19. August 2023

Chorreise nach Westrumänien: Begegnungen und musikalische Höhepunkte der Siebenbürgischen Kantorei

„Mein schönster Gottesdienst seit dreißig Jahren“ – Das Lob von Pfarrer Kovács Zsombo aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Temeswar ging zu Herzen. Da spielt es fast keine Rolle, ob man an dem einen oder anderen Ton noch feilen müsste. Entscheidend ist doch, was das Herz bewegt, und das hat unsere musikalische Umrahmung des Gottesdienstes mit anschließendem Kurzkonzert ganz offensichtlich geschafft.
Die Siebenbürgische Kantorei in der Synagoge in ...
Die Siebenbürgische Kantorei in der Synagoge in der Innenstadt von Temeswar. Foto: Reinhold Mieskes
Doch beginnen wir mit dem Anfang. Alle zwei Jahre unternimmt die Siebenbürgische Kantorei eine Chorreise. Da es eben eine Chorreise ist, wird nicht nur besichtigt, sondern auch gesungen. Und das ist gut so, denn durch die Auftritte - mal bescheiden klein, mal größer mit eigenem Konzert - kommt es immer wieder zu wunderbaren Begegnungen mit interessanten Menschen.

Wohin sollte es diesmal gehen? Nun ja, schlecht wäre es nicht, wenn man uns dort, wo wir singen, auch verstehen würde. Siebenbürgen hatten wir schon. Schön und problematisch zugleich, denn immer wieder fielen Chorsänger aus, weil sie Bekannte treffen wollten. Aber wie soll ein Chor funktionieren, wenn sich immer wieder mal jemand absetzt. Ein ziemlicher Stress für die Dirigentin, die doch für die Qualität der Darbietungen geradestehen muss.

Wie wäre es mit Westrumänien? Die wenigsten kennen es und die meisten sind nicht aus der Region. Außerdem gibt es dort noch eine deutsche Minderheit. Und schließlich ist Temeswar heuer Kulturhauptstadt Europas. Gute Gründe also, sich diesen Landstrich vorzunehmen und sich darauf vorzubereiten - musikalisch und organisatorisch. Für beides haben wir Experten in unseren Reihen. Andrea Kulin als Chorleiterin und Georg Hutter als Organisator. Beide hatten viel zu tun und haben ihre Aufgaben hervorragend gemeistert, so dass die Chormitglieder sich zurücklehnen und genießen konnten.

Selbstverständlich gehörten intensive Probenarbeit und Auftritte auch dazu. Also volles Programm für die Sänger. Entspannter war es für die Nicht-Sänger (die -Innen sind immer mit gemeint), die etwas mehr freie Zeit hatten. Allerdings haben einige den Proben gelauscht und waren stets ein dankbares Publikum bei unseren Auftritten. Manche überlegen sich sogar, dem Chor beizutreten. Herzlich willkommen. Wir freuen uns auf neue Mitglieder, zumal uns auch immer wieder mal welche verlassen. So verabschiedete sich Angelika Melzer, die unseren Chor mit ihrer Altstimme über einige Jahre unterstützt hat, aber auch über den Gesang hinaus ein engagiertes Chormitglied war. Alles Gute weiterhin, liebe Angelika.

Da die Reise nach Westrumänien (Kreischgebiet und Banat) ging, hat unsere Chorleiterin drei Stücke Banater Komponisten in das Repertoire aufgenommen. „Cantate Domino“ von Guido von Pogatschnigg, eine Vertonung des Psalms 98, „Schilflied Nr 1“ von Richard Oschanitzky, Text Nikolaus Lenau, sowie „An die Entfernte“ von Walter Michael Klepper, wiederum inspiriert von Versen vom Banater Dichter Nikolaus Lenau.

Guido von Pogatschnigg, 1867 in Broos (Orāstie) geboren, wirkte als Generalmusikdirektor des erzbischöflichen Domes in Erlau (Eger), bevor er Direktor der Städtischen Musikschule in Temeswar wurde. Wir besuchten beide Wirkungsorte des Komponisten, zunächst Erlau auf der Hinfahrt. Eine ausführliche Führung brachte uns den Ort mit seinen Sehenswürdigkeiten näher. In Temeswar konnten wir seine geistliche Komposition zu Gehör bringen. „Cantate Domino“ geht tatsächlich ins Ohr. Gut zu singen und schön zu hören. Danke Herr Pogatschnigg.

Der Komponist Richard Oschanitzky, 1901 in Hermannstadt (Sibiu) geboren, war Dirigent des Temeswarer Symphonieorchesters. Ihm verdanken wir sogar eine Operette „Das Mädel aus dem Kokeltal“, die internationale Erfolge feierte.

Und schließlich ist noch der Verfasser des dritten Stückes zu erwähnen, Walter Michael Klepper, der in Lugosch/Lugoj 1929 zur Welt kam und ein umfangreiches Werk für Chöre und Orchester geschaffen hat.

Außer dieser Hommage an Banater Komponisten sang der Chor Werke siebenbürgisch-sächsischer Autoren. Kein Chortreffen ohne eine Komposition von Heinz Acker. Also sangen wir auch in diesem Jahr seine Vertonung der Jahreslosung. Ernst Irtl und Paul Richter durften auch nicht fehlen. Zudem nahmen wir das „Gebet“ von Michael Zikeli, geboren 1847, Lehrer in Reps, Autor zahlreicher Lieder, ins Programm auf.

Und schließlich umfasste das Repertoire ein rumänisches Stück, das viele kennen, aber nur wenige in der Version des Komponisten Vasile Popovici: „Seara pe deal“, Verse von Mihai Eminescu.

Aufgelockert wurde das Programm durch Arien von Georg Friedrich Händel, gesungen von der Sopranistin Johanna Böhme, begleitet von Andrea Kulin an der Orgel und Cornelia Gehlmann-Dinca auf der Querflöte. Die virtuose Flötistin präsentierte zudem solistisch Werke zeitgenössischer Komponisten.

Ein buntes Programm also, das gut ankam und viel (sehr viel) Applaus erntete. Nicht nur nach dem Gottesdienst in der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Temeswar und Großwardein, sondern auch nach dem Konzert in der Synagoge von Temeswar. Vor zahlreichem Publikum (die Synagoge war gefüllt) konnten wir, getragen von der guten Akustik des Raumes, unsere Sangeskraft voll entfalten. Die Zuschauer kamen und blieben und verlangten sogar eine Zugabe. Selbstverständlich war das nicht, denn wir hatten ernstzunehmende Konkurrenz. Im Dom „Zum Heiligen Georg“ konzertierte Franz Metz, Banater Musikwissenschaftler und Organist. Doch auch Dank der Banater Heimattage, die gerade stattfanden, gab es genügend Publikum für die vielen und vielfältigen Veranstaltungen in der Kulturhauptstadt.

Doch wir haben nicht nur gesungen, sondern auch viel gesehen und erfahren.

Die Busreise begann in Nürnberg, für manche schon in Heilbronn. Komfortabel und gut betreut von unserem umsichtigen Busfahrer Volker ging es am ersten Tag bis nach Budapest. Ein Abendspaziergang zur Fischerbastei oder eine Schifffahrt auf der Donau beschlossen den ersten Reisetag. Am nächsten Tag ging die Reise zu unserem eigentlichen Ziel, nach Westrumänien, mit einem Zwischenstopp in Erlau (Eger). Großwardein (Oradea) hat uns alle überrascht. Eine sehenswerte Stadt, die von altem Reichtum zeugt. Eine offensichtlich sehr engagierte Stadtverwaltung hat reichlich EU-Gelder abgerufen, um damit die Stadt zu modernisieren und die herrlichen Fassaden, unter anderem im Jugendstil gestaltet, sorgfältig zu restaurieren. Es wird immer noch fleißig gebaut in der Stadt an der Kreisch.
Die Siebenbürgische Kantorei in der Evangelisch ...
Die Siebenbürgische Kantorei in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Großwardein. Foto: Reinhold Mieskes
Der Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Großwardein, Attila Mátyás, stellte uns seine Kirche für Proben zur Verfügung. Hier fand auch unser erstes Konzert statt vor illustren Gästen: Böcskei László, Bischof der Römisch-Katholischen Kirche, Gyöngyvér Herdeán, Pfarrerin der Reformierten Kirche, Alin Vara, Pfarrer der Griechisch-Katholischen Kirche, Dávid Nagy Shaliach (Vorsitzender) der Messianischen Juden und schließlich Andrea Nagy und György Eva vom Altenheim Heilige Elisabeth.

Die Stadtführerin von Großwardein führte uns zu den historisch und kulturell bedeutsamen Orten der Stadt. Es gab so viel zu sehen. Die Zeit verging viel zu schnell.

Gegessen haben wir auch und zwar besonders gut bei der Schwester einer Chorsängerin, die in Großwardein lebt. Eine perfekte Gastgeberin, die uns zusammen mit ihrer Familie nach Strich und Faden verwöhnte und uns mit ihrer Energie und Herzlichkeit begeisterte.
Die Reisegruppe der Siebenbürgischen Kantorei in ...
Die Reisegruppe der Siebenbürgischen Kantorei in Großwardein/Oradea. Foto: Georg Hutter
Gerne wären wir noch ein paar Tage geblieben, aber es ging nach zwei Tagen weiter Richtung Temeswar. Doch bis dahin legten wir zwei Stopps ein. Der erste bei der Bärenhöhle (Peștera Ursilor), die uns mit ihrer Tropfsteinwelt überwältigte. Die Formationen regten unsere Phantasie an. Wie gerne hätten wir mehr Zeit gehabt in diese Wunderwelt einzutauchen. Doch der Führer hatte sein Programm, also weiter und durch. Das komplett erhaltene Skelett eines Höhlenbären ist einer der Höhepunkte dieser faszinierenden unterirdischen Welt, die erst 1975 entdeckt und seit 1980 besucht werden kann.

Die Wallfahrtskirche Maria Radna bei Lipova war unser nächstes Ziel. Viel zu spät kamen wir hier an. Die Kirche wäre längst geschlossen gewesen, doch in Rumänien ist das nicht so tragisch. Der 72-jährige Pfarrer Andreas Reinholz empfing uns freundlich und erzählte ausgiebig über die Geschichte, die Gegenwart, aber auch die Zukunft dieses bedeutenden Zentrums des Katholizismus im Banat. Ein Sanierungsprojekt im Wert von zehn Millionen Euro hat die Kirche und die angrenzende ehemalige Klosteranlage in einen hervorragenden Zustand versetzt, so dass hier nicht nur Gottesdienste abgehalten werden, sondern auch Tagungen und insgesamt der Kulturtourismus gefördert wird.

Und endlich Temeswar. Kulturhauptstadt Europas 2023, Zentrum der Banater Schwaben, aber auch eine Stadt in der Multikulturalität und Ökumene Alltag sind. Von hier ging die Revolution im Jahr 1989 aus. Eine Gedenkstätte („Memorialul revoluţiei române“) erinnert in erschütternden Bildern daran. Seit drei Jahren ist der Schwarzwälder Dominic Fritz Bürgermeister.
Mitglieder der Siebenbürgischen Kantorei bei ...
Mitglieder der Siebenbürgischen Kantorei bei einem spontanen Treffen mit dem Bürgermeister der Stadt Temeswar, Dominic Fritz. Foto: privat
Auch hier viele Baustellen, aber vor allem viele bereits renovierte Gebäude, die von altem Reichtum zeugen. Besonders um 1900 blühte die Stadt, nicht zuletzt dank der jüdischen Bevölkerung, die prächtige Stadtpaläste, vor allem Bankgebäude, errichtete. Wie in Großwardein, erstrahlen auch hier zahlreiche Jugendstilbauten in neuer Pracht. Der engagierte Stadtführer vermittelte uns einen Überblick und warb überzeugend für diese aufstrebende Stadt. Es ist noch nicht alles perfekt, ja. Man muss in den Restaurants oft lange auf das Essen warten, die Schlange am Frühstücksbüffet im Hotel erinnerte an alte Zeiten… Aber vergessen wir das. Es ist so vieles so viel besser, als es noch vor einigen Jahren war.

Was uns immer wieder beeindruckt hat, ist die kulturelle Vielfalt, die hier gelebt wird. Fast jeder spricht mindestens drei Sprachen, rumänisch, ungarisch und deutsch, aber auch slowakisch, serbisch oder tschechisch. Der Gottesdienst in der Evangelisch-Lutherischen Kirche fand in Deutsch und Ungarisch statt, die Liedblätter waren ebenso zweisprachig, so dass jeder in seiner Sprache singen konnte, während der Pfarrer eine Strophe ungarisch und eine deutsch sang. Die Inschriften in der Kirche sind deutsch, ungarisch und slowakisch. Der Pfarrer erzählte, dass bei der Einweihung der Kirche 1839 das Altarbild von der serbischen Kirche ausgeliehen wurde (da das eigene noch nicht fertig war) und der Chor der katholischen Kirche sang. Das ist tatsächlich gelebte Ökumene.
Die Siebenbürgische Kantorei in der Evangelisch ...
Die Siebenbürgische Kantorei in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Temeswar. Ganz rechts Pfarrer Kovacs Zombor. Foto: Reinhold Mieskes
Im Banat darf eine Weinprobe nicht fehlen. Also besuchten wir das Weingut in Recaș/Rekasch. Die etwas zu flotte Weinverkostung ließ uns die guten Weine dieser Region probieren. Gut sind sie, gar keine Frage. 2020 wurde Rekasch sogar in die Liste der 100 besten Weingüter der Welt aufgenommen. Zudem ist es das umsatzstärkste in Rumänien.

Einige verzichteten auf die Weinprobe und lauschten stattdessen einem wunderbaren Konzert mit Musik von Ligeti, in Martinskirch (Târnăveni) geboren, Mozart und Schubert. Der international gefeierte Dirigent Cristian Măcelariu führte den Dirigentenstab. Er ist gebürtiger Temeswarer.
Die Siebenbürgische Kantorei bei der ...
Die Siebenbürgische Kantorei bei der Weinverköstigung im Weinkeller Rekasch. Foto: privat
Auch die schönste Reise geht einmal zu Ende. Doch nicht bevor wir auf der Rückreise ein weiteres musikalisches Highlight erlebten, wenn auch ohne Musik. Wir besuchten Eisenstadt, den Ort in dem Joseph Haydn viele Jahre seines Lebens verbrachte und im Auftrag seines Schlossherren, der adligen Familie Eszterházy, komponierte. Eine kompetente Führung führte uns durch das Wohnhaus des Komponisten, heute Museum, und schließlich durchströmenden Regen zur Bergkirche, wo Haydn begraben liegt.

Nach einer Übernachtung in Mörbisch am Neusiedler See ging es endgültig heimwärts. Was haben wir nicht alles gesehen, erfahren, erlebt und gesungen. Waren das nur neun Tage? Gar nicht so leicht, alles zu sortieren und einzuordnen. Auf jeden Fall war Westrumänien eine Offenbarung, wie so oft, wenn man nicht zu viel erwartet.

Unser großer Dank gilt in erster Linie Andrea Kulin, der Chorleiterin, die uns durch ein ansprechendes Repertoire und hervorragende Chorleitung zu Hochleistung angespornt hat.

Georg Hutter hat wieder mal bei der Organisation der Reise an alles gedacht. Wir können nur ahnen, wieviel Arbeit dahintersteckt. Wie schaffst du es bloß, stets gut gelaunt und geduldig zu sein? Hut ab.

Selbstverständlich danken wir allen Gastgebern, die uns empfangen und bewirtet haben, sei es privat, sei es in den Kirchenräumen oder der Synagoge.

Zudem gilt unser Dank dem Hilfskomitee der evangelischen Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, das die Kantorei finanziell unterstützt.

Wir freuen uns auf unseren nächsten Auftritt im Oktober in Ingolstadt beim Siebenbürgischen Kirchentag vom 6. bis 8. Oktober, auf die nächste Probenwoche im Januar 2024 in Bad Herrenalb und viele weitere gemeinsame Chorerlebnisse.

Annette Königes

(Beilage "Kirche und Heimat", Siebenbürgische Zeitung, Folge 13 vom 8. August 2023, S. 13-14)

Schlagwörter: Siebenbürgische Kantorei, Reise, Rumänien, Kirche und Heimat, Temeswar

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