19. November 2023

Trachten & Co – Gerüstet für die Zukunft? Kulturreferentinnen und Jugendliche des Landesverbands Bayern im Gespräch

Für das Tagungswochenende 21.-22. Oktober in Leitershofen bei Augsburg sowohl eine Referentin aus dem Siebenbürgischen Museum als auch einen Referenten aus dem Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern gewonnen zu haben, war für mich als organisierende Kulturreferentin des Landesverbands Bayern die perfekte Voraussetzung, um neben Aufbewahrung und Konservierung unserer wertvollen Trachten auch einmal darüber zu diskutieren, wie unsere Trachten bei unserem Nachwuchs ankommen.
Kulturreferentinnen und Jugendliche versammelt um ...
Kulturreferentinnen und Jugendliche versammelt um Julia Koch, die aufzeigt, wie man Trachtenteile fachgerecht aufbewahren kann. Foto: Gerlinde Zakel
Im Rahmen der Berichte aus den Kreisgruppen überraschten uns einige Kulturreferentinnen mit neuen Ideen, die sich an der heutigen Lebenswirklichkeit orientieren und dadurch neue Teilnehmer/innen anziehen. Das Problem der sinkenden Bereitschaft, sich langfristig an eine Gruppe des Verbands zu binden, haben alle Kreisgruppen. Besonders erfreulich waren also die Berichte über Gründungen neuer Tanzgruppen nach jahrelanger Abwesenheit. Es zeigt sich einmal mehr, dass Kreativität der Gruppenleiter/innen, die selbst Freude und Hingabe ausstrahlen und nicht lockerlassen, und die Orientierung an den Bedürfnissen der Teilnehmenden den Erfolg garantieren.

Zuhören!

Christa Zahn, Kulturreferentin der Kreisgruppe Würzburg, sagte: „Zuhören! Die Leute äußern schon Wünsche.“ Dasselbe gilt auch beim Umgang mit Kindern, die heute nicht mehr so brav dasitzen, dafür aber gern kreativ mitwirken und sehr wohl zu fesseln sind. Wichtig sei auch der Dank an die Aktiven, immer wieder, denn es sei nicht selbstverständlich, sich für andere einzusetzen. In Ingolstadt entsteht eine Männergruppe, wunderbar! Hauptsache, die Teilnehmenden fühlen sich wohl. Manche Landsleute treten in eine neue Lebensphase und suchen Gemeinschaft. Solche wurden neulich für einen Trachtenumzug begeistert. Über das Wecken von positiven Emotionen können wir auch neue Mitglieder für den Verband gewinnen, denn zufriedene Leute treten gerne ein.

Julia Koch M.A. ist keine Siebenbürger Sächsin, betreut jedoch begeistert seit 2015 die Sammlung am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim. Für diese Stelle hatte sie sich einst beworben, weil ihr die siebenbürgische Kultur lebendig und präsent erschien. Ihr aufschlussreicher Vortrag anhand mitgebrachter Trachtenteile zeigte, dass sie immer noch für diese Arbeit brennt. Zunächst gab sie Tipps, wie man Trachten(teile) optimal aufbewahrt. Faustregel zur Lagerung: dunkel, kühl, sauber und trocken! Liegende Lagerung ist am schonendsten, benötigt aber viel Platz. Textilien sollten wie in getragenem Zustand ausgepolstert werden, am besten mit säurefreiem Seidenpapier/Juwelierseide, nicht mit Zeitungspapier oder Prospekten. Für die hängende Lagerung gepolsterte Kleiderbügel verwenden, wobei die Polsterung aus Vlies mit Überzug aus Baumwolle, Leinen oder synthetischen Stoffen sein sollte. Bei Schürzen und Tüchern sollten die Falten aufgepolstert, Trachtenbänder auf säure- und weichmacherfreie Röhren/Papprollen aufgerollt werden. Hauben, Hüte, Mützen zieht man auf Hutständer oder Styroporköpfe. Wichtig: keine Aufbewahrung in Plastik. Im Kopfschmuck dürfen die Bockelnadeln drinbleiben, nur rostende Nadeln entfernen. Gürtel liegend gestreckt aufbewahren! Zum Transport kann man sie in Leinenbeutel gepackt an die Kleiderbügel hängen.

Konservierung von Textilien

Leder (Mäntel, Brustpelze) mit trockenem Maismehl abreiben. Gegen Staub, Schmutz, Schädlinge (Hautschuppen, Schweiß usw. sind Nährböden dafür) schützt ein Überzug und auch vorsichtiges Absaugen und so weiter. Julia Koch erklärte u.a. vorbeugende Maßnahmen, auch gegen Motten, aber 100%-igen Schutz gibt es nicht. Experten können dann weiterhelfen, z.B. mit Informationen bei der Konservierung: http://www.cwaller.de/deutsch.htm. Restauratoren findet man über: https://www.restauratoren.de/restauratoren-berufsregister/ und bei Konservierungsbedarf hilft z.B. https://deffner-johann.de/de/. Im Wandel von Trachten sieht Julia Koch nichts Schlechtes, findet aber die Dokumentation, wie es früher war, ganz wichtig und rät, alle Infos genauestens aufzuschreiben, möglichst unterlegt mit Fotos. Die von Ines Wenzel und Dr. Ingrid Schiel angestrebte Dokumentation aller Trachten findet sie sehr sinnvoll.

Die Tracht entstauben?

Im April gab es in Kloster Banz die Tagung „Was uns anzieht – Trachten der Deutschen aus dem östlichen Europa zwischen Ästhetik, Politik, Mode“. Dort sagte eine Referentin: „Die Tracht kann man entstauben, indem man Teile der Tracht im Alltag trägt.“ Die Vorstellung, dass eine Braut auf ihr Brautkleid einen Spangengürtel oder dass Männer im Alltag ihren Trachtengürtel auf Jeans tragen könnten, führte auch in Leitershofen zum Nachdenken und zu unterschiedlichen Meinungen. Und Emotionen. „Aus einem Gewand wird erst durch Emotionen eine Tracht!“, sagte Alexander Karl Wandinger, unser Referent zum Thema „Trachten & Co – Fragen statt Antworten“.

Sehnsucht nach alter Heimat?

Wandinger ist der Leiter des Zentrums für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern auf dem Gelände des Klosters Benediktbeuern, eine namhafte Adresse für die Sammlung und wissenschaftliche Erforschung historischer oberbayerischer Kleidungskultur. Das Motto dieser Forschungsstätte: „Nichts ist so beständig wie der Wandel“. Dem Referenten ist es wichtig, einen neuen Blick auf das Thema Tracht zu werfen, er regt eine kritische Auseinandersetzung damit an. Er fragt, was mit den Menschen passiert, die den Heimatverlust erlitten haben. Ist ihr Blickwinkel von der Sehnsucht nach der alten Heimat geprägt? Diese Sehnsucht ist höchst subjektiv. Kann es sein, dass die Erlebnisgeneration hier in der neuen Heimat ihre nicht ausgelebten Wünsche in das Tragen der Tracht setzt? Die Schnittstelle zwischen Ästhetik (Finden wir uns selbst in Tracht schön?), Politik (Die Patriziertracht repräsentierte unseren Nationalstolz.), Mode (Man bediente sich schon früher modischer Elemente aus der Umgebung.) und den Menschen sind in der Trachtenwelt die Emotionen, ein sehr lebendiger Raum, in dem wir uns mit unserer subjektiven Brille begegnen.

Er fragte weiterhin: Müssen unsere Trachten immer original gehalten werden? Das und was bei Trachten eigentlich original ist, sollte überdacht werden. Wissen wir immer, was das Beste für uns und unsere Kinder ist, kennen wir ihre Bedürfnisse oder übertragen wir unsere Bedürfnisse auf den Nachwuchs? Der Referent schloss mit: „Warum fragen wir nicht öfter die Jugendlichen nach ihrer Meinung? Was wünschen sich Jugendliche, damit sie sich in der Tracht wohlfühlen?“

Die Diskussion danach zeigte auf, dass das Thema in einigen Tanzgruppen unseres Verbandes schon angekommen ist und auch emotional damit umgegangen wird. Nicht neu sind die Klagen, in welchem Ton oft Jugendlichen Fehler beim Tragen der Tracht vorgehalten werden. Dann gab es Aussagen wie „Mein Kind wollte seine Tracht auch im Alltag tragen, aber die ist was ganz Heiliges und muss im Schrank bleiben. Was sage ich meinem Kind?“ „Bei der Europeade hätten wir gerne eine Sommertracht!“ „Ich zieh die Tracht gerne an, aber ich fühl auch anders.“ „Ich wünsche mir, die Tracht so zu tragen, dass ich mich wohlfühle.“ „Es gibt nur Regeln: Du musst die Tracht so und nicht so tragen! Das sind Verpflichtungen, es ist sehr aufwändig. Man will dabei sein, aber es ist schwierig und viele schreckt es ab.“ „So ein Aufwand! – Und dann ist es das Letzte, wenn man auch noch angeschnauzt wird!“

Alexander Wandinger ergänzt, dass auch Jugendliche in bayerischen Gruppen Probleme haben, z.B. mit Tattoos oder Piercings, die mühsam abgedeckt werden müssen. Bockelnadeln werden schon als Schmuck im Alltag getragen, stellen wir fest. Der Referent meint dazu, dass das Tragen einzelner Trachtenteile im Alltag eine Identifikation mit der Tracht bedeutet: „Wenn was für mich stimmt, ist das O.K. Für Veränderungen gibt es kein Rezept, die sollten in der Gruppe diskutiert und verhandelt werden, um eine gemeinsame Haltung zu finden.“

Die Aussage einer Jugendlichen lautete: „Wir sind ständig im Präsentationsmodus.“

Die Ausgangsfrage der Tagung betrachtend denke ich, dass wir für die Zukunft gerüstet sind, wenn wir uns diese und ähnliche Fragen stellen und zusammen mit den Jugendlichen nach Antworten suchen.

Ich danke der Referentin und dem Referenten für das Interesse an unseren Trachten und ihre wertvollen Tipps sowie den Kulturreferentinnen für ihre konstruktive Mitarbeit bei der Tagung. Dem Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen danke ich für die Förderung dieser Tagung, die aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales stammt.

Doris Hutter
Kulturreferentin des Landesverbands Bayern

Schlagwörter: Bayern, Tagung, Trachten

Bewerten:

15 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.