30. Oktober 2023
„Aufhebung der Schwerkraft“: Hellmut Seilers neuer Gedichtband
Mit dem Titel „Aufhebung der Schwerkraft“ ist in schöner Aufmachung des Noack und Block-Verlags, Berlin und mit Abbildungen von Éva Seiler-Iszlai zu „Variationen auf das Thema Schwerelosigkeit“ der neue Gedichtband des aus Siebenbürgen stammenden Autors Hellmut Seiler erschienen. Der Soziologe Anton Sterbling schreibt in seinem Vorwort, dass dieser Band „das Ergebnis einer entfesselten Produktivität“ ist, der den Leser „verblüfft und entführt“ beim „aufmerksamen und pünktlichen Lesen“.

Seine Gedichte lassen sich einteilen: Gedichte, die auf Reisen entstanden sind („Große Oper“; „Begegnungen im Great Bear Rainforest“ 2019 in Canada; „Der Uhrmacher“ in Temeswar 2019; „Romanian angst“ in Bukarest 2009, „Leuchtkäfer in Camaiore“ in Italien, „Halbe Sonnenbrillen“ in Neapel 2019 u.a.). Eine zweite Kategorie seiner Lyrik ist Freunden, Bekannten, Dichtern oder Unbekannten gewidmet, Menschen, die in sein Leben traten und seine Beobachtungen und Erinnerungen lebensecht prägten. Eine dritte und vielleicht die wichtigste Gruppe seiner Lyrik sind die Texte, die seiner Urheimat Siebenbürgen, der Mutter, dem Vater, dem Großvater oder Freunden gewidmet sind. Genau beobachtend beschreibt oder umschreibt er Zustände, Gegebenheiten, Menschen, Orte und Begegnungen, wie 1978 in dem reimlosen, in freien Versen verfassten Gedicht „take it or leave it“ (S. 42), in dem sein rhetorisches Ich Phänomene seines Alltags als widersprüchlich und fragwürdig beschreibt und sich selbst in Frage stellt. Da es sich wie andere Gedichte auch um eine Lyrik handelt, die unter sozialistischen Lebenswelten entstanden ist, fordert sie die besondere Aufmerksamkeit des Lesers heraus. Auch in anderen lyrischen Texten aus jener Zeit werden sozialistische Realitäten geschildert („Die Quelle“, S. 24, „Das Spiel der anderen“, S. 69), es sind Erinnerungen an eine Zeit, als es Zensur gab und die Securitate die Schreibenden kontrollierte und verfolgte. Nur eine staatlich geduldete Literatur konnte gedeihen. Jedoch haben die Dichter und besonders die der Minderheitenliteratur immer wieder Wege gefunden, diese zu umgehen. Auch seine Zungenbrecher „Habent sua fata literae“ (S. 64) oder „Das O und A“ (S. 56) sind nicht nur zum Schmunzeln da, sondern zum Nachdenken. Manche seiner Verse oder Prosaminiaturen beschreiben Dinge des Alltags, die zeittypisch oder traditionell sind, und alltägliche Benutzungsgegenstände: „Die Schürze“ (S. 35); „Gartenclogs“ (S. 29); „Die Taschenuhr“ (S. 73), „Streichhölzchen“ (S. 41); „Der Schwarm“ (S. 72); „Die Straßenbahn“ (S. 6); „Rauchzeichen“ (S. 39) – sie gehören zum Gesamtspektrum eines Autors, zu dessen Stärken gewiss die Selbstironie gehört. Die gegenwärtige Auswahl der Gedichte, analysierend und selbstreflektierend, sind durchaus spannend zu lesen, auch wenn die poetische Notwendigkeit mancher Verse Fragen aufwirft.
Katharina Kilzer
Hellmut Seiler: „Aufhebung der Schwerkraft“. Lyrik, Edition Noack & Block, Berlin, 2023, 142 Seiten, 18,00 Euro, ISBN 978-3-86813-181-9.Schlagwörter: Hellmut Seiler, Gedichtband, Buchvorstellung
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