarrentin schwand, schwerin
trauerglück, augenklick, tandaradei
kirschblütenhauch davorbei

Lübeck 1999

eidos ab ovo*
ich wollt ich wär ein rhizomatisches huhn
ich hätt nicht viel abduktionen zu tun
ich legte täglich ein epiphanisches ei
und sonntags auch mal eidetische zwei

Berlin 2005

Aus dem Gedichtband im wohlklang unverhohlen

Für Heidi
madeleine
die warme wohlige wärme
vom kochtopf während
die suppe brodelt
in der eisigen küche
steht frau schmidt
und tranchiert
das hendl
das kind schaut ihr zu
wie sie das kalte fleisch
in stücke schneidet
die freundin unterdes
macht sich fein
für den kirchgang
sonntagfrüh
in temeswar

zumute
heumatlich ward’s mir zumute
in temeswareinmal
den leuten halt ich's zugute
den weiden, dem fluss so fahl

und mancher bekannten ecke
in die ich mich zuweilen verirrt
und tränenreich wiederentdecke
wie man seine kindheit verliert

heumatlich ist's mir zumute
im sperrigen berlin
dem kinde halt ich's zugute
den reben und tulpen, die welken dahin

ich habe
ich habe eine und noch eine
heumat. eine
wo ich mich verstecken konnte
in meiner sprache und eine
wo man mich daran erkennt

eine, die mir fremd geworden ist
und eine, mit der ich noch nicht
vertraut bin und so habe ich
eine und keine

eine
in der ich geboren bin
und wahrscheinlich eine
fürs grab

liegend
in der hängematte unter einem anderen nussbaum
in der fremde, in einem anderen haus
die eichhörnchen hüpfen aufs dach
die vögel zirpen im frühjahr
die nachbarn kennen einen vom sehn
das kind spielt im garten
die mutter fegt den hof
heimelig, trautfremd
wo jetzt mein zuhause ist

muttersprache
auch verwirrt spricht meine
mutter noch mit dem
zungenschlag von daheim
ansonsten wird mir
die sprache aus dem koffer
zurechtgestutzt
selten red ich noch wie
zaus

aus der zeit gefallen
die țărăncuță mit batic
bauersfrau mit kopftuch
und einem telefon inteligent
aus der zeit gefallen
die kuchen in der traistă
organisierend, wer sie am busbahnhof erwartet

in vier stunden vom herrschaftlichen großwardein
nach sighetu marmației
durch die dörfer
durch die wälder
in einem undichten microbuz
mit lalăila und țîrlaița-musik
überlandfahrt in siebenbürgen

2017

der sweater
am stuhl verwaist hängt nun der sweater
der wind streicht durch die nussbaumblätter
die mutter tippelt ins haus gemächlich
im zimmer riecht es streng und süßlich

beschwerlich der gang, schlurfend der schritt
wie lange nur macht sie es noch mit
die toten bekannten, von jahr zu jahr mehr
und der gedanke ans ende geht einher

ein kuss noch, eine umarmung, ein liebes wort
dem kind geht sie entgegen vom hort
im lehnstuhl strickte sie für den enkelsohn
verwaist hängt nun der sweater schon

schattenspiel
ich fange deinen schatten
und verstecke mich darin
doch du rennst fort
und lässt mich in der
prallen sonne harren

komm mir wieder schattenmann
treib mir fort den wahn
leg dich fein
in meinen schatten hinein
und schlaf ein

brot
nimm den laib brot
und mach drei kreuze drauf
schneid dir ab eine scheibe
und streiche butter auf
beiß ab ein stück
und kaue deinen bissen
schlucke runter dann

trink einen schluck milch dazu
beiß ab den nächsten
kaue dann das brot

kaue
schlucke runter
kaue

dennoch
und es ist dennoch
ein schöner sommer
obwohl die traurigkeit obsiegt
die sonne glüht
die grillen zirpen nachts
der mann ist närrisch
krank die mutter
und es ist dennoch
ein schöner sommer

Bisher unveröffentlichte Gedichte

millenniumskirche
die gütige madonna gekrönt
mit zepter und dem kinde als altar
im fels als jungfräuliche maria
bunt bemalte kirchenfenster
der braun gewandete antonius
im lauschigen alkoven

„én vétkem
mea culpa
durch meine große schuld“

gebetet wurde früher auf deutsch
ungarisch und latein
nun kommt rumänisch hinzu

„doamne nu sunt vrednic
ut intres sub tectum meum
hanem csak egy szóval mondd
so wird meine seele gesund“

braungefleckter barocker backsteinbau
von außen prachtvoll
die tür steht immer offen
für die paar gläubigen, die ihre finger
ins weihwasser tauchen
und einkehren
ins kühle katholische dunkel
am trajansplatz

Temeswar 2018

rostig
rostig sind die rohre an der einen
brücke über dem fluss
jahrzehntealt
la podul decebal

gemächlich schlendern
die menschen über den heuplatz
früher piața de fân
an der bega
nicht mehr mit zeckern
sondern mit tüten
die einen fratscheln
die andern feilschen
eilige drängeln
sie sein nur auf besuch

geduldig
wartet der schaffner
an der anderen brücke
der alteingesessenen daker
dass die autos die braunen
schienen räumen
hogy úgy mondjam, kedvesem
precum am zis drăguță
goldige
cu răbdare
wie gsaggt

Temeswar 2019

neu aufgelegt
welches ist diese hippe, peppige stadt
mit einem schwall junger menschen
die wir nicht mehr sind?
sie stöckeln in durchsichtigen highheels
fläzen sich in farbenfrohen
polstersesseln
schlürfen fruchtige limonaden
bestellen eilig espressos und
lassen das halbe essen stehn
während ich nach altbackenem
baton cu lapte suche, den es scheinbar
nirgends gibt
wo sind die dunkelgrauen fassaden
abgeblieben, die mir rigoros
entgegenprallten, während ich unfertig
durch die straßen irrte, auf der suche
nach dem nächsten bier?
jetzt versprechen
ubiquitäre kneipen erfüllung
sämtlicher wünsche, wo früher leere
gähnte, in den kuchenregalen
der violeta, empfängt mich nun
klein hanoi, dröhnende musik allenthalben, videotelefonierende
zeitgenossen
und doch
fließt die bega geruhsam
am quirligen treiben vorbei
während die vorstadt
auf wundersame weise
geschrumpft ist
und meine alte lehrerin
mich nicht mehr erkennt

Temeswar 2021

deutschtummeln
ta batschi und tie neni sitzn vorm tor
ackarwo
goldige, pist auf besuch?
was macht tie mama?
mai mutta riehrt sich nid mehr
siggst, mir wern auch immer älter
tes iss tai kleiner betjahr?
freilich
wie alt pist tu, gruwlicher tschibeser?
ich pin doch schon groß
und wenn sie nid gstorbn wärn
hättns tes noch heit gfragt
ackarwie

*Zitatcollage aus Franz Hodjaks „Die Faszination eines Tages, den es nicht gibt“, Weilerswist, 2008.

*eidos (gr.) Ansehen Gestalt; ab ovo (lat.) vom Ei; über die Gestalt des Eis und natürlich auch über das Huhn.

Schlagwörter: Literatur, Lyrik, Lyrikerin, Banat, Temeswar, Ottschofski

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  • 16.10.2021, 09:30 Uhr von Äschilos: Alles für die Banater Zeitung [weiter]

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