21. September 2023
Jubiläumstagung für Eginald Schlattner in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen
„Wie so oft, wenn ich zu schreiben beginne, passiert es: Angebahntes, vage auf zwei, drei Kapitel angelegt, ufert aus. Die Befürchtung steht im Raum: dass die Erzählfreude ungeahnte Kreise zieht“, bekennt Eginald Schlattner in seinem Roman „Schattenspiele toter Mädchen“. Wer den Rothberger Pfarrer einmal persönlich erlebt hat oder eines seiner Bücher, auch wenn nur um kurz reinzuschmökern, aufgeschlagen hat, kann sich dem Bann seiner mit gut pointiertem Humor durchsetzten Erzählfreude nicht entziehen.

Jubiläumstagung zum 90. Geburtstag von Eginald Schlattner“. Die Tagung fand am 8. und 9. September im „Hans Bernd von Haeften Tagungs- und Konferenzzentrum“ in Hermannstadt statt. Das Interesse an der Tagung war so groß, dass an den beiden Tagen neben den knapp 80 Teilnehmern vor Ort, im Livestream weitere 35 Personen der Veranstaltung beigewohnt haben.

Fälschlicherweise als Spätdebütant bezeichnet, so Dr. Michaela Nowotnick (Deutschland) in ihrem Vortrag: „Das Archiv als Werk und Forschungsgegenstand. Der Vorlass von Eginald Schlattner im Zentralarchiv der Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien“, erntete Schlattner mit seiner ab 1998 erscheinenden Trilogie „Versunkene Gesichter“, dazu gehören die Romane „Der geköpfte Hahn“ (1998), „Rote Handschuhe“ (2001) und „Das Klavier im Nebel“ (2005), einen nicht zu erwartenden Ruhm. Die Bücher halten sich über Monate in den deutschen Bestsellerlisten, werden in renommierten Zeitungen rezensiert, von Radu Gabrea verfilmt („Der geköpfte Hahn“ und „Rote Handschuhe“) und in mehrere Sprachen übersetzt. Nowotnick, die den Schlattnerschen Vor- und Nachlass verwaltet und erforscht, konnte bei der Sichtung des schriftlichen Erbes des Schriftstellers feststellen, dass dieser, obwohl er sich bei der Entlassung aus der kommunistischen Haft versprochen hatte, sich nie wieder schriftstellerisch zu betätigen, nie aufgehört hat zu schreiben. Daher sei die Annahme falsch, dass zwischen seinem Debüt mit der Erzählung „Gediegenes Erz“ (1956) und dem ersten Roman der Trilogie die Schlattnersche Feder geruht haben soll. Das persönliche Archiv zeichnet ein ganz anderes Bild.
Dass der schreibfreudige Eginald Schlattner 1978 das Pfarramt in Rothberg angetreten hat, könnte als eine weitere Fügung Gottes oder des Schicksals betrachtet werden. Wie Dr. Andras Bandi in seinem Vortrag „,Als dort die Frösche quakten, wurde hier Deutsch und Lateinisch gepredigt und gesungen‘ – Von Rothberger Pfarrern (1486-1999)“ nachwies, gehört Schlattner in eine lange Liste Kirchenmänner, die in Rothberg gedient haben und denen das Schreiben nicht fremd war: so z.B. Michael Henning und Simon Schönmann im 16. Jahrhundert, Marcus Fronius im 17. Jahrhundert, Stephan Herrmann und Michael Plantz im 18. Jahrhundert u.v.m.
Jenseits des literarischen Werts seiner Werke sind Schlattners Romane auch Zeitdokumente, die sich nicht einfachen Themen stellen: die deutsche Minderheit im Zweiten Weltkrieg, die politische Verfolgung der vom Stalinismus geprägten 1950er Jahre, die Auswanderung der deutschen Minderheit vor und nach 1989. Eine Analyse der Aufarbeitung der 1940er Jahre, hauptsächlich im Roman „Der geköpfte Hahn“, schlug der Vortrag: „Rassismus, Kolonialismus, Völkermord: Eginald Schlattners ,Der geköpfte Hahn‘ als multidirektionale Erinnerungsarbeit“ von Dr. Florian Gassner (Kanada) vor. In einer vergleichenden Gegenüberstellung mit aktuellen deutschen Tendenzen der Erinnerungskultur untersuchte der Vortrag die Schlattnersche Sprache, Bilderwelt und Darstellungsperspektive. „Die naive Weltsicht des heranwachsenden Erzählers stellt andrerseits überraschende, jedoch sozialgeschichtliche vielsagende Verbindungen zum ideengeschichtlichen Unterbau seiner Gesellschaft her (…)“, meint Gassner.

Die Art, wie die Zeit seiner Inhaftierung in dem Roman „Rote Handschuhe“ seinen Niederschlag fand, wurde von Dr. Maria Sass (Rumänien) chronotopisch in ihrem Vortrag „,Die Welt verschließt sich in Angst. Aber die Zeit wird groß, dass man das Fürchten lernt.‘ Raumkonstruktion und Zeiterfahrung in Eginald Schlattners Roman ,Rote Handschuhe‘“ dargestellt. Die unterschiedlichen, sich immer überschneidenden, chronologischen und geographischen Ebenen widerspiegeln einerseits die von der Haftzelle generierten Enge und Einschränkung, andererseits die Grenzlosigkeit der eigenen Erinnerung und Gedankenwelt, in die der Protagonist des Romans immer und immer wieder flüchtet.
Mit der literarischen Welt Schlattners setzten sich auch die Beiträge von Dr. Gabriella-Nora Tar (Rumänien): „Erinnerte Ungarnbilder in den Werken von Eginald Schlattner“ und von Dr. Andreea Dumitru-Iacob (Rumänien): „,Was im (persönlichen) Gedächtnis bleibt‘ – Eginald Schlattners Roman ,Schattenspiele toter Mädchen‘“ auseinander. Gabriella-Nora Tars Vortrag untersuchte die multiethnischen Darstellungen in Schlattners Romanen, mit einem besonderen Fokus auf die ungarisch-szeklerische Minderheit. Auch wenn eine gewisse ethnische Typologie erkennbar ist, bleibt die Individualisierung jeder einzelnen Gestalt einer der wirklich gekonnten Merkmale der Werke des Rothberger Pfarrers.
Die von dem Ableben vergangener Lieben verursachte Rückblende in „Schattenspiele toter Mädchen“ war Thema des Referats von Dr. Andreea Dumitru-Iacob. Eginald Schlattner soll selber zugegeben haben, dass er diesen Roman nur schreiben konnte, weil alle der im Roman erwähnten Frauen inzwischen verstorben waren. Das lebendig pointierte Referat, auch wenn es das letzte im Programm war, begeisterte das Publikum und hätte auch jeden, der noch nie Schlattner gelesen hat, auf dessen Literatur neugierig gemacht.
Ein gemeinsames Element aller von Eginald Schlattner geschriebenen Romane ist die Tatsache, dass er sich seiner eigenen Vergangenheit, mit allen ihren Höhen und Tiefen, stellt, auch wenn dieses nur auf der Ebene der Fiktion geschieht. Dadurch konfrontiert er sich mittels seiner Romangestalten mit der eigenen Schuld und öffnet sich für eine mögliche Versöhnung. Das schwierige Thema der Schuld und der Vergebung war Inhalt zwei weiterer Vorträge der Tagung. Dr. Thomas Pitters (Österreich) durchleuchtete das Thema: „Schuld-Sühne-Vergebung“ aus theologischer Perspektive. „Wo Vergebung und Versöhnung gelingen, erfahren die Betroffenen eine Möglichkeit des Neubeginns (…). Was nach menschlichem Ermessen unerreichbar schien, wird Realität. Wo Vergebung und Versöhnung gelingen, wird Gott erfahren.“, so Pitters.

Ein besonders emotionsgeladener Moment war dem Vortrag „Mein Vater und die Socken von Hitler“ von Sabine Maya Schlattner, der Tochter des Schriftstellers, zu verdanken. In Anwesenheit des Jubilars, der am 8. September der Tagung beiwohnte, verlas der Cousin der Autorin, der bekannte Journalist Robert Schwartz, den sehr persönlich gehaltenen Text, der Einblicke in das von „Brüchen und Purzelbäumen“ geprägte Schlattnersche Familienleben ermöglichte. So manche Darstellung aus der Perspektive der Tochter überraschte selbst den Vater, der bei manchen Erinnerungen ein Lächeln und einen dazwischen gerufenen Kommentar nicht unterdrücken konnte.

Die Tagung „Die Erde ist gewachsen. Jubiläumstagung zum 90. Geburtstag von Eginald Schlattner“ wurde vom Departement für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der rumänischen Regierung (das durch das Demokratische Forums der Deutschen in Siebenbürgen auch den Druck des Dokumentationsbandes gefördert hat), dem Bundesland Kärnten, dem Zentrum für Evangelische Theologie Ost, dem Evangelischen Freundeskreis Siebenbürgen, dem Institut für Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Beauftragten für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland sowie der Kulturreferentin für Siebenbürgen, Bessarabien, Bukowina, Dobrudscha, Maramuresch, Moldau und Walachei am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim gefördert.
Roger Pârvu
Schlagwörter: Schlattner, Literatur, Tagung, Hermannstadt, Forschung
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