7. Juli 2023

Heimattag 2023: Dokumentationsausstellung „Pandemien und Epidemien der Vergangenheit“

„Pandemien und Epidemien der Vergangenheit. Herausforderungen der mehrsprachigen Kommunikation. Einige Skizzen“ ist der Titel einer lehrreichen Ausstellung, die zu Pfingsten in Dinkelsbühl gezeigt wurde. Es handelt sich um ein Ausstellungs- und Buchprojekt des Departements für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens in Partnerschaft mit dem Nationalarchiv Rumäniens, dem Nationalen Brukenthal Museum und der Zentralen Universitätsbibliothek „Lucian Blaga“. Thomas Şindilariu, Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens, führte in die Ausstellung im Katholischen Pfarrzentrum ein. Die folgenden Ausführungen entstammen dem zweisprachigen (Deutsch, Rumänisch) Ausstellungstext.
Neue Krankheiten, die sich zu Pandemien oder Epidemien entwickelt haben, hatten und haben einen entscheidenden Einfluss auf Sprachprägung und Sprachwahl. Dieser Aspekt soll mit Blick auf die ethnischen Minderheiten in Rumänien durch historische Beispiele skizzenartig vorgestellt werden.

Ähnlich wie in Südamerika traten im europäischen Mittelalter neue Krankheiten auf, die auf immunologisch unvorbereitete Völker trafen. So breitete sich nach der ersten Jahrtausendwende von Westen her die Lepra in Europa aus. Der Krankheit wurde in allen Städten durch Isolierung der Kranken und meist kirchlich organisierte Pflege der Aussätzigen begegnet. Meist von Mönchsorden betreut sind Lepra-Spitäler in Siebenbürgen seit 1295 (Bistritz) urkundlich nachgewiesen. Es folgten Kronstadt (1413), Hermannstadt (1475), Klausenburg (1531) und Schäßburg (1570). Da die Lepra im 16. Jahrhundert bereits im Rückzug begriffen war, wurden in Schäßburg die Leprakranken der gesamten Region im sogenannten Siechhof konzentriert. Die Lepra-Krankheit erlangte im Deutschen, aber auch im siebenbürgisch sächsischen Dialekt begriffsprägende Kraft durch den ­Terminus „Seuche“, der anfangs ausschließlich für Lepra ein Synonym war. Im siebenbürgisch-sächsischen sprachlichen Kulturerbe sind zahlreiche „Saich“-Bezeichnungen als Straßennamen erhalten geblieben. Für die Bezeichnung des zugehörigen Friedhofs werden sowohl im Deutschen, Rumänischen als auch im Ungarischen der Begriff „Sichhof“ auch heute noch verwendet.

Der Bevölkerungskontakt über große geografische Entfernungen hinweg steht meist am Beginn einer Seuche – die Verbreitung der Lepra in Europa wird in Verbindung mit den Kreuzzügen gebracht, die Syphilis auf die Belagerung Neapels durch den französischen König Karl VIII. im Jahre 1504. Die großen historischen Epidemien, die ganze Landstriche entvölkerten, gelangten durch Handelsbeziehungen (Pest und Cholera) und Kreuzzugsexpeditionen (Pocken) nach Europa.

Bis ins 18. Jahrhundert führten seuchenbedingte Katastrophensituationen oft zur Überforderung der Verwaltungsorgane. Selten sind genaue Anzahlen der Todesopfer und ihre Namen überliefert. Die Erinnerung an die verlorenen Familienangehörigen nahm andere Formen an: Pestgebete, Gedächtnisstiftungen oder Pestsäulen. Letztere waren besonders in römisch-katholischen Gemeinden verbreitet (Pestsäule in Temeswar 1740; Klausenburger Mariensäule 1744).
Unterstaatssekretär Thomas S¸indilariu führte vor ...
Unterstaatssekretär Thomas S¸indilariu führte vor zahlreichem Publikum in die Ausstellung im Katholischen Pfarrzentrum in Dinkelsbühl ein, in der Hand die als Gratisexemplar ausgelegte Broschüre. Foto: Christian Schoger
Die Pest ist auf dem Gebiete Rumäniens erstmals 1349 in Großwardein nachgewiesen. Urkundlich belegt sind in der Folgezeit Pestepidemien von 1349-1355 bis 1828-1831 – fast alle zehn Jahre. Die historische Forschung hat eine Sterblichkeit von ca. 60% unter den Erkrankten und einen durchschnittlichen Bevölkerungsverlust von 20-25% in den siebenbürgischen Städten bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts ermittelt. Die Pocken traten in Europa durch hohe Opferzahlen insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert in Erscheinung und zeichneten sich durch hohe Kindersterblichkeit aus. Gemäß der medizingeschichtlichen Forschung sind allein in der Zeitspanne 1796-1798 in Europa etwa 400000 Todesopfer zu beklagen gewesen.

Die Cholera trat erstmals in der indischen Provinz Bengalen auf und gelangte 1831 nach Europa. In Siebenbürgen wurden 1831, 1848-1849, 1866 und 1872 Choleraepidemien verzeichnet, die vor allem zu Beginn hohe Opferzahlen forderten. Die Totenmatrikel der evangelischen Kirchengemeinde A.B. in Tartlau zählt allein im Militärjahr 1847/1848 115 an Cholera verstorbene Siebenbürger Sachsen bei insgesamt 180 Todesfällen der Kirchengemeinde.

Administrative und kommunikative Seuchenbekämpfung

Bis zur Entdeckung des Pestbazillus durch Alexandre Yersin im Jahre 1895 gab es keine Möglichkeit, der Pestseuche medizinisch wirksam zu begegnen. Die Ärzte Europas versuchten die Pest seit ihrem Aufkommen am Kontinent 1348 mit medizinischen Ratgebern, oft sehr allgemeinen Inhalts, zu bekämpfen. Das wirkungsvollste Instrument war dabei die Isolierung der Kranken von den Gesunden. Hier setzte auch die Staatsmacht an und setzte in den europäischen Städten Pestverwaltungen mit besonderen Vollmachten ein, während die städtische Oberschicht aufs Land flüchtete.

Zentral für den Erfolg administrativer Maßnahmen war, dass sie vom Volk verstanden werden konnten. Da half die lateinische Sprache als die gemeinsame Kommunikationssprache der Gelehrten Europas wenig. Die verschiedenen Volkssprachen erhielten auf diese Weise seit dem 14. Jahrhundert einen wichtigen Impuls zur Verschriftlichung und zur Ausbildung eines medizinischen Vokabulars. Bis zum Jahr 1500 wurden europaweit rund 300 Pestschriften verfasst und vervielfältigt, oft gedruckt. Etwas mehr als die Hälfte auf Latein, der Rest ist bereits in den verschiedenen Volkssprachen verfasst worden.

Pioniere auf dem Gebiet der volkssprachlichen Kommunikation im Kontext der Seuchengefahr in Siebenbürgen sind zwei Hermannstädter Stadtärzte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gewesen: Dr. Johann Salzmann (ca. 1480-1530) und Dr. Sebastian Pauschner (ca. 1490-1533/34). Letzterer wirkte 1524-1528 als Stadtphysikus von Kronstadt und anschließend in derselben Funktion in Hermannstadt bis an sein Lebensende. In Anbetracht der im Burzenland 1530 wütenden Pest und auf Bitten des Stadtrichters und des Kronstädter Rates verfasste Pauschner in deutscher Sprache 1530 einen Leitfaden zum optimalen Verhalten in Pestzeiten. In medizinischer Hinsicht musste Pauschner zugeben, dass „auch bewehrte Ärzte Irren an Zeichen der Pestilenz“ und gestand damit indirekt das Dilemma der Medizin im vormikrobiologischen Zeitalter ein, nämlich kein wirkliches Heilmittel anbieten zu können. Dennoch, aus der Verwaltungserfahrung der Städte in Zeiten von Pestgefahr, sind einige Ratschläge Pauschners bemerkenswert. Sie erschienen dem Kopisten von Pauschners Druckschrift so bedeutsam, dass er sie als einzigen gesamten Passus unterstrichen hat – diese Passagen gleichen den Abstands- und Vorsichtsregeln aus der Anfangszeit der COVID-19 Pandemie wohl nicht zufällig.

Ein entscheidender Schritt in der Seuchenbekämpfung ereignete sich am Beginn des 18. Jahrhunderts. Ergänzend zu den Abwehrmaßnahmen der Städte in Siebenbürgen greift nun der Staat als aktiver Akteur ins Geschehen ein. Aus den temporären Pestkordons zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstand 1728 auf der siebenbürgischen Seite der Karpaten ein permanenter Pestkordon mit Quarantänestationen, sogenannten „Kontumanzanstalten“. Der verpflichtende Aufenthalt sämtlicher Reisender in den Quarantänestationen führte zu einem blühenden Schmugglerwesen über die Karpaten, aber auch zu ethnischen Spannungen. So waren die griechischen Handelskompagnien von Hermannstadt und Kronstadt um die Mitte des 18. Jahrhunderts permanent dem Verdacht ausgesetzt, Pestgerüchte zu verbreiten, um die Preise ihrer Waren zu steigern.

Belege bezüglich der Sprachwahl in der Kommunikation mit den Einwohnern liegen zu Beginn des 18. Jahrhunderts keine vor. Selbst das staatliche Agieren wechselte in Siebenbürgen in dieser Zeit zwischen Latein, Ungarisch oder Deutsch, je nach Anlass und Adressat.

Neben dem Militär- und Finanzwesen stand im Rahmen der Habsburgermonarchie das Gesundheitswesen zunehmend unter direktem Einfluss provinzübergreifenden zentralstaatlichen Denkens und Handelns, was sich in vereinheitlichenden allgemeinen Maßnahmen niederschlug. Seit den 1680er Jahren wirkte in Wien die „Sanitäts-Hof-Deputation“. Auf ihren Ratschlag beruft sich Maria Theresia, als sie am 2. Januar 1770 für sämtliche Länder ihres Reiches eine einheitliche „Sanitäts-Ordnung“ erlässt. Am 4. Oktober 1770 erschien unter dem Titel „Generale Normativum in Re Sanitatis“ die lateinische Übersetzung der „Sanitäts-Ordnung“ insbesondere für Ungarn und Kroatien, so dass sämtliche Bestimmungen vom gesamten Sanitätspersonal des Reiches verstanden werden konnten. Die in den Jahrzehnten davor entlang des Karpatenbogens gemachten Erfahrungen in medizinischer aber insbesondere administrativ-organisatorischer Hinsicht flossen desgleichen in die „Sanitäts-Ordnung“ ein.

Da aus den ost- und südosteuropäischen Staaten die Ausbreitung von Seuchen drohte, stellte die Sanitätsordnung die Grenzregionen zu diesen Nachbarstaten unter ein besonderes, auf Seuchenschutz ausgerichtetes Statut. Für sämtliche Provinzen aber auch für die Grenzregionen, werden einheitliche Bestimmungen für das Sanitätspersonal erlassen. Dieser administrativ einheitliche, aber im Sprachgebrauch angepasste regulierende Schritt der „Sanitäts-Ordnung“ gilt in der Medizingeschichte als erster entscheidender Schritt in Richtung erfolgreicher Seuchenbekämpfung binnen weniger Jahrzehnte. Die Anwendung der Bestimmungen der „Sanitäts-Ordnung“ bewirkte, dass die Pestausbrüche der Zeitspanne 1786-1831 in Siebenbürgen vor allem durch Isolierungsmaßnahmen weitgehend unter Kontrolle gebracht werden konnten. Die Opferzahlen erreichten die Größenordnungen, die bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts üblich waren, bei weitem nicht mehr.

Der Sprachgebrauch wurde in Siebenbürgen von der ausstellenden staatlichen Institution bestimmt. Die Sprachkenntnisse der Betroffenen standen nicht im Mittelpunkt des administrativen Handelns – Mehrsprachigkeit wurde in unausgesprochener Weise bei den Bürgern vorausgesetzt.

Die Kontumanz-Stationen entlang des Karpatenbogens, aber auch die siebenbürgische Sanitäts-Kommission standen unter der Verwaltung des Kommandierenden Generals der kaiserlich-königlichen Armee in Siebenbürgen. Folglich war die Amtssprache jene der Armee, das Deutsche. Erst im Falle von Sanitäts-Cordons im Landesinneren, im Falle eines Pestausbruches, ist, je nach Sprachgebrauch der betroffenen Verwaltungseinheit ein lokaler Pragmatismus zu beobachten. Erst am Beginn des 19. Jahrhunderts und zwar im Kontext der Bekämpfung der Pocken ist ein erster Durchbruch in der medizinischen Kommunikation in verschiedenen Muttersprachen auf dem Gebiete Rumäniens zu beobachten. In Siebenbürgen wird die Kommunikation in unterschiedlichen Muttersprachen zum Prinzip erhoben.

Entschlossen, auf breiter Front und unter bewusster Verwendung der Muttersprachen wurde in Siebenbürgen wie in den anderen Provinzen der Habsburgermonarchie die Methode des Impfens und ihr Nutzen den Bürgern erklärt. Bereits seit 1809 bestand Impfflicht als Voraussetzung für den Schulbesuch in Siebenbürgen. Trotzdem musste im Verlauf des gesamten 19. Jahrhunderts bei der Bevölkerung für das Impfen geworben werden.

Schlagwörter: Heimattag 2023, Dinkelsbühl, Ausstellung, Pandemie, Şindilariu

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