30. November 2023

Zwischen Ausreisewunsch und Anpassung – Deutsche im kommunistischen Rumänien

Dr. Paul Bagiu studierte Betriebswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und Geschichte an der FernUniversität Hagen. Seine Dissertation, die er 2019 an der RWTH Aachen verteidigte, erschien 2020 im Hermannstädter Honterus-Verlag unter dem Titel „Die Geheimsache ›Kanal‹ – Analyse der staatlich vermittelten Aussiedlung Rumäniendeutscher in die BRD (1968–1989) nach markttheoretischen Gesichtspunkten“. Der folgende Vortrag, den er am 21. Oktober 2023 auf Einladung der Stiftung des Gerhart-Hauptmann-Hauses und des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Düsseldorf hielt, fußt auf Erkenntnissen, die er im Rahmen seiner Promotion gewonnen hat, und beschäftigt sich mit Anpassungsformen der Rumäniendeutschen an die Verhältnisse im kommunistischen Rumänien.
Dr. Paul Bagiu sprach in Düsseldorf über die ...
Dr. Paul Bagiu sprach in Düsseldorf über die Aussiedlung der Deutschen aus Rumänien. Foto: Anna Dengel

Ausreisewunsch

Die Entwurzelung der deutschen Minderheit in Rumänien während des Zweiten Weltkriegs, bedingt u.a. durch Flucht oder die Zugehörigkeit zu reichsdeutschen Armeeverbänden, stellte nur den Beginn der jahrzehntelangen Familientrennung dar. Sie setzte sich später durch die Deportation in die Sowjetunion sowie Anfang der 50er Jahre durch die Deportation in unwirtliche Gebiete Rumäniens fort, während Zurückgebliebene unter dem Verlust ihrer Bürgerrechte, unter politischer Verfolgung und Zwangsenteignungen litten. Als Antwort auf die erlittene Unterdrückung sowie die getrennten Familienbande äußerten viele Rumäniendeutsche den Wunsch nach Aussiedlung in die Bundesrepublik. Dieser Wunsch blieb selbst nach der Verbesserung der Rechtslage der Deutschen in Rumänien und trotz voranschreitender Familienzusammenführung erhalten. Er wurde mit der Zeit durch die sozio-ökonomische Schieflage in Rumänien, die erzwungene gesellschaftliche Gleichschaltung aller Bevölkerungsgruppen sowie die Einschränkung der Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit genährt. Angespornt durch die in Deutschland herrschenden Freiheiten und den materiellen Überfluss, sahen viele Deutsche in Rumänien keine Zukunft mehr für sich und für ihre Kinder. Mit zunehmender Migration verstärkte sich auch der Ausreisedruck auf die Zurückgebliebenen: das gewohnte Umfeld löste sich auf, unbekannte Gesichter zogen in die leeren Häuser ein – geplagt von Einsamkeit bemühten sich nun die Zurückgebliebenen auch um die Ausreise.

Anpassung

Während der Wunsch zur Ausreise immer größer wurde, wirkten der Prozess an sich und seine Folgen hemmend auf die Ausreisebereitschaft und verlangte von den Rumäniendeutschen eine gewisse Anpassung an die Verhältnisse im sozialistischen Rumänien. Ausschlaggebend hierfür war zunächst einmal die sog. „Aufklärungsarbeit“ (auch „Überzeugungsarbeit“ genannt) der rumänischen Behörden, die den Zusammenhalt zwischen kommunistischem Staat und den im Land lebenden Minderheiten propagierten. Auf die deutsche Minderheit bezogen, galt es u.a. Ausreisewillige im Sinne eines Verbleibs in Rumänien zu beeinflussen, dies aus wirtschaftlichen (Verhinderung des Abflusses gutausgebildeter Arbeitskräfte), aber auch aus Prestigegründen (der Ausreisewunsch galt als Affront gegenüber dem „Paradies der Werktätigen“ und als Wasser auf den kritischen Mühlen des Westens). Die „Aufklärungsarbeit“ wurde von einer Anzahl von Maßnahmen begleitet, die Deutsche von der Ausreise abbringen sollten: Ausreisewillige Rumäniendeutsche verloren oftmals kurzfristig ihre Arbeit, Antragsteller wurden mit willkürlichem und brüskierendem Verhalten seitens der zuständigen Behörden konfrontiert sowie Minderjährige aufgrund der Ausreiseanträge ihrer Eltern in ihrer schulischen Laufbahn benachteiligt. Zudem wurden von Ausreisewilligen hohe Gebühren in Valuta verlangt und die Erteilung der Ausreisegenehmigung mit Enteignungen, dem Verkauf von Eigentum weit unter Wert sowie der Erpressung von Gefälligkeiten verknüpft. Für einen Verbleib in Rumänien sprach zudem die Liebe zur angestammten Heimat, die Trauer, die Gemeinschaft zurückzulassen, ohne die Gewissheit eines Wiedersehens, die Angst vor Vereinsamung in Deutschland, eine mögliche Scheidung, falls der Partner an der Auswanderung nicht interessiert war und bei Lehrern, Pfarrern oder Ärzten die moralische Pflicht gegenüber den Zurückgebliebenen. Nicht zuletzt waren es befürchtete Schwierigkeiten eines Neubeginns in der Bundesrepublik, gepaart mit möglicher Entfremdung, Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg, ja sogar dem Widerstand der deutschen Bevölkerung, die in den Neuankömmlingen eher Osteuropäer als Deutsche sah, die hemmend wirkten.

Sowohl der Ausreisewunsch als auch das Ausharren in Rumänien waren mit Zugeständnissen der Deutschen an das sozialistische System verknüpft. Für die Ausreisewilligen hieß Anpassung, auf die Forderungen rumänischer Behörden einzugehen und die Chancen zur Ausreise, trotz langwieriger, undurchsichtiger Prozesse, aufrechtzuerhalten. Der Ausweg über die illegale Ausreise – etwa über die grüne Grenze – brachte rechtliche Konsequenzen für den Flüchtenden und seine Hinterbliebenen sowie Risiken für Leib und Leben mit sich. Der Verbleib in Rumänien bedeutete wiederum rechtliche Gleichstellung mit der Bevölkerungsmehrheit, womöglich auch Minderheitenrechte, wie etwa muttersprachliche Bildung sowie Presseorgane oder Kulturereignisse in eigener Sprache. Damit ergaben sich bessere berufliche und politische Karrierechancen, man war nur einer „durchschnittlichen“ Überwachung durch die Staatsorgane ausgesetzt und nicht zuletzt, die Chancen eines Widerstandes gegen den ethnischen und politischen Homogenisierungsdruck der Regierung stiegen.

Im Folgenden wird ein Überblick über verschiedene Anpassungsformen geboten, einige davon im Umfeld der Aussiedlung, andere wiederum eher im Umkreis der Bleibewilligen:

Zahlung illegaler Gebühren zur Beschleunigung der Ausreise

Illegal waren diese meist in Valuta erfolgten und bereits seit Mitte der 50er Jahre dokumentierten Zahlungen schon aufgrund des im sozialistischen Rumänien herrschenden Devisenverbotes – Devisen kamen entweder über Verwandte aus der Bundesrepublik illegal nach Rumänien oder wurden auf dem Schwarzmarkt erworben. Die Umsetzung dieses meist mündlich abgewickelten Systems oblag der Securitate mit Unterstützung des Innenministeriums. Die vermutete Implikation der Sicherheitsorgane – allein diese begründete die Straffreiheit der rumänischen Vermittler – sowie die Aussichtslosigkeit des langwierigen, undurchschaubaren Ausreiseverfahrens brachten aber die Betroffenen dazu, am Gebührensystem teilzunehmen.

Für die Rumäniendeutschen war dieses Verfahren risikoreich, denn sie bewegten sich meist außerhalb der rumänischen Gesetze, ohne eine garantierte Ausreise, dafür aber mit langjährigen Schulden bei Verwandten und Freunden. Zudem war es sowohl nach Meinung vieler Rumäniendeutschen als auch der Bundesregierung eine Benachteiligung einkommensschwacher Gemeinschaftsmitglieder mit weniger zahlungskräftigen Verwandten im Ausland. Im Falle gemischter Ehen, in denen die Ausreisegebühren gar die bevorzugte Aussiedlung von Menschen anderer Ethnie ermöglichten (Rumänen, Ungarn etc.), wurde das Verfahren besonders hinterfragt. Nicht zuletzt trugen die geleisteten Zahlungen zur Stabilisierung kommunistischer Machtstrukturen bei und benachteiligten Zurückgebliebene, etwa wenn aus den erhaltenen Devisen Überwachungs- oder Polizeitechnik beschafft wurden.

Die von den Ausreisewilligen zu zahlenden Summen waren unterschiedlich und wurden auf 6.000 bis 16.000 DM pro Person beziffert. Hinzu kamen überall dort, wo Ausreiseanträge eingereicht wurden – ob in Temeswar, Arad, Hermannstadt, Kronstadt oder Bukarest – weitere Forderungen in rumänischer Währung. Allein in Temeswar berichtete der zuständige „Hauptkassierer“, Milizhauptmann Viorel Bucur, von mehreren Millionen DM und etwa sieben Milliarden Lei. Auch soll die Miliz den ausreisewilligen Deutschen im Banat einen besseren Platz auf der Warteliste gegen Gebühr angeboten haben. Zudem sollen bei der Einsammlung von Schmiergeldern nicht nur Milizangehörige, sondern auch Banater Schwaben behilflich gewesen sein. In Arad wiederum genehmigte die Securitate dem beauftragten Kassierer, einem ehemaligen Securitate-Offizier, den Kauf eines deutschen PKW, um ihm mehr Seriosität bei seinen Klienten zu verleihen. Diese und andere Maßnahmen zeugen von einem wohldurchdachten Plan, möglichst viel Geld – insbesondere Devisen – zu kassieren; sie sprechen aber auch von der Bereitschaft der Rumäniendeutschen Bände, angesichts der sich verschlechternden sozio-ökonomischen Lage und der intransparenten Verfahren zur Ausreisegenehmigung, jeden Strohhalm, der sie näher an die Auswanderung brachte, zu ergreifen.

Erbringung von Gefälligkeiten im Zuge der Ausreisebemühungen

Die rumänischen Behörden und Vermittler verlangten von den Ausreisewilligen unzählige Gefälligkeiten. Diese reichten von der Vermittlung und Besorgung bestimmter Waren im Inland (etwa Wein, Schinken oder Speck) und Ausland (meist über die dort ansässigen Verwandten oder Freunde) bis hin zur Anwerbung der Ausreisewilligen für Spionagedienste an ihrem alten oder neuen Wohnort. Am Beispiel der Vereinnahmung für Spionagedienste wird deutlich, dass der Sachverhalt, egal welchen Ausgang er nahm, für die Securitate von Vorteil war: Verweigerten die Deutschen aufgrund von moralischen Bedenken die Zusammenarbeit, blieben sie gegebenenfalls in Rumänien und man konnte sie als Erfolg der „Aufklärungsarbeit“ verbuchen. Willigten sie andererseits ein und unterschrieben eine Verpflichtung, konnte die Securitate sie als Informanten nutzen, ob zur Beobachtung der in Deutschland ansässigen Gemeinden oder berufsbezogen, in technischen und sicherheitsrelevanten Bereichen. Selbst bei versagter Zusammenarbeit am neuen Wohnort verblieb der Securitate noch die Möglichkeit der Erpressung oder der Diskreditierung unter Nutzung der bereits vor der Abreise unterschriebenen Verpflichtung.

Gemischte Ehen

Die deutsche Minderheit in Rumänien war über Jahrhunderte für ihre konservative Praxis bekannt, überwiegend innerhalb ihrer ethnischen Gruppe zu heiraten. Dieser Brauch hatte den Erhalt des Deutschtums in Rumänien begünstigt und Assimilierungsbestrebungen seitens der ungarischen und rumänischen Regierungen entgegengewirkt. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Zahl gemischter Ehen mit deutscher Beteiligung aus unterschiedlichen Gründen:
  • Die soziale und ökonomische Zerschlagung der deutschen Gemeinden vor und nach der Machtübernahme der Kommunisten (etwa durch Deportation und Umsiedlung) hatte nicht nur zur Folge, dass die Möglichkeiten der Ausübung der deutschen Sprache stark eingeschränkt wurden und der Bezug zur deutschen Kultur bei einem Teil der Rumäniendeutschen langsam, aber stetig verloren ging, sie verspürten gleichzeitig auch weniger Druck seitens der Gemeinschaft hinsichtlich ihrer Heiratsoptionen;
  • Die Verkleinerung der Gemeinden infolge des Krieges und der Deportation, aber auch der später einsetzenden Familienzusammenführung, reduzierten die Partnerwahlmöglichkeiten innerhalb der Gemeinschaften dauerhaft;
  • Die Wahl eines Partners aus einer anderen Ethnie – insbesondere rumänischen – konnte vor allem ab der zweiten Hälfte der 40er Jahre bis Ende der 50er Jahre mehr soziale und ökonomische Sicherheit bedeuten (etwa Schutz vor Deportationen oder Enteignungen). Zu diesem Zweck geschlossene Scheinehen konnten sogar die Zeit der Gefahr überdauern und zu einer dauerhaften Beziehung heranwachsen;
  • Die erfolgte Enteignung deutscher Vermögensgüter – ob Häuser, Fabriken, Geschäften – und ihre Überstellung vor allem an rumänische Nutzer führte oftmals dazu, dass die ehemaligen Eigentümer nun zusammen mit den Neuankömmlingen auf engstem Raum wohnen oder arbeiten mussten. Daraus entstanden oftmals Spannungen, aber auch freundschaftliche Beziehungen, die ihrerseits in Mischehen münden konnten;
  • Die kommunistische Praxis des Einsatzes junger Absolventen nach Beendigung ihrer Hoch- und technischen Schulen fernab ihrer Heimatgemeinden wurde bei Angehörigen ethnischer Minderheiten besonders streng umgesetzt, so dass die interethnischen Heiratsoptionen in diesen Fällen bei weitem überwogen.
Die Zunahme gemischter Ehen, ein Nebenprodukt der Zersplitterung deutscher Gemeinden, führte ihrerseits zum Verlust der Gruppenidentität. Ohne Anbindung an die Gemeinschaft verwässerten bei vielen Rumäniendeutschen über die Jahre die Sprachkenntnisse, Bräuche und Gewohnheiten wurden abgelegt (etwa durch den Übertritt zum meist rumänisch-orthodoxen Glauben des Ehepartners) und es erfolgte eine verstärkte Anpassung an die neue Umgebung (politisch von höchster Ebene erwünscht). Dem standen die Vorteile einer stärkeren Integration in die rumänische Gesellschaft gegenüber, die es den betroffenen Rumäniendeutschen ermöglichte, die Außenseiterrolle mehr oder weniger abzulegen (etwa im Falle von Deutschen, die den Familiennamen ihres rumänischen Ehepartners annahmen). Zudem verbesserten die umfangreichen Rumänisch-Kenntnisse die Chancen am Arbeitsmarkt sowohl bzgl. der Aufnahme in Betrieben als auch hinsichtlich der Aufstiegsmöglichkeiten.

Die Evangelische Kirche in Rumänien und der kommunistische Staat

Trotz der wachsenden Aussiedlungsbereitschaft der deutschen Minderheit, gab es auch Einzelpersonen oder Minderheitenorganisationen, die in der Aussiedlung die Zerstörung des Deutschtums in Rumänien erkannten. Hierbei tat sich die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien (EKR) hervor, die für die Aufrechterhaltung der deutschen Lebensgrundlagen in Rumänien eintrat. In diesem Sinne war die EKR bestrebt, vor allem die Ausreisebereitschaft deutscher Intellektueller, insbesondere von Pfarrern und Lehrern, die als Integrationsfiguren deutscher Gemeinden galten, einzudämmen. Sie vereinbarte deshalb mit der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) ein Beschäftigungsverbot für in die Bundesrepublik ausgereiste Pfarrer, und EKD-Vertreter behaupteten sogar, deutschen Christen sei Ende der 80er Jahre – also zur Zeit der größten Unterdrückung – ein Leben in Rumänien möglich. Die EKR appellierte zudem an das Berufsethos deutschstämmiger Lehrer, die durch ihre Ausreise einen negativen Einfluss auf die Bildung und die Deutschkenntnisse ihrer Schüler ausübten. Damit avancierte die EKR aus Sicht vieler betroffener Rumäniendeutschen zu einer weiteren, moralischen Druck ausübenden Instanz, neben den staatlich-rumänischen Instanzen.

Die Einstellung der EKR-Führung wurde vielerorts kritisiert, etwa mit dem Hinweis, die Kirchenleitung würde Privilegien und den Zufluss von erheblichen materiellen Gütern, u.a. auch aus der Bundesrepublik, genießen und „nicht in vollem Maße das bedrückende Schicksal der verbliebenen Deutschen“, Pfarrer miteingerechnet, teilten. Möglich wurden diese Vorteile, weil die EKR, ähnlich wie die Orthodoxe Kirche, im kommunistischen Rumänien den Status einer Körperschaft mit staatlich anerkannten Funktionsstatuten besaß, anders als die Katholische Kirche, die nur toleriert wurde und am Rande des Gesetzes funktionierte. Der Status einer Körperschaft war mit gewissen Rechten verbunden, darunter die offizielle Anerkennung kirchlicher Hierarchien sowie des Pfarrerberufes, die teilweise Entlohnung von Geistlichen durch den Staat sowie ein eigenes deutschsprachiges Theologisches Institut in Hermannstadt, dessen Finanzierung wohl auch staatlicherseits erfolgte. Und nicht zuletzt: Als rechtmäßige Institution stand die EKR weniger im Blickfeld der Securitate als vergleichbare Institutionen, die ihre pastorale Tätigkeit am Rande des Gesetzes ausübten.

All dies verlangte aber „Opfer“, denn die Bischöfe der Evangelischen Kirche schrieben ähnlich wie ihre orthodoxen Kollegen pflichtgemäß ihre Glückwunsch- und Ergebenheitstelegramme an die Staats- und Parteiführung, dies auf Veranlassung des Staatssekretariats für Kultusangelegenheiten, das die Arbeit der Kirchen und Kulte überwachte. Es gibt sogar Hinweise, dass die Kirchenführung kritische Äußerungen an die Adresse des Regimes zur Abwendung eigener Nachteile zu unterbinden versuchte. Eine bekannte Episode betraf Herta Müller, rumäniendeutsche Literaturnobelpreis-Trägerin von 2009 und seit 1987 in der Bundesrepublik ansässig, die von ihrer Ausladung vom Deutschen Evangelischen Kirchentag im Jahr 1989 berichtete. Dieses Vorgehen wurde Jahre später von der EKR, auf deren Veranlassung es erfolgte, mit der Befürchtung vor „Anfeindungen gegen die rumänische Staatsführung“ seitens der Ausgeladenen begründet. Als Antwort auf eine derartige Provokation erwartete die EKR nämlich restriktive Maßnahmen seitens der rumänischen Sicherheitsorgane, Maßnahmen aus denen ein „nicht wiedergutzumachender Schaden“ für die Kirche entstanden wäre.

Die zurückhaltende, teils sogar auch ohne Druck unterwürfige Position der Kirchenführung gegenüber dem kommunistischen Staat rief kritische Stimmen aus der Basis an die Adresse der oberen Ränge hervor. Und die Aussage Bischofs Christoph Klein vom 22. Dezember 1989 („Wir sind betroffen: über unsere eigene Schuld, Unrecht nicht genug beim Namen genannt zu haben“) wirkte wie ein spätes Eingeständnis dieser Schuld. Zwar äußerte das betroffene Kirchenvolk – ob Pfarrer oder Laien – einerseits Verständnis für die Nöte einer Kirche unter politischer Belagerung und dem daraus erwachsenen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, jedoch bemängelten sie, dass die Kirche aufgrund fehlender klarer Richtlinien zwischen Anpassung und Eigenständigkeit oftmals handlungsunfähig wirkte: zwar hätte die politische Führung, die vollkommene Unterwürfigkeit erwartete, solche klare Richtlinien ggf. als Kampfansage auffassen können, aber ihr Fehlen wirkte sich negativ auf das kirchliche Leben und die Entscheidungsfähigkeit auf allen Ebenen aus. Wie anders sollte ein junger, ordinierter Pfarrer mit schwangerer Frau denken, der zum Militärdienst zwangseingezogen wurde, angesichts des Schweigens der Kirchenoberen? Das gleiche Schweigen traf ihn, als er später Opfer von Verhör und Hausdurchsuchung durch die Securitate wurde. Einem anderen wurde die Wiederaufnahme der Pfarrtätigkeit nach Jahren politischer Haft vom zuständigen, etwas voreingenommenen Bezirksdekan mit den Worten „Ich brauche keine gezeichneten Schafe in meinem Kirchenbezirk“ verwehrt. Das Gefühl, von ihrer Kirche während der Haft allein gelassen worden zu sein, beschlich die Opfer – und nicht nur – oftmals auch in der „Freiheit“.

Noch ein Beispiel aus den 70er Jahren, als Pfarrer angehalten wurden, Berichte über alle Gespräche mit Ausländern an die Securitate zu übermitteln. Die Verletzung des Beichtgeheimnisses stand im Raum und machte vielen Pfarrern zu schaffen. Wäre es nicht möglich, allein über solche Gespräche zu berichten, die tatsächlich die Sicherheit des Staates betrafen? Die Antwort der Securitate: Dazu seien die Pfarrer „nicht in der Lage“, „der Gesprächsinhalt müsse von Fachleuten eingesehen werden“. Und die Kirchenleitung blieb ob der vielen Bevormundung auch diesmal weitgehend wortlos. Einige Ältere versuchten zu beruhigen, doch verwirrten sie nur noch mehr: Es könne doch niemand vorschreiben, was einer berichtet. Damit wurde die Verantwortung ganz auf den Einzelnen abgewälzt, die Kirche entzog sich ihrer. Was wäre, wenn der fremde Gesprächspartner selbst Einzelheiten an die Securitate weitergab, erzwungen oder freiwillig? Oder der Pfarrer die Wahrheit einem Kollegen anvertraute, der selbst der Securitate Bericht erstattete? Die Pfarrer wurden damit in ihrer Entscheidung und ihren moralischen Bedenken allein gelassen. Spätestens jetzt hätten die Jungen auf den Einwand der Älteren hin fragen müssen: Falls sie aufgrund einer Unterlassung, wie sie ja indirekt von der Kirchenführung empfohlen wurde, von der Securitate belangt wurden, wie gedachte die EKR ihnen zur Seite zu stehen? Zu fragen traute sich aber keiner.

Ein mögliches Fazit: „Die Kirchenleitung konnte zur Zeit der kommunistischen Diktatur die seelischen Nöte einzelner Pfarrer durch Empathie und gute Worte lindern, sie konnte oder wollte aber nicht dort eingreifen, wo es um offensichtliche willkürliche Akte der Staatsgewalt ging.“ Diese Akte betrafen aber insbesondere den Einzelnen, das Ganze blieb jedoch unangetastet, zur Zeit der Diktatur und auch danach. Daher „nur“ ein allgemeines Schuldbekenntnis von Bischof Christoph Klein, selbst lange nach Beendigung der Diktatur. Und auch dieses abgemildert, etwa durch die Begriffe „politische Schuld“ und „politische Haftung“: gemäß diesen tragen die einzelnen Bürger eines Landes selbst die Schuld an der Entstehung der Diktatur, da sie diese geduldet haben. Und auch den Bürgern anderer Länder, wo Diktatur herrschte, wurde die Duldung zur Last gelegt. Warum man immer auch auf andere schauen muss und sich nicht einfach auf die eigene Schuld konzentrieren kann, sei dahingestellt.

Mitarbeit in und Zusammenarbeit mit sozialistischen Organisationen

Als Gegenmaßnahme zur wachsenden Aussiedlungsbereitschaft der Rumäniendeutschen wurden rumänische Institutionen aller Art sowie Sicherheitsbehörden, angehalten, ihre Aufklärungsarbeit mit Ausreisewilligen zu intensivieren und die Errungenschaften des Sozialismus im Vergleich zu den Schattenseiten der Bundesrepublik (Arbeitslosigkeit, Entfremdung, Konkurrenzkampf etc.) hervorzuheben. Hierzu wurden auch deutsche Minderheitenorganisationen herangezogen, die in Zusammenarbeit mit KP-Funktionären die Koordination der „Aufklärungsarbeit“ sowie weiterer punitiver Maßnahmen gegenüber Ausreisewilligen (dazu gehörten Entlassungen, soziale Anprangerung, Enteignungen und Zwangsverkauf von Eigentum etc.) übernahmen. Auch galt es für diese Minderheitenorganisationen, eine möglichst enge Einbindung der Rumäniendeutschen in den Personenkult um den rumänischen Diktator Nicolae Ceaușescu sowie in den Dunstkreis der KP Rumäniens zu erreichen.

Dies wäre mit den alten rumäniendeutschen Eliten, die kritisch den Sozialismus sowjetischer Prägung beäugelten, nicht zu erreichen: in Siebenbürgen standen sie einer überwiegend bäuerlich und religiös-traditionalistisch geprägten Gemeinschaft vor, während die deutsche Arbeiterbewegung im Banat eher bürgerlich und sozialdemokratisch ausgerichtet war, mit wenig Berührungspunkten zum Kommunismus. Neue Führungspersönlichkeiten mussten also her, solche, die den Sozialismus befürworteten und bereit waren, ihre ethnischen Gruppeninteressen dem Aufbau neuer Gesellschaftsstrukturen unterzuordnen oder zumindest die Werte und die Ideologie des neuen Systems in ihrer Gemeinschaft zu tragen. Männer wie Koloman Müller, Anton Breitenhofer, Eduard Eisenburger, Richard Winter oder Emmerich Stoffel, um nur einige Namen zu nennen, schienen aufgrund ihres politischen, sozialen und beruflichen Hintergrundes geeignet zu sein, die neuen Aufgaben zu erfüllen.

Neben den unterschiedlichen Ebenen der KP Rumäniens sowie weiterer staatlicher Organisationen standen demnach den Anpassungswilligen auch eine Reihe von deutschen sozialistischen Organisationen als Anlaufstellen zur Verfügung. Zu diesen gehörte das 1949 gegründete und bereits 1953 aufgelöste Deutsche Antifaschistische Komitee für Rumänien (später Antifaschistisches Komitee der deutschen Werktätigen in Rumänien) als Organisation der deutschen arbeitenden Bevölkerung. Damit wurden die Deutschen in Rumänien als „mitwohnende Nationalität“ mit gleichem rechtlichem Status wie die anderen nationalen Minderheiten anerkannt. Die Aufgaben dieser Organisation umfassten den „Kampf gegen den (deutschen) Nationalismus“, aber auch die Beseitigung des Zusammenhaltes der deutschen Volksgruppe. Damit war sie eher auf die Überwachung und Gleichschaltung der Rumäniendeutschen und weniger auf die Förderung ihrer Autonomie ausgerichtet. Die Führung des Komitees erkannte zudem sehr früh den Einfluss westlicher Besucher, Politik und Medien auf den Wunsch der Rumäniendeutschen, in die Bundesrepublik auszusiedeln – im Ergebnis galt es diese sog. „reaktionäre Propaganda“ in all ihren Erscheinungsformen einzudämmen. Ähnliche Ansichten vertrat auch der Rat der Werktätigen deutscher Nationalität, gegründet 1968. In einem seiner ersten Beiträge zur rumänischen Politik erklärte dieser pflichtbewusst: „Wir sind uns dessen bewusst, dass das Schicksal der Werktätigen deutscher Nationalität eng verbunden ist mit jenem des rumänischen Volkes, mit diesem Boden der Ahnen, dass unsere Zukunft jene des sozialistischen Rumäniens, unser gemeinsames Vaterland, ist.“ Diese Meinung stimmte mit der offiziellen Linie der Partei und v.a. Ceaușescus überein, der „die Zukunft der deutschen Bevölkerung aus Rumänien (…) an der Seite der Rumänen“ sah, um gemeinsam den Aufbau des Sozialismus voranzubringen. Also war die Ausreisebereitschaft der meisten Rumäniendeutschen ein Dorn im Auge ihrer offiziellen Vertreter. Die Ursachen für die Ausreise, wie etwa der Wunsch nach besseren Lebensbedingungen und Selbstentfaltungsmöglichkeiten, wurden als minderwertige Ziele abgetan, entsprungen allein aus materiellen Überlegungen sowie fehlender politischer Indoktrination. Paradoxerweise wurde hier ein Großteil des Personenkreises, den diese Organisationen zu vertreten hatten, in herabwürdigender Weise behandelt. Allein der Umstand, man sei aus dem Westen zum Verlassen der Heimat „verführt“ worden, schien die Schuld der Ausreisewilligen zu mildern, doch war dies ein zweischneidiges Schwert: Wer verführt wird, hat kein eigenes Urteilsvermögen und benötigt somit die strenge Führung der Partei, womit wir wieder bei der „Aufklärungsarbeit“ wären.

Rumäniendeutsche arbeiteten zudem mit den Sicherheitsorganen im kommunistischen Rumänien zusammen, etwa mit der Securitate. Die Anwerbung betraf Rumäniendeutsche mit kommunistischem Hintergrund sowie solche, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu früheren NS-Organisationen in Rumänien – beispielsweise der Deutschen Volksgruppe in Rumänien – oder anderweitig (durch den Besitz von Valuta, aufgrund illegaler Aktivitäten oder der sexuellen Orientierung) erpressbar, ggf. sogar für materielle oder berufliche Gegenleistungen empfänglich waren. Sie wurden in der frühen Phase der Volksrepublik zur Erkundung angeblicher nationalistischer Bestrebungen innerhalb der deutschen Minderheit oder zur Ermittlung kritischer Äußerungen an die Adresse des kommunistischen Regimes eingesetzt. Später stand der Ausreisewunsch im Mittelpunkt ihrer Berichte. So erfuhr die Securitate von Aussagen deutscher Besucher in Rumänien, die von den Freiheiten und dem Wohlstand in der Bundesrepublik berichteten und die im engsten Familien- und Freundeskreis getätigt wurden. Sie nutzte diese Aussagen oftmals, um die Bewegungsfreiheit der bundesdeutschen Besucher in Rumänien oder gar deren Einreise ins Land zu erschweren, denn sie galten in den Augen rumänischer Kommunisten als Agenten des Westens und als Promotoren der Aussiedlung.

Die Zusammenarbeit von Rumäniendeutschen mit der Securitate erfolgte auf unterschiedlichen Ebenen. Die erste Stufe stellte die freiwillige oder erzwungene Lieferung von Informationen, sporadisch oder auf regelmäßiger Basis. Im nächsten Schritt erfolgte eine schriftliche Verpflichtung gegenüber der Securitate, wobei auch in diesem Fall die Zusammenarbeit unterschiedliche Intensitätsstufen erreichte: manche Quellen waren nur sehr begrenzt aktiv und, falls sie doch Bericht erstatteten, enthielten diese nicht oder nur wenig Belastendes zur Zielperson. In solchen Fällen kam es vor, dass – abhängig vom angestrebten Ziel – seitens der Securitate weiterer Druck auf Informanten ausgeübt wurde oder aber diese als unproduktive Quellen ausgesondert wurden. Andere Quellen wiederum taten sich durch die Anzahl der gelieferten Informationen hervor, handelten proaktiv und ließen sich als Belastungszeugen in Prozessen gegen andere Minderheitsangehörige missbrauchen. Nicht zuletzt gab es auch Rumäniendeutsche, die als aktive Kader der Securitate aus ideologischer Überzeugung oder aus Eigeninteresse handelnder Teil des Unterdrückungsapparates wurden.

Deutsche Presse und Autoren in Diensten des rumänischen Sozialismus

Die Gründung deutschsprachiger Zeitungen – Neuer Weg, Volkszeitung (später Karpatenrundschau), Hermannstädter Zeitung (später Die Woche), Die Wahrheit (später Neue Banater Zeitung), Neue Literatur (ehemals Banater Schrifttum) etc. – gehörte zu den vom kommunistischen Regime anerkannten Minderheitenrechten. Bereits die Namen vieler dieser Publikationen – ob Neuer Weg, Volkszeitung oder Die Wahrheit („Prawda“?) – waren politisch angefärbt. Konkreter wurde es, sobald ihre Hauptaufgabe genannt wurde: die Ideologie sowie die politischen, sozialen und ökonomischen Vorstellungen der Regierenden an ihre Leserschaft zu vermitteln. Dazu gehörte etwa die Vorstellung der „‚werktätigen Deutschen‘ als ‚fortschrittliche‘ Nationalität, die mit den reaktionären ehemaligen ‚Hitleristen‘ und ‚Ausbeutern‘ keine ‚deutsche Einheit‘ mehr bilden, sondern ‚verbrüdert‘ mit den anderen Nationalitäten arbeiten und leben“. Damit war die deutsche Presse national nur in der Form – also der Sprache nach –, im Inhalt aber sozialistisch, was auch an den verwendeten Begriffen erkenntlich wurde, etwa dann, wenn nicht mehr von deutscher Kultur, sondern nur noch von „deutschsprachiger“ Kultur die Rede war.

Die Ansichten der politischen Führung wurden zudem durch die regelmäßige Verkündung von „Erfolgen“ an der „sozialistischen Arbeitsfront“, durch die mühlenartige Wiedergabe der Parteipropaganda, durch Prosa-Texte und lyrische Beiträge im Proletkult-Stil des sozialistischen Realismus sowie durch Huldigung der Person Ceaușescus und der Partei wiedergegeben. Sogar vor Hetze gegen einzelne Personen, sei es reiche Bauern (Kulaken), ehemalige Fabrikbesitzer oder Politiker, machten die Zeitungen nicht halt, ungeachtet der damit zusammenhängenden Gefahren für das Wohl der betroffenen Personen. Dass viele dieser Artikel nicht unterschrieben oder mit Pseudonym gedruckt wurden, kann als Zeichen des inneren Widerstandes gegen derartige Tätigkeiten, die einem regelmäßig als beruflichen Beitrag zum Aufbau des rumänischen Sozialismus abverlangt wurden, angesehen werden. Es könnte aber auch Angst gewesen sein, in Verruf bei der eigenen Leserschaft zu geraten, denn nicht jedem war ein Coming-out bzgl. seiner Nähe zur Partei zuzutrauen. Auch die Ausreisebereitschaft war ein häufiges Thema in den deutschsprachigen Zeitungen: in eigenen Beiträgen oder als Erklärungen ihrer Leser wurden die „Liebe zur Partei“ sowie die „guten Lebensbedingungen“ im sozialistischen Staat gepriesen, mit der Absicht die Ausreisebereitschaft zu unterbinden.

Die deutschen Autoren in Rumänien wiederrum mussten sich in Folge des Übergangs zur kommunistischen Kulturpolitik doppelt anpassen: zunächst weg von der nationalen Färbung und dem Traditionalismus hin zum realen Sozialismus. Aber auch Letzterer funktionierte nicht ohne Zensur, denn Sachen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt sagbar waren, waren es zu anderer Gelegenheit nicht. Die Anpassung barg aber auch positive Auswüchse in sich, denn sie eröffnete Möglichkeiten der Selbstdarstellung für die deutsche Minderheit. So wurde der national-patriotischen Lesart der rumänischen Geschichte, die auf die Einheit des Staatsvolkes ohne Berücksichtigung nationaler Minderheiten pochte, seitens deutscher Medien die eigene Minderheitengeschichte entgegengestellt. Die Vorgaben der Zensur führten jedoch zur paradoxen Situation, wonach beide Geschichtsfärbungen der Partei zu verdanken waren.

Dass in solchen Fällen die deutschen Periodika auch mal gegeneinander und allgemein gegen deutsche Autoren wetterten – v.a. der Neue Weg als „zentralem Parteiblatt der Deutschen in Rumänien“ – war nicht zu vermeiden. Noch besser jedoch als die Kritik regierungstreuer Medien funktionierte die sog. „Selbstzensur“, die, das Publikationsverbot und damit den Verlust der eigenen Lebensgrundlage vor Augen, in den Köpfen der meisten Autoren schwirrte.

Dr. Paul Bagiu

Schlagwörter: Aussiedlung, Vortrag, deutsche Minderheit, Rumänien

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