28. Januar 2009

Fanal Nordsiebenbürgen 2008

„Das kann doch nicht wahr sein! Günter, was hast Du uns hier geliefert?“ Dies war Horst Göbbels erste Reaktion beim Betrachten der DVD „FANAL – Finale Fragmente – Nösnerland/ Siebenbürgen 2008“, die der siebenbürgische Regisseur Günter Czernetzky jüngst insbesondere den Nordsiebenbürgern auf den weihnachtlichen Gabentisch gelegt hat. Im Folgenden rezensiert Horst Göbbel die neue DVD.
Irgendwie ganz natürlich bot es sich 2008 nach dem verheerenden Brand der evangelischen Stadtpfarrkirche Bistritz – womit der Betrach­ter am Anfang konfrontiert wird – an, dem Film über das Nösnerland den Titel „FANAL – Finale Fragmente aus dem Nösnerland“ zu verleihen. Ist dieses Fanal, ursprünglich eine Fackel, eine Leuchte, ein Leuchtfeuer, ein Signalgeber, ist dieses Fanal ein die Aufmerksamkeit erregendes, ein tiefgreifendes, gravierende Veränderun­gen ankündigendes Zeichen für ein folgenreiches, symbolträchtiges Ereignis in Nordsieben­bürgen?

Vordergründig mag man den Kirchen­brand als dieses singuläre Ereignis sehen, in Wirklichkeit ist es wohl der seit etwa 60 Jahren anhaltende unaufhaltsame Niedergang des siebenbürgisch-sächsischen Lebens in der Bistrit­zer Gegend. Es mag ja stimmen, dass diese 30 großartigen, vom Untergang einer Kultur erzäh­lenden Bilder dem Zuschauer bewusst machen: da ist nichts mehr zu retten, da ist alles Sieben­bürgisch-Sächsische vorbei; aber die mit Nord­siebenbürgen Verbundenen haben ein Anrecht auch auf ein wenig Hoffnung. Wir sind zwar weg, aber unsere Spuren sind noch da, etwa unsere kulturell wertvollen architektonischen Hinterlassenschaften. Zwar oft in einem beklagenswerten Zustand, aber sie sind da und rufen nach unserer Hilfe. Wenn wir das Notwendige nicht initiieren, wenn wir das nicht tun, was überhaupt noch möglich ist – durch Spenden an die noch dort die Fahne Hochhaltenden, durch Mahnen, Handanlegen, umfassende Hilfeleistun­gen (durch Rat und Tat), wer soll es dann tun? Werden wir durch diesen Film darin bestärkt?

Soll das der Film sein, der nach eigenem Wol­len des Autors neben Informationsvermittlung auch – und in besonderem Maße – Identitäts­stiftung verspricht? Können etwa die endlosen Friedhofsszenen wirklich Identität stiften? Im Film fehlt weitgehend der deutliche Akzent auf die kulturelle Leistung unserer Vorfahren, auf die Notwendigkeit, vorzeigbare Leistungen (das können neben Kirchen auch typische siebenbür­gisch-sächsische Häuserzei­len oder Einzelge­bäude sein) zu sichern, erhalten, renovieren ...

Der Film vermittelt eine recht einseitige und oft eingeengte Verliebtheit in Grabstätten. Wir wissen, dass unsere Zeit in Siebenbürgen ge­zählt zu sein scheint, aber gibt es nur dieses rückwärtsgewandte siebenbürgisch-sächsische Bild? Der Zeitdruck, der bei der Fertigstellung des Films offensichtlich geherrscht hat, ist bei seinem Betrachten leider zu deutlich wahrnehm­bar. Ihm fehlt eine klare Ordnung, eine klare Linie. Der Film entpuppt sich als ein Konglome­rat und leider kaum als ein sauber durchdachtes Ensemble. Ihm fehlen zumindest einige Hin­weise genereller Art über Nordsiebenbürgen, seine sächsische Vergangenheit, min­destens in Form eines knappen Vorspanns (schriftlich oder mündlich).

Die DVD vermittelt eine sehr bruchstückhafte und für die einzelnen Ortschaften sehr un­gleich­mäßige Information, auch durch die sehr unterschiedlich zusammengefügten Teile und deren Bearbeitung bzw. Nichtbearbeitung. Da wird in den von anderen Autoren übernommenen Teilen manchmal in rumänischer Sprache Wesentliches erklärt, das verstehen viele, meist die jungen Nordsiebenbürger (und nicht nur sie) eigentlich nicht; da bräuchte man zumindest deutsche Untertitel. Mit dieser DVD kann somit nur bedingt Öffent­lichkeitsarbeit geleistet werden. Wir wollen ja auch praktische Folgen unserer Arbeit sehen, z. B. die Spendenbereitschaft für unsere erhaltungswürdigen Kulturdenkmäler entfachen bzw. vorantreiben. Wir wollen Personen gewinnen, die sich hier und vor Ort praktisch dafür engagieren. Aber ich könnte mich ja auch täuschen!

Für diese „DVD-Anthologie“ hat Günter Czer­netzky auch Arbeiten von Kollegen eingebaut. So werden z. B. sehr informative Kirchenpor­traits von Dragoș Tudor und Alex Mihăilescu präsentiert. Weitere Mitarbeiter und Koautoren für die sehr impressionistischen Berichte (etwa Alexandru Mânzat, Lászlo Dudas und Ursula Ambach) haben viel Abwechslung produziert. „Auf eine Kommentierung wird weitgehend verzichtet. So müssen die Bilder eben das ‚Spre­chen‘ erlernen!“, meint der Filmemacher.

Der Einstieg über das brennende Bistritzer Kirchenjuwel lässt aufhorchen, lässt uns zittern, lässt uns aber auch hoffen. Der Wie­der­aufbau muss vorankommen. Rein künstlerisch gesehen, dokumentieren viele Szenen das Können, die Verliebtheit des Autors in seine Motive sehr klar, ob dies nun Grabsteine in Petersdorf, in Wer­mesch oder in Klein-Bistritz sind, Altäre in Jaad oder Wallendorf, gerettete Kirchen mit Ikonosta­sen in Deutsch-Budak oder in Mettersdorf, Gar­tenarbeiten in Burghalle, Pferdewägen in Senn­dorf, Ruinen der Senndorfer oder der Jakobsdor­fer Kirche, Zigeunerkinder beim Entziffern von Grabsteininschriften in St. Georgen, betende Menschen in Kuschma, die Einweihung des Ad­ventkindergartens in Heidendorf, Landschaften oder Szenen aus dem Schulleben im ehemaligen deutschen Gymnasium in Bistritz. Die Kamera­führung, zum Teil die musikalische Unterma­lung, die Auswahl der Szenen sind oft hinreißend. Man wird als Betrachter hineingenommen in diese vertraut-fremde Welt, man kann sich an den markanten Landschaften richtig er­freuen. Günter Czernetzky gibt zu, er habe das Nösnerland lieben gelernt und der „Schmerz über diesen kollektiven Verlust“ sitze auch bei ihm sehr, sehr tief.

Vielleicht besteht der Reiz dieser DVD mit ihren 30 impressionistischen, autonomen Mini-Dorfportraits gerade darin, dass ihr Autor uns ein aneinandergefügtes, praktisch unkommentiertes, heftige Kontroversen auslösendes Film­produkt bietet, das uns keineswegs einschläfert, das uns eher wachrüttelt, das uns fragend hinterlässt. Vielleicht gelingt es Günter Czernetzky dennoch, mit seiner unkonventionellen Art des Filmemachens aufzuzeigen, dass es sich noch lohnt, für (Nord-)Siebenbürgen etwas Vernünf­tiges zu tun, auch wenn die Realitäten vor Ort zum Teil grausam sind.

Haben Sie den Film schon gesehen? Versäumen Sie es nicht, dieses Fanal selber zu beurteilen.

Horst Göbbel

Die DVD „FANAL – Finale Fragmente – Nösner­land/Siebenbürgen 2008“ ist zum Preis von 25 Euro bzw. bei Sammelbestellungen (ab 10 Stück) zum Subskriptionspreis von 20 Euro pro Stück zu bestellen bei Bettina Schubert, Fritschestraße 77, 10585 Berlin.

Schlagwörter: Rezension, DVD, Nordsiebenbürgen

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Neueste Kommentare

  • 28.01.2009, 18:28 Uhr von AW-Nösen: Die Rezension war dringend notwendig, nach der Resonanz, welche der DVD folgte. Jedoch muss man ... [weiter]
  • 28.01.2009, 08:40 Uhr von bankban: Ist eine gute Rezension, da Anteil nehmend, einfühlend und dennoch die Distanz wahrend. Bankban [weiter]

Artikel wurde 2 mal kommentiert.

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