5. Oktober 2006

Hans Bergel: Siebenbürgens europäische Dimension

Ende 2005 erschien in der Reihe Eckart-Schriften eine kleine Sammlung von sechs kulturhistorischen Studien Hans Bergels. Der Titel „Gedanken über Europa. Südöstliche Blickpunkte“ bezeichnet exakt den Kulturraum und die Kulturorientierung, um die es dem in historischen Kategorien und Dimensionen denkenden Schriftsteller immer wieder geht, wie neuerlich sein letzter, großer Roman „Die Wiederkehr der Wölfe“ zeigt. So wie er seine „Herkunftslandschaft Siebenbürgen“ nur im größeren Konnex der südosteuropäischer Kulturräumlichkeit letztlich für interpretierbar hält, so den Südosten nur in dem der gesamteuropäischen.
Es ist seine besondere Gabe, dies mit Eloquenz so verständlich zu machen, dass ein neues Licht auf diesen dem Westeuropäer nur schwer entwirrbaren Fragenkomplex fällt. Sogar Menschen, die meinen, den Südosten in seiner Vielschichtigkeit zu kennen, erfahren von Bergel Aufschlüsselungen, die ihnen nie bedachte Aspekte eröffnen. Das gilt nicht zuletzt für den Großteil der Siebenbürger.

Die sechs Studien heißen: Die Gesichter und das Gesicht Südosteuropas; Gotik unter der Hohen-Tatra; Stationen eines bedeutenden Südosteuropäers (Honterus); Prinz Eugen und die Folgen (das Banat); Die großen Jahrhunderte (das Siebenbürgen der Renaissance); Dunja, die Herrin (das Donaudelta).


Mit genialem Blick für die Zusammenhänge und außerordentlicher Detailkenntnis breitet Bengel seine Darlegungen aus. Das zeigt bereits die Eröffnungsstudie „Die Gesichter und das Gesicht Südosteuropas“: 1994 vom Bayerischen Rundfunk in drei Serien ausgestrahlt, lernen wir die Studie hier weitgehend überarbeitet in neuer überzeugender wie bestechender Fassung kennen. Von der Psychologie des Fluches bis zur Kunst, von der dramatischen Geschichte bis zum Hirtentanz wird der Raum zwischen Kreta und Siebenbürgen, zwischen der Adria und der Bukowina als eine Einheit der unterschiedlichsten nationalen Gesichter erfasst und gedeutet. Normannen auf Sizilien, Venetianer auf Zypern, germanische Völker in Siebenbürgen, Skythen, Römer, Byzantiner – es ist fesselnd, wie aus diesen und den übrigen „ethnischen Herkünften“ nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart erklärt wird. Hier davon auch nur in Schlagworten eine Vorstellung geben zu wollen, ist unmöglich. Es empfiehlt sich, diese Studie schon wegen der neuen, unerwarteten Gewichtung kennen zu lernen, die das siebenbürgisch-sächsische Element auf diese Weise erfährt.

Diese Studie bildet den Hintergrund der übrigen Beiträge. Was der Kunsthistoriker Bergel über das – von den Slowaken lange totgeschwiegene und usurpierte – gotische Kunsterbe der Zipser Sachsen mitteilt, wie ungewohnt und außerhalb abgegriffener Klischees er über den geistigen Horizont des Johannes Honterus, über den Türkenbesieger Prinz Eugen und das Banat schreibt, das offeriert Einblicke in die deutschen Beiträge zur Geschichte Südosteuropas, die man auf diesem Niveau nicht oft zu lesen bekommt. Ohne Zweifel zum Faszinierendsten des schmalen Bandes gehören die Ausführungen über das „europäische Siebenbürgen der Renaissancezeit“. Vom „Klassiker“ Honterus abgesehen, ist die Fülle überragender Siebenbürger des 15./ 16. Jahrhunderts auch dem Kenner siebenbürgischer Geschichte kaum vertraut. Dass eine dieser Renaissancegestalten – sehr wahrscheinlich ein Siebenbürger Sachse – als Vertrauter des ausdehnungsmächtigsten deutschen Kaisers, den es je gab – Karl V. –, an der Lenkung der Geschicke des Reiches teilhatte, wissen nur wenige. Ebenso dass einer der historisch beachtlichsten Bürgermeister der Kaiserstadt Wien aus Siebenbürgen stammte. U.v.a. Wohl hat Bergel diese Namen nicht entdeckt, doch ihre Präsentation und Einordnung in die europäischen Ereignisse: das ist sein Verdienst. Dies alles, und manches Vergleichbare mehr, liest sich spannend wie ein Kriminalroman, ist bereichernd und dank der konkreten Daten Horizont erweiternd: Bergel nimmt das Siebenbürgen jener Jahrhunderte mit unwiderstehlicher literarischer Geste nach Europa herein. Den Schluss des stilvoll bebilderten Bandes bildet Bergels vielleicht schönste Landschaftsschilderung: „Dunja, die Herrin. Erinnerungsbilder aus dem Donaudelta“.

Wer sich selbst, Verwandten oder Freunden auf knappem Raum und in handlicher Taschenbuchform kurzweilige Informationen über den Südosten, über Siebenbürgen aus ungewohntem Blickwinkel und in moderner Darstellung zum Geschenk machen will, ist gut beraten, nach den „Gedanken über Europa“ zu greifen.

Dr. Melitta Kenst


Hans Bergel: Gedanken über Europa. Südöstliche Blickpunkte. Eckartschrift 179. 112 Seiten, 19 Bilder, ISBN 3-902350-16-4. Zu bestellen zum Preis von 7,40 Euro, zuzüglich 1,00 Euro Porto, bei: Österreichische Landsmannschaft, A-1080 Wien, Fuhrmannsgasse 18A, Rufnummer: (00 43) 1-408 22 73-2, Faxnummer: (00 43) 1-40 22 882; E-Mail.

Schlagwörter: Rezension, Bergel, Südosteuropa

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