26. März 2023

Helmut Wolff in der Stuttgarter Vortragsreihe: Ein Schulwesen von europäischem Rang

Mit dem Thema Schulen kann fast jeder aus Siebenbürger Ausgewanderte etwas anfangen. Schließlich haben die meisten von uns eine deutschsprachige Allgemeinschule besucht. Und viele schwärmen auch heute noch von ihrer Zeit „am Bruk“, „am Honterus“ oder an einer anderen weiterführenden Schule. Entsprechend groß war das Interesse, als die Landesgruppe Baden-Württemberg am 17. Februar ins Stuttgarter Haus der Heimat lud: Rund 45 Gäste kamen, um Helmut Wolff über „Ein Schulwesen von europäischem Rang – Grundzüge und Besonderheiten der siebenbürgisch-sächsischen Schule“ sprechen zu hören. Sie erfuhren, dass Schulen im siebenbürgisch-sächsischen Siedlungsgebiet schon sehr früh verbreitet waren. 1334 wird eine Lateinschule im Brooser Kapitel urkundlich erwähnt, es folgen Schulen in Mühlbach, Hermannstadt, Kronstadt und Bistritz. „Bis 1453 sind für mehr als die Hälfte der siebenbürgischen Gemeinden Schulen nachgewiesen“, wusste Wolff zu berichten.
Das von Peter Paul Brang entworfene Bistritzer ...
Das von Peter Paul Brang entworfene Bistritzer Obergymnasium (Ansichtskarte, um 1912, Bildarchiv Konrad Klein) gilt vielen als schönste deutsche Schule Siebenbürgens.
In seinem Vortrag betrachtete er die verschiedenen Entwicklungsstadien des Schulwesens im Kontext der geschichtlichen Ereignisse. Zum Beispiel förderte Johannes Honterus, der bedeutende Reformator der Sachsen, die Verknüpfung von Kirche und Schule. Er sah in einem gut funktionierenden Schulwesen auch ein Instrument der Kirchenerneuerung. Unter dem Einfluss der Reformation wurden erstmals humanistische Gymnasien gegründet: 1543 von Honterus in Kronstadt, kurze Zeit später auch in Schäßburg, Hermannstadt, Mediasch und Bistritz. So kam es in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einer Zweiteilung der Schulen in Gymnasien und Volksschulen, wobei das ganze Schulwesen einen Aufschwung erlebte. Der Vortrag führte weiter in die Zeit der Habsburgermonarchie, als 1722 die Schulpflicht für beide Geschlechter eingeführt wurde, und in die Blütezeit der Schulen im Königreich Ungarn bis 1918. „Der gute Ruf, eine überdurchschnittliche Lehrerschaft, die hohe Abiturientenquote sowie der große Zustrom von Schülern anderer Nationalitäten besonders an höheren Schulen und Berufsschulen, lassen auf ein beachtliches Niveau der siebenbürgisch-sächsischen Schulen schließen“, erklärte Wolff.

Mit den Nationalsozialisten kam der Untergang

Im Königreich Rumänien mussten ab 1919 alle Schüler die Landessprache Rumänisch lernen. Für die Kirche bedeutete der Unterhalt der Schulen eine große Herausforderung, für die sächsische Bevölkerung eine immer größere materielle Last in Form von Schulsteuern und für die Lehrerschaft der Verzicht auf eine angemessene Besoldung. „Die Autonomie der deutschen Schulen wurde teuer erkauft“, bilanzierte Wolff. Radikal änderte sich die Situation der siebenbürgisch-sächsischen Schulen mit dem Eingreifen der Nationalsozialisten aus Deutschland. Die Schulen wurden 1942 bis 1944 unter Protest der Evangelischen Kirche dem Schulamt der „Deutschen Volksgruppe“ in Rumänien unterstellt und nationalsozialistisch gleichgeschaltet. Nach dem Frontwechsel Rumäniens im August 1944 übernahm die Kirche erneut die Verantwortung für die evangelisch-sächsischen Schulen. Viele deutsche Schulen wurden jedoch enteignet und der Schulunterricht fand z. B. in Hermannstadt notdürftig zum Teil in Räumen von Firmen statt. Nach wenigen Jahren, mit der Gründung der Volksrepublik Rumänien 1947 und der Verstaatlichung des Schulwesens 1948 hörten die autonomen, der Kirche unterstellten Schulen der Siebenbürger Sachsen auf zu existieren.

Erziehung zum „neuen Menschen“

Doch anders als die sozialistischen Bruderstaaten gestattete Rumänien weiterhin den Gebrauch der deutschen Sprache im Alltag und Unterricht. Der Schulunterricht war nach der leninistischen Formel dem Inhalt nach sozialistisch, der Form nach national, wie es in der Verfassung von 1952 hieß. Ziel war die Erziehung zum „neuen Menschen“ und das erforderte die atheistische Erziehung. Als in den frühen 90er Jahren, nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems, ungefähr 90 Prozent der Siebenbürger Sachsen für immer das Land verließen, war ein nochmaliges Überdenken der Schulsituation der Deutschen unausweichlich. Heute versprechen sich vor allem Rumänen vom deutschen Schulwesen eine fundierte Ausbildung.
Typisch für die siebenbürgisch-sächsischem ...
Typisch für die siebenbürgisch-sächsischem Schulen war ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Das Bild von 1983 zeigt die Band „Solaris“ mit Prof. Ricky Dandel am Hermannstädter Brukenthal-Gymnasium. Foto: Gabriel Holom
Zusammenfassend betonte Helmut Wolff, wie wichtig die Schulen für die Gruppenidentität der Siebenbürger Sachsen waren: Sie konnten damit ihre privilegierte Stellung untermauern und ihr Überleben als kleine Volksgruppe sichern. Über viele Jahrhunderte waren die Sachsen gezwungen, ihr Schulwesen immer wieder neu zu gestalten – je nach den neuen politischen Gegebenheiten – und vor Angriffen auf die Autonomie zu verteidigen. „Das gelang nur durch die enge Bindung von Schule und Evangelische Kirche. Die Lehrer und die Geistlichen waren das Bindeglied zwischen kirchlicher und politischer Gemeinde“, erklärte Wolff. Typisch für Siebenbürgen sei auch, dass die sächsischen Schulen für die anderen Nationalitäten offen und attraktiv waren. Sie waren innovativ und von hoher Qualität. Heute sind Schulen mit deutscher Unterrichtssprache eine Bildungschance besonders auch für Rumänen.

Helmut Wolff, Heidrun Rau

Schlagwörter: Schule, Schulgeschichte, Wolff, Stuttgarter Vortragsreihe

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Neueste Kommentare

  • 28.03.2023, 10:01 Uhr von Äschilos: Lieber Herr Bruss, herzlichen Dank für die ausführlichen Informationen. Grüße aus Nürnberg [weiter]
  • 27.03.2023, 15:57 Uhr von Siegbert Bruss: Sehr geehrter Herr Äschilos, besten Dank für Ihr Interesse an Helmut Wolff, der den Vortrag über ... [weiter]
  • 26.03.2023, 10:33 Uhr von Äschilos: Wer ist Helmut Wolff? [weiter]

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