14. August 2023

Nach Exkursion auf Schloss Horneck: RUNDGANG aller Klassen der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

Wie jedes Jahr zum Abschluss des Studienjahres fand auch heuer, am Wochenende des 21.-23. Juli, der große RUNDGANG aller Klassen der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart statt. Präsentiert wurden die Arbeitsergebnisse des vorangegangenen Semesters. Mehr als 30 Klassen aus den Bereichen Kunst, Industrial Design und Kommunikationsdesign stellten sich vor, ebenso die Studiengänge Restaurierung, Kunstwissenschaften und Architektur. Im Fachbereich Kunst gab es diesmal ein besonderes Augenmerk auf Siebenbürgen. Die Klasse von Prof.in Hanna Hennenkemper verbrachte auf meine Einladung im April drei Tage auf Schloss Horneck und stellte nun die im Rahmen dieser Exkursion entstandenen Arbeiten auf dem RUNDGANG aus.
Prof.in Hanna Hennenkemper (außen links) mit ...
Prof.in Hanna Hennenkemper (außen links) mit ihrer Klasse und Dr. Heinke Fabritius (Zweite von links) auf Exkursion
Bei dem Projekt ging es nicht nur um die Einübung von Zeichenpraxis und Maltechnik, sondern auch um ganz grundsätzliche Fragen, die unsere gegenwärtige Lebenswelt betreffen, eine davon klingt im diesjährigen Ausstellungstitel an: „Kulturgeschichte(n) aufzeichnen“.

Unsere Kooperation hatte bereits im Wintersemester ihren Anfang genommen. Vor Ort an der Akademie in Stuttgart gab ich ein Einführungsseminar zur Kunst und Geschichte Siebenbürgens, ein weiter Schwerpunkt lag auf dem großen Thema der Zeitzeugenarbeit. Auf dieser Basis konnte dann Ende April der Besuch in Gundelsheim stattfinden, nun standen einerseits das Schlossgebäude, seine Geschichte(n) und die Themenwände im Mittelpunkt, andererseits das Siebenbürgische Museum. Irmgard Sedler führte in die Kulturgeschichte der Nachbarschaften ein, Markus Lörz in die von ihm verantwortete Eduard-Morres-Ausstellung. Schließlich verstand es Horst Müller vom Schlossverein, auf eindrückliche Weise die Studierenden für den Maschinenraum und die historische Heizungsanlage zu begeistern. Die Zeichenstifte in den Händen standen zu keiner Zeit still. Bei einem Termin im großen Festsaal galt es, die Darstellungen der vier Deckenbilder zu entschlüsseln. Keineswegs eine leichte Übung, aber dann doch ein großer Spaß, gefolgt von freudiger Erkenntnis: Allegorien der Jahreszeiten, dazu die Tiere der jeweiligen Sternzeichen! Aus den hier wie dort entstandenen Notaten, Skizzen und Fotografien haben die dreizehn Studentinnen und Studenten danach eindrückliche Semesterarbeiten entwickelt, die nun eben auf dem RUNDGANG 2023 der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, kurz: abk–Stuttgart, gezeigt wurden.

„Kulturgeschichte(n) aufzeichnen“ war der Titel der Klassenpräsentation und für die Gäste des RUNDGANGS erläuterte Prof.in Hanna Hennenkemper das Projekt wie folgt: „Unser Kooperationsprojekt im ersten Studienjahr schlägt eine Brücke vom privaten Ankommen in einen neuen Lebensabschnitt zu den generellen Fragen um Ankommen, Migration und Identität. Als Vorbereitung für unseren Besuch im Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim besuchten wir im Januar 2023 die Ausstellung „Les Choses“ („Die Dinge“) im Louvre, die sich dem sich verändernden und immer neu begründenden Verhältnis zwischen Lebendem und Unbelebtem widmete.

Anschließend bekamen wir im Februar von Prof.in Dr. Andrea Funk aus dem Bereich Konservierung und Restaurierung an der abk–Stuttgart einen Einblick in die Werkstätten und Herangehensweisen. Im Gespräch wurden Wandel und Bedeutung des Umgangs mit historischem Kulturgut erläutert und der Blick auf und der Umgang mit den Objekten aus konservatorischer Perspektive offengelegt. Im April folgte dann die Exkursion nach Schloss Horneck und ans Siebenbürgische Museum. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte Siebenbürgens, den dortigen Objekten und deren musealer Re-Präsentation war unter anderem eine Begegnung mit den Themen Heimat, Verbundenheit und Identität. (…) Wir recherchierten, zeichneten und erörterten vor Ort, inwieweit Migration, Neuanfang und Erinnern über die dargestellten Dinge/Objekte erschlossen werden kann. Die Arbeiten, die alle Studierenden im Anschluss an den Besuch fertigten, geben einen Eindruck davon, wie – oder ob – die bewegenden Inhalte mit persönlichen Interessen und Erfahrungen korrespondieren.“

Carla Brandmaier und Paul Cortot beim Zeichnen ...
Carla Brandmaier und Paul Cortot beim Zeichnen 2023, Klasse Hennenkemper
Mit Hinweis auf Ernst Bloch, dessen Opus Magnum „Das Prinzip Hoffnung“ ausschnittweise in den begleitenden Seminaren diskutiert wurde, verweist Prof.in Hennenkemper auf die mit diesem Projekt an die Studierenden herangetragene Herausforderung, nämlich zu erkennen, wie sehr jedes (bild-) künstlerische Arbeiten danach verlangt, sich über die Formen und Bedingtheiten des eigenen Sehens und Wahrnehmens Klarheit zu verschaffen: „Man muss wissen, warum man die Dinge so und nicht anders sieht,“ sagt sie – und meint damit, dass man verstehen müsse, worin die eigenen Denkweisen begründet sind, was eben auch bedeutet zu wissen, woher man kommt. Gerade das, was mit dem Begriff „Heimat“ umschrieben wird, sei jedoch eine schwierige Sache. So, wie es auch das Bloch-Zitat nahelegt, das der Ausstellung ihren Untertitel gibt: „… etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“ (E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, S. 1628). Einen repräsentativen Eindruck der verschiedenen Arbeitsmethoden und Herangehensweisen, welche die Klassenschau anschaulich zusammenführte, mag ein Blick auf fünf exemplarisch herausgegriffene Positionen gewähren.

So erzählt die Irin Romy Kolich, dass sie beim Besuch des Siebenbürgischen Museums besonders die Rekonstruktion der „guten Stube“ beeindruckt habe. Dabei sei es nicht nur der besondere, ihr fremde Charakter der einzelnen Gegenstände, also beispielsweise der Kissen, Krüge oder auch des schönen Kachelofens gewesen, die sie inspiriert hätten, sondern es habe sie grundsätzlich der Gedanke und das Bedürfnis interessiert, überhaupt erst solche Räume für die Re-Präsentation im Museum zu re-konzipieren und zu re-inszenieren. Drückt das den Wunsch nach Bewahren aus, fragt sie? Das mag der Grund sein, warum sie ihr Bild der „guten Stube“ in einen Rahmen aus gemalten Händen fasst.

Ganz anders geht Carla Brandmaier an die Dinge heran. Es ist vor allem die Führung durch die Kellergewölbe und in den Maschinenraum, die sie fesseln. In kürzester Zeit hat sie ihr Skizzenbuch um mehrere fein und zügig festgehaltene Beobachtungen ergänzt. Danach gefragt sagt sie: „Die Ausstellung zeigt Alltagsgegenstände der geflüchteten Siebenbürger, die Kultur, Lebensweise und Emotionen in sich tragen. Im alten Heizungskeller wurden für mich Objekte interessant, die in der Zeit, als das Schloss als Altersheim genutzt wurde, Alltagsgegenstände waren und – anders als die Dinge der Siebenbürger – noch genau so an ihrem Platz stehen wie damals.“

Romy Kolich: Aus dem Siebenbürgischen Museum ...
Romy Kolich: Aus dem Siebenbürgischen Museum 2023, abk Klasse Hennenkemper
Zart, in luziden Aquarellfarben legt Carina Lukas ihre Beobachtungen an. In nur einer Schicht liegt die Farbe auf dem Papier, umreißt die Gegenstände nicht, sondern ertastet sie von den Flächen her. So hat die Gestalt keine Kontur, sondern erhält ein Vibrieren, als scheine alles nur aus der Vergangenheit auf. „Bei meinem Besuch im Gundelsheimer Museum begegneten mir die Themen Gemeinschaft, Identität und Heimat, und ich wollte diese Themen auf meine eigene Arbeit als Austauschstudentin anwenden. Ein Paar abgenutzter Stiefel im Museum fielen mir auf und verliehen einer Gruppe von Menschen, die ich mir nur im Kopf vorstellen konnte, Persönlichkeit. Ich habe die Stiefel mit meinem eigenen Fokus auf wilde Tiere in häuslichen Räumen kombiniert und auf Toy Story Bezug genommen, um dieser Arbeit ein Gefühl von Nostalgie zu geben.“ So formuliert es die junge Britin in ihrem Begleittext zur Ausstellung, und als wir beide vor dem großen Blatt mit dem Stiefelpaar stehen, wird auch ohne Worte klar, mit welcher Vorsicht sie sich dem Fremden nähert.

„Durch Zeichnung möchte ich Gesehenes sowohl direkt, von der Realität, als auch indirekt, aus der Erinnerung, darstellen. So fordere ich mein Gedächtnis und finde heraus, was sich wirklich eingeprägt hat.“ Kurz und knapp formuliert Paul Cortot sein Tun. Die in zügig- fließendem Strich gefassten Arbeiten sind alle mit Fineliner oder in Bleistift auf gängige Papierformate gesetzt. Bildtitel gibt es keine, sie zeigen Keramiken, die Burg, den Graben, das Himmelreich. Für den RUNDGANG hat er sich etwas Besonderes ausgedacht: Er zeichnet live, jeweils drei Stunden am Tag in Anwesenheit des Publikums. Sein Thema sind zurückgelegte Wege und Strecken aus der Vergangenheit, zum Beispiel der Schulweg oder eine Wanderung, die er jetzt erinnern und unmittelbar auf dem Papier festhalten will. „Mal sehen, an was ich mich erinnere! Und wie ich es erinnere,“ schließt er lachend, und um nicht in Platznöte zu kommen, hat er eine große Rolle Papier besorgt, die den Zeichentisch bedeckt und jederzeit weiter ausgezogen werden kann.

Nicht die einzelnen Objekte, sondern Schloss Horneck mit seiner mehrhundertjährigen Geschichte – als ehemalige Deutschordensburg, als Sanatorium, schließlich als Altenheim und dann der Einzug von Archiv und Museum bis hin zur umfassenden Renovierung und Eröffnung als siebenbürgisches Kulturzentrum – forderte Lukas Klegraf-Gracia heraus. Was macht einen Identifikationsort aus, fragt er. Und: Welche verschiedenen Formen und Möglichkeiten des Erinnerns gibt es überhaupt? Mit welcher Haltung betritt das Publikum dieses Haus? Was sind die Erwartungen, die einen Besuch dieses Ortes begleiten? Vor diesem Hintergrund hat er eine großformatige Zeichnung entworfen, die das Empfinden historischer Distanz und Fremdheit greifbar macht, zugleich aber der Empathie Raum gibt, wenn er ganz vorn im Bild einen Greis inmitten seiner Erinnerungen zeigt.

Später erzählt Carla Brandmaier, wie wichtig für sie diese Exkursion und überhaupt das erste Studienjahr bei Prof.in Hennenkemper waren, um sich der eigenen Wurzeln zu vergewissern. Dazu gehörte auch, die alten Fotokisten ihrer Großeltern hervorzuholen. Diese seien Donauschwaben gewesen, erzählt sie, hätten jedoch nie darüber gesprochen, und jetzt, da sie nicht mehr lebten, müsse sie Wege finden, sich zu informieren. Der Besuch des Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm stehe inzwischen fest auf der Liste für die Semesterferien.

Heinke Fabritius, Kulturreferentin für Siebenbürgen am Sieben­bür­gischen Museum

Schlagwörter: Schloss Horneck, Gundelsheim, Exkursion, Stuttgart, Ausstellung

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