26. Februar 2006

Claus Stephani: Vom Ende der Menschlichkeit

Vor Jahresende erschien im internationalen Bukarester Hasefer Verlag ein neues Buch von Claus Stephani: „A fost un Ștetl în Carpați. Convorbiri despre viața evreilor din Vișeu” (Es war ein Schtetl in den Karpaten. Erinnerungsgespräche über das Leben der Juden in Oberwischau). Es handelt sich dabei um die erweiterte rumänische Ausgabe des Bandes „War einer Hersch, Fuhrmann. Leben und Leiden der Juden in Oberwischau“, der bereits 1991 im Frankfurter Athenäum Verlag herausgebracht wurde.
Der aus Kronstadt stammende Schriftsteller und promovierte Ethnologe hat in den letzten fünfzehn Jahren mehrere Bücher und Studien zum nordsiebenbürgischen Judentum in deutscher, italienischer, rumänischer, polnischer, hebräischer und russischer Sprache veröffentlicht. Zuletzt erschienen seine „Ostjüdischen Märchen“ im renommierten Eugen Diederichs Verlag, München, die inzwischen auch ins Italienische und Rumänische übersetzt wurden.

Der nun vorliegende Band wurde dem Leserpublikum während der internationalen Buchmesse „Gaudeamus“ in Bukarest vom Kulturwissenschaftler und Verleger Prof. Alexandru Singer als ein „Novum auf dem Gebiet der rumänischen Erzählforschung“ vorgestellt. Der Siebenbürger Dr. Claus Stephani, heißt es, habe in zahlreichen Befragungen „einen einmaligen Beitrag zur Oral History Rumäniens“ geleistet, indem er Zipser Sachsen in Oberwischau, einer Kleinstadt im Wassertal (Maramuresch), über jüdische Nachbarn und das Zusammenleben mit anderen Ethnien vor dem Faschismus befragte. Das Buch wurde von der rumänischen Presse äußerst lobend aufgenommen und erfreute sich bei der Messe und in den Wochen danach einer „ungeahnten und ungewöhnlichen Nachfrage“, teilte der Verlag mit.


Es sind 16 Erinnerungsgespräche, die, in der Art von fokussierten Interviews, wie es in der Erzählforschung heißt, mit dreizehn deutschen und drei jüdischen Einwohnern in Oberwischau geführt wurden. Diese Gesprächspartner Stephanis gehören verschiedenen Berufsgruppen und Generationen an: der jüngste ist ein katholischer Priester, Volkskundler und Buchautor Anton-Joseph Ilk, der älteste ist der Schafhirte Mendel Friedmann. Friedmann und die beiden anderen jüdischen Gewährspersonen, eine Hausfrau und ein Schneider, sind Überlebende des Horthy-Faschismus, der den Holocaust in Nordsiebenbürgen ausgelöst hat.

Was den Leser schon im Vorwort beeindruckt, ist die Tatsache, dass es vor der faschistischen Ära, d.h. vor 1940-1944, in diesen abgelegenen und pittoresken Gebieten Nordsiebenbürgens keinen öffentlichen Antisemitismus gegeben hat. Es war ein beispielhaftes gutnachbarliches Zusammenleben, das den Alltag prägte – besonders zwischen Zipser Sachsen und Juden, die oft miteinander deutsch sprachen. Im familiären und engeren Freundeskreis wurde dann die alte Mundart, das Zipserische bzw. das Jiddische gepflegt. Von den damals rund 13 000 Einwohnern Oberwischaus waren etwa 5 000 Deutsche, 5 000 Juden, 2 000 Rumänen und 1 000 Ruthenen (Ukrainer). Die Deutschen lebten in „ihrem“ Stadtteil, der „Zipserreih’“ (d.h. Zipser Reihe, Siedlung), die Juden im so genannten „Schtetl“.

Die jüdische Bevölkerung pflegte in den letzten 200 Jahren ein reiches und vielfältiges Kulturleben. So gab es in Oberwischau außer Schulen, Synagogen und Bethäusern auch eine jiddische Lokalzeitung, „Unsere Stimme“, und einen Verlag, der Publikationen in hebräischer Sprache und Ansichtskarten druckte. Die schmerzliche Zäsur, die 1942 mit den ersten Deportationen nach Kassa (Kaschau, heute Kosiæe, damals in Oberungarn), von dort in ungarische Arbeitslager und später nach Auschwitz-Birkenau einsetzte, ist nachher niemals mehr ganz verheilt.

Monate bevor die knapp 400 Überlebenden – von einst 5 000 – im Spätsommer 1945 nach Oberwischau zurückkehrten, hatte man deutsche Männer und Frauen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Es waren ausgerechnet diejenigen, die sich in der Zeit des Faschismus menschenwürdig verhalten hatten und meinten, sie hätten nichts zu befürchten. Der verhasste Ortsgruppenleiter und die verschiedenen Horthysten und Nazis waren rechtzeitig in westlicher Richtung geflohen.

Eine Annäherung und Versöhnung zwischen Zipsern und Juden bahnte sich erst um 1948/49 langsam an, als die ersten „Russlandheimkehrer, gezeichnet von Leid und Schmerz“, eintrafen. Bis dahin hatte man seitens der Behörden die deutschen Einwohner pauschal als „Hitleristen“ eingestuft, beschimpft und verfolgt. Nach 1948 begannen dann die jüngeren jüdischen Einwohner nach Israel auszuwandern; und etwa 40 Jahre später, im Frühjahr 1990, folgte lawinenartig der große Exodus der Zipser Sachsen. Heute gibt es in Oberwischau noch knapp 800 Deutsche, doch keinen einzigen Juden. Ein Kapitel interethnischer Toleranz von beeindruckender Vielfalt und Menschlichkeit ist zu Ende.

Über diese Ereignisse berichten die Gewährspersonen ausführlich im Buch, das durch ein Gespräch mit dem ehemaligen deutschen Schulleiter, Paul Lahner, eingeleitet und mit den Aussagen von Baila Rosenberg, Mendel Friedmann und Moses Pollak abgeschlossen wird. Dabei stellt der Schneidermeister Pollak, sich rückbesinnend auf die einstige kleine „heile Welt“ im Wassertal, die schicksalhafte Frage: „Aber der Frieden, wo ist der geblieben?“ Und darauf weiß niemand eine Antwort.

Die einfühlsame Übersetzung stammt von Ruxandra Georgeta Hosu, für die ansprechende Buchgestaltung zeichnet Done Stan. Geschichtliche Zeittafel Oberwischau und Literaturverzeichnis ergänzen den wissenschaftlichen Wert des Buches. Es ist in rumänischen Buchhandlungen erhältlich und zu bestellen beim Hasefer Verlag, Bukarest, Telefon: (00 40) 21-3 08 62 08, E-Mail: hasefer@rdslink.ron.

M. Czekelius


Schlagwörter: Rezension

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