16. September 2022

Literatur und Labsal: Rumäniendeutsche Eindrücke aus Reschitza

Pittoresk und ausladend war das Programm bei den „Deutschen Literaturtagen in Reschitza“, die vom 18.-21. August in der 32. Auflage stattfanden. Umsichtig und detailgenau wurden sie wie immer von Erwin Josef Ţigla organisiert, der von der Programmgestaltung über die Verteilung der Tagungsmappen mit eigenem Briefumschlag und eigens herausgebrachtem Stempel bis zur gesamten Moderation alle Fäden in der Hand hatte. Federführend war dabei der von ihm 1987 mitbegründete und seitdem geleitete Kultur- und Erwachsenenbildungsverein „Deutsche Vortragsreihe Reschitza“, neben den sich eine Reihe von Förderern gesellte, beginnend vom Bukarester Kultusministerium, dem Departement für Interethnische Beziehungen bis zu den österreichischen Bundesländern, der Steiermark und Kärnten u.v.a.m.
Aufgrund der tropischen Temperaturen – das Treffen fand vor Corona meist im Frühling statt – wurde der Tagungsort zunächst in den Hof der Deutschen „Alexander Tietz“-Bibliothek in Reschitza verlegt, deren Leiter in Personalunion ebenfalls Erwin Josef Ţigla ist.

Die Deutschen Literaturtage sind wohl die einzige Veranstaltung dieser Art in Rumänien und mutierten mittlerweile zur Institution, vereinen sie doch ein internationales Publikum. Neben rumänischen und rumänien- sowie bundesdeutschen Literatinnen und Schriftstellern gehören auch die slowenischen und ungarndeutschen zur eingeschworenen Gemeinschaft mit dazu. Besonderen Glanz erhält das Literaturtreffen durch die langjährige Teilnahme der deutschaffinen Autorin Nora Iuga, die als Aushängeschild stets eifrig von der Presse interviewt wird.
Gruppenbild mit Teilnehmern der 32. Deutschen ...
Gruppenbild mit Teilnehmern der 32. Deutschen Literaturtage in Reschitza, jeweils von links nach rechts, erste Reihe: Nelu Brădean-Ebinger, Josef Michaelis, Carmen Puchianu, Eleonore Ringler-Pascu, Dagmar Dusil, Alexander Estis, Olivia Spiridon, Éva Seiler-Iszlai, Maria Dorina Pop, Ana-Maria Schlupp, Beatrice Ungar, Erwin Josef Ţigla; zweite Reihe: Joachim Wittstock, Gabor Ruda, Robert Klages, Bastian Kienitz, Balthasar Waitz, Hellmut Seiler, Nora Iuga, Thomas Krause; dritte Reihe: Udo Heidel, Benjamin Neurohr, Veronika Haring, Ana Ţigla, Stefanija Korponai, Ivan Korponai, Aleš Tacer, Arnold Schlachter; hinten: Traian Pop. Foto: DFBB
Der Spagat, den die Veranstaltung thematisch macht, wurde immer weiter ausgedehnt und so schließen die Deutschen Literaturtage nicht nur Übersetzungen ins Deutsche, sondern schon mal eine Buchreihe über das vorindustrielle und industrielle Erbe (von Volker Wollmann), eine Fotoausstellung über China (von Èva Seiler-Iszlai) oder journalistische und historisch-dokumentarische Publikationen mit ein. Gewinnbringend kam die Verleihung des 2020 von Hellmut Seiler ins Leben gerufenen „Rolf Bossert“-Gedächtnispreises mit hinzu. Zur überwiegend auf Rumänisch gehaltenen Einführung kam dementsprechend auch rumänisches und sogar junges Publikum, eine Gruppe von Studierenden, die sich für den historischen Teil der Industriekultur interessierten, vielleicht auch, weil sie gerade einen Turm aus der ehemaligen Industrielandschaft Deutsch-Bokschans restaurierten. Kurz stellte Èva Seiler-Iszlai einen Auszug aus ihrer Fotoausstellung zu China in Neumarkt vor und Erwin Ţigla gab dem Publikum den eigens herausgebrachten Band „Literatur und Kunst in der Pandemie“ zur Hand.

Beatrice Ungar vertrat nicht nur die Lyrikerin Ana Kremm, sondern hatte sie auch übersetzt. Mit deren Naturlyrik, die symbolisch für Stimmungen und Gefühle stand, leitete sie sodann zu Traian Pop über. Der im rumäniendeutschen Milieu namhafte Verleger und Dichter las zuweilen recht emotional Lyrik teils auf Rumänisch, teils auf Deutsch. Nora Iuga sprach über die späten Gedichte Rolf Bosserts in ihrem Essay „Das Echo des letzten Streichholzes“, der ihre enge Beziehung zu dem Dichter offenbarte. Der Freitag begann mit der Vorstellung der Anthologie rumänischer Lyrik der Gegenwart von Hellmut Seiler, „Schwebebrücken aus Papier“. Dieser fuhr mit seinem neuen Lyrikband „Schwebezustand Melencolia“ fort. Zudem las er unveröffentlichte Gedichte, die, gerichtet an frühere Verfolger der Securitate, von einer zuweilen irritierenden Bitterkeit waren. Nora Iuga präsentierte danach den Gedichtband „saumselige annäherung“ von Edith Ottschofski, aus dem die Autorin las. Zusammen gaben die beiden dann ein intertextuelles Gedicht von Nora Iuga und dessen Übersetzung zum Besten, die nicht nur wegen der brütenden Hitze den Zuhörern viel Geduld abverlangten. Nach einem Ausblick auf Afrika von Ioana Heidel führte Edith Ottschofski am Nachmittag in den neuen Band mit Reisebeschreibungen, Lyrik und Kunst „Diese Tage ohne Datum“ von Ilse Hehn ein. Beatrice Ungar hingegen präsentierte ihrerseits das neue Buch von Dagmar Dusil mit dem poetischen Titel „Entblätterte Zeit“. Diese las aber auch eine kürzlich verfasste Geschichte über ein Flüchtlingskind vor, in dem die kindliche Perspektive manchmal von den allzu poetischen Vergleichen überholt wurde. Nach Thomas Krause folgte Balthasar Waitz, der mit seiner lakonischen Alltags-Prosa amüsierte.
Deutsche Literaturtage in Reschitza, von links ...
Deutsche Literaturtage in Reschitza, von links nach rechts: Traian Pop, Nora Iuga, Erwin Țigla. Foto: DFBB
Am Samstag folgte nach den ungarndeutschen Autoren Eleonore Ringler-Pascu, die vom innovativen und politischen Impetus der Aktionsgruppe Banat sprach, deren Gedanken „pure Geometrie“ waren, wie es in einem Gedicht heißt. Am Nachmittag las der Autor Joachim Wittstock ein Fragment einer romanhaften Chronik, die um 1950 spielt: „Perle mit dem Kobaltstrahl“. Darin ging es um Kobalt, das für die Bestrahlung von Krebsgeschwüren benutzt wird, und dessen Verschwinden konfliktreich sein kann.

Mit der Verleihung des Bossert-Gedächtnispreises an Bastian Kienitz aus Mainz und des Sonderpreises des Deutschen Wirtschaftsklubs „Banat“ an Robert Klages aus Berlin sowie mit einem Artikel über das problematische Verhältnis zu Russland des ersten Bossert-Preisträgers Alexander Estis aus der Schweiz wurden die Literaturtage ein weiteres Mal international. Die aktuellen Verwerfungen holten sie dabei ein. Fast schon weltmännisch verband die Dankesrede von Kienitz das ungute Wirken des Menschen auf Erden mit den Versen des unvergessenen Rolf Bossert. Am Abend lud Carmen Puchianu ins Theater ein zum Ein-Personen-Stück „Entsorgt. Theater des Ichs“. Am Sonntag bekam man die in die abstrakte Kunst schwenkenden Fotos von Kienitz zu sehen. Nicht fehlen durften die slowenischen Literatinnen und Dichter, die eigentlich auf Slowenisch schreiben und die Texte ins Deutsche übersetzen, stets bemüht, die Sprache nicht zu verlieren. Zum Schluss sprach die vielseitig engagierte Beatrice Ungar über das eher dokumentarische Buch über Rubla von Mariana Gorczyca. Danach ging’s als krönender Abschluss tief ins Inland zur Apfelalm, wo man zwischen Hauswein und Sirup beim Klosterbesuch oder dem Bier in der Brauerei Scorilo sich nach dem geistigen für ein liquides Labsal entscheiden konnte.

Edith Ottschofski

Schlagwörter: Literatur, Reschitza, Literaturtage

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