7. Dezember 2023

Der Ruf nach Freiheit in entblätterter Zeit: Literarisch-musikalischer Abend mit Dagmar Dusil und Hans Seiwerth in Stuttgart

Vor voll besetztem Saal fand am 17. November ein literarisch-musikalischer Abend im Haus der Heimat Stuttgart statt. Helmut Wolff, Organisator der Stuttgarter Vortragsreihe, begrüßte die Gäste und die Künstler: die Schriftstellerin Dagmar Dusil und siebenbürgischen Liedermacher Hans Seiwerth. Mit einer ausführlichen Einführung in das Programm weckte Wolff die Neugierde der Besucher.
Dagmar Dusil und Hans Seiwerth. Foto: Hans Jürgen ...
Dagmar Dusil und Hans Seiwerth. Foto: Hans Jürgen Greger
Hans Seiwerth, der gleich drei Instrumente – Gitarre, Flöte und Mundharmonika – mitgebracht hatte, eröffnete den Abend mit einer Vertonung von Erich Kästners Gedicht „Oktober“, das mit dem Vers „Fröstelnd geht die Zeit spazieren“ beginnt, ein Prélude zum Thema des Abends.

Dagmar Dusil las aus ihrem 2022 im Pop Verlag erschienenen Kurzgeschichtenband „Entblätterte Zeit“. Allen 18 Geschichten hat die Autorin ein Haiku vorangestellt und ging deshalb kurz auf die auch bei uns immer beliebtere Kurzform der japanischen, auf drei Zeilen konzentrierten Lyrikform ein. Die von Dusil gewählte Kurzgeschichte mit dem symbolischen Titel „Liberty“ (Freiheit) führte die Besucher nach Siebenbürgen in der Zeit der kommunistischen Diktatur. Die Geschichte des Biologielehrers Eckhart, der aufgrund fadenscheiniger Argumente in das berüchtigte Lager am Donau-Schwarzmeer-Kanal geschickt wird, war für viele Besucher kein unbekanntes Schicksal – hauptsächlich der Intellektuellen der 1950er Jahre. Bei allen drastischen Maßnahmen konnte der Ruf nach Freiheit nicht zum Verstummen gebracht werden. In der Geschichte ist es Marianne, Eckharts Frau, die sich einen Trick ausdenkt: Sie gibt ihrem Hund den Namen „Liberty“, ein Hund, der dauernd ausbüxt, über den Gartenzaum springt und schließlich mit lauten Rufen von immer mehr Leuten aus der Gegend gesucht wird. Bei allem Tragischen jener Jahre der grausamen Diktatur gelingt es Dagmar Dusil mit Ironie und einer guten Portion Humor, ihre Geschichten sehr unterhaltsam zu machen, was beim Publikum sehr gut ankam: „Die nach Liberty Rufenden wurden einzeln verhört. Schließlich wurde ein Gesetz über Hundenamensgebung erlassen.“

Mit dem zweisprachigen Lied „Dorule! / Das Glück war niemals mein“ sprach Hans Seiwerth die Sehnsucht und den Zorn des Glücklosen an, der aber auch mit dem Unfreien gleichgesetzt werden kann, der ausruft: „Das könnt‘ ich an manchen Tagen: Mit dem Dolch auf Steine schlagen, să dau cu cuţitu-n piatră … DORULE!“

Mit der Kurzgeschichte „Das Paket“ führte Dagmar Dusil das Publikum in ein Dorf, „das wie gekreuzigt in der warmen Herbstsonne in der Landschaft Siebenbürgens lag“. Im Dorf, in dem nun anstelle der nach Deutschland ausgewanderten Siebenbürger Sachsen eine verarmte Bevölkerung und viele Roma zu finden sind, erwartet man Hilfe von der Europäischen Union, zu der Rumänien mittlerweile gehört. Die scheint in Form eines geheimnisvollen Pakets zu kommen. Die Autorin stellt die Vermutungen, Wünsche und Sehnsüchte der Bewohner in Bezug auf dessen Inhalt mit so viel Humor dar, dass des Öfteren lautes Lachen aus dem Publikum zu vernehmen war. In die Geschichte wurde als musikalisches Intermezzo die Vertonung von „Last rose of summer“, ein Gedicht des irischen Poeten Thomas Moore, eingeflochten. Und wenn es im Text heißt: „Tis the last rose of summer, / Left blooming alone; / All her lovely companions / Are faded and gone“ (Es ist die letzte Rose des Sommers, / die allein blüht; / Alle ihre liebenswerten Gefährten / sind verblasst und verschwunden), wird so mancher an die vereinsamten Menschen in Siebenbürgen gedacht haben. Tröstend aber war der Schluss der Geschichte, denn in dem Paket befinden sich Teddys für die Kindergartenkinder: „ein Teddy, an den sich das Kind kuscheln konnte, wenn der Wind durch die Ritzen der verlassenen Hütten blies“.

Musikalisch ging es weiter mit einem Lied zu einem sehr ergreifenden Text aus dem Lyrikband „Transitschatten“, ein Gedicht von Dagmar Dusil, das mit dem Vers „Woran halte ich mich fest“ beginnt. Danach durften die Besucher einer Premiere beiwohnen, der Vertonung des Gedichtes „Gebet“ von Dietfried Zink, Ehemann von Dagmar Dusil. Das Gedicht stammt aus dem vor kurzem im Pop Verlag erschienenen Lyrikband „Der leise Suchton des kreisenden Vogels“. Dietfried Zinks Poesie ist durchdrungen von philosophischen Überlegungen, er bleibt ein Suchender im rätselhaften Sein. Hans Seiwerth gestand, dass er einige Zeit gebraucht habe, um zu diesen tiefgreifenden Versen die passenden Töne zu finden. „Von deiner Welt, o Gott / schenk mir ein Tausendstel / ein Hundertstel von deinem Geist / … tauch meine Füße in den Schritt der Zeit“. Text und Melodie beeindruckten und berührten die Besucher, die die neue Komposition mit viel Applaus willkommen hießen. Von der Zeit, unserer zerrütteten Zeit, sprach auch Helmut Wolff abschließend in seiner Zusammenfassung der wunderbaren Darbietung. Der Verleger Traian Pop war mit einem reichen Büchertisch zugegen, auch eine CD mit dem Titel „Im Spiegelbild ein Kakadu“ aus fünfzig Jahren musikalischen Schaffens von Hans Seiwerth wurde angeboten. Anschließend signierte Dagmar Dusil auf Wunsch die erworbenen Bücher. Ein Büfett mit Schmalzbrot und einem Gläschen Wein lud alle zum Verbleiben ein, zum Gespräch über die Zeit, die unberechenbare, die mal schöne, mal fröstelnde, mal entblätterte Zeit.

Eva Filip

Schlagwörter: Stuttgarter Vortragsreihe, Dagmar Dusil, Hans Seiwerth

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