29. Juni 2009

Harald Meschendörfer: "Ich werde von hier nicht wegziehen"

Er war der älteste Sohn des Schriftstellers, Dichters und Sprachpädagogen Adolf Meschendör­fer (1877-1963), des Herausgebers der Kulturzeitschrift Die Karpathen (1907-1914) und 93. Rektors des Honterusgymnasiums. Der Großvater war Kaufmann gewesen und besaß in Kron­stadt eine Modewarenhandlung, und der Urgroßvater hatte in Petersberg, Honigberg und Kron­stadt als Lehrer gewirkt. Die Mutter, Cornelia Sabine Rhein (1887-1963), entstammte einer alteingesessenen Kronstädter Handwerkerfamilie; ihr Vater hatte in Azuga die erste Tuchfabrik südlich der Karpaten gebaut und wurde einer der wohlhabendsten Männer Kronstadts.
In diesem gesellschaftlichen Umfeld der einstigen, traditionsgeprägten siebenbürgischen Bourgeoisie wurde am 14. Juni 1909 Harald Meschendörfer geboren. Er wuchs in einem Haus auf, das „ganz im Zeichen von Adolf Me­schendörfers literarischem, kunsterzieherischem und im weitesten Sinne pädagogischem Wirken stand“, wie die Kunsthistorikerin Juliana Fabri­tius-Dancu in ihrer monographischen Veröffent­lichung 1984 schreibt. Seine zeichnerische Bega­bung wurde – wie auch bei anderen jungen Kronstädtern – schon während der Gymnasial­zeit ab 1920, durch den bekannten Kunstpäda­gogen Ernst Kühlbrandt „richtungweisend“ gefördert, der ihm „eine über den Schulbetrieb hinausreichende Anleitung in naturalistischer exakter Darstellung angedeihen ließ“. Kühl­brandt – heute leider in mancher Hinsicht schon vergessen – war auch der Zeichenlehrer und künstlerische Erzieher einer älteren Generation, die eine Reihe von herausragenden Malern her­vorgebracht hat: Walther Teutsch, Hans Mattis-Teutsch, Hans Eder, Eduard Morres, Hermann Morres, Grete Csaky-Copony, Fritz Kimm u.a.
Harald Meschendörfer, Kronstadt am Morgen, ...
Harald Meschendörfer, Kronstadt am Morgen, Aquarell, 1971, 34 x 46 cm, Privatbesitz.
Bereits im 19. Jahrhundert gab es in Mün­chen „eine kleine Kolonie von Landsleuten“, wie sich die aus Hermannstadt stammende Kunst­studentin und spätere Malerin Hermine Hufna­gel (1864-1897) in ihren „Reiseplaudereien“ er­innert. Zu den siebenbürgischen Künstlern, die damals zeitweilig in der Kunstmetropole an der Isar lebten, gehörten auch Fritz Schullerus, Ar­thur Coulin, Robert Wellmann und Fritz Mieß. Es war die „erste Künstlergeneration“ von Sie­benbürgern, die in München die Bayerische Aka­demie der Künste frequentiert hat. Eine zweite Künstlergruppe umfasste jene, die weiter oben als Schüler von Ernst Kühlbrandt angeführt wurden. Harald Meschen­dörfer zählte – wie auch Helfried Weiß und Hans Guggenberger – zu den Künstlern, die Anfang des 20. Jahrhun­derts geboren wurden und sich dann etwa zwischen 1920 und 1930 in München aufhielten.

So studierte er 1927-1930 an der Münchener Staatsschule für angewandte Kunst, wo damals die Professoren Walther Teutsch – übrigens ein Kronstädter und ehemaliger Kühlbrandt-Schü­ler – „Naturzeichnen“ sowie F. H. Ehmcke und Emil Pretorius Grafik und Illustration unterrichteten. Außerdem besuchte er noch einen Lehr­gang für Ornamentale Schriftkunst bei Prof. Anna Simons, einer Schülerin von Edward John­stone, dem Wegbereiter der modernen europäischen Schriftbewegung. Zusammen mit seinem künstlerisch sehr begabten Bruder Wolfgang (1910-1934), der inzwischen auch nach München gekommen war, gestaltete Harald die Erstausga­be von Adolf Meschendörfers Gedichten. Dieses kostbare bibliophile Buch, in schmaler, hoher Ehmcke-Fraktur und mit handgemalten roten Initialen geschmückt, wurde 1930 in der Dru­ckerei der Staatsschule für angewandte Kunst auf weißem Bütten­papier gedruckt. Die Auflage betrug 65 Exemplare. Danach ging Harald Me­schendörfer für zwei Jahre nach Berlin, wo er an den Vereinigten Staatsschulen für angewand­te Kunst noch drei Semester bei den Professo­ren E. R. Weiß und Tobias Schwob Künstlerische Schriftformen studierte.

Zusammen mit seinem Kronstädter Freund Helfried Weiß, der sich damals ebenfalls in Mün­chen aufhielt, fuhr er 1932 nach Paris, wo er sich an der Académie Colarossi im Aktzeichnen ausbilden ließ. An den eindrucksvollen und er­lebnisreichen Pariser Sommer der beiden jungen siebenbürgischen Künstler, erinnerte sich Jahr­zehnte später Helfried Weiß nach seiner Aus­siedlung bei einem Gespräch: „Wir waren noch sehr jung und wollten viel erleben und viel wissen, und um uns pulsierte Paris in allen seinen prächtigen Farben. Überall gab es Künstler und moderne Kunst – Pleinairmalerei, Impressionis­mus, Pointilismus, Expressionismus, Surrealis­mus ... Und dann die großartigen Museen. Jener Sommer hat uns beiden sehr viel gegeben.“

Nach seiner Rückkehr gründete er zusammen mit Bruder Wolfgang das Atelier für Gebrauchs­grafik „H. W. Meschendörfer“, das der bekannten Buchdruckerei Johann Gött angeschlossen war. In den Jahren 1932-1936 wurden hier zahl­reiche Werbeplakate, Verpackungsentwürfe und Etiketten von Fabriksmarken für die heimische Industrie entworfen und ausgeführt. Dann ka­men die Jahre der sogenannten „völkischen Bewegung“, mit allen ihren Folgen auch für die Siebenbürger Sachsen. Doch Harald Meschen­dörfer war während des Zweiten Weltkriegs rumänischer Reserveoffizier und ließ sich nicht „vom braunen Bazillus infizieren“, der von Fritz Fabritius „schon in den frühen zwanziger Jah­ren von München aus nach Siebenbürgen einge­schleppt“ worden war, wie der Verleger und Publizist Hans Meschendörfer in einer später ver­öffentlichten Studie feststellt.

Einen besonderen Impuls als Grafiker dürfte Harald Meschendörfer auch von Fritz Kimm er­halten haben, bei dem er noch vor dem Studium in München, Berlin und Paris, zwischen 1924 und 1927, Zeichenunterricht erhalten hatte. Kimm, „wohl der beste Zeichner, den die Sie­ben­bürger Sachsen je hervorgebracht haben“, und der sich von Max Liebermanns Ausspruch, „Zeichnen ist die Kunst des Weglassens“ leiten ließ, zeigte ihm „die Ausdrucksmöglichkeiten der Linie“. Diese gestalterische Erkenntnis offenbarte sich dann in seinem späteren grafischen und zeichnerischen Werk und besonders in den ausdrucksvollen, feinsinnigen Naturstudien und einfallsreichen Schriftkompositionen. Es ist eine sensible schöpferische Akribie, die auch die vielen Serien von Briefmarkenentwürfen kennzeichnet, nach denen die rumänische Post im Laufe der Jahre insgesamt 152 Wertzeichen herausgebracht hat. So gehört Harald Meschen­dörfer heute zu den bedeutendsten philatelistischen Grafikern Rumäniens.

Doch neben seiner reichen und vielseitigen werbegrafischen Tätigkeit hat er das kreative Schaffen als Maler und Aquarellist nicht vernachlässigt. Selbst im Sommer 1943, als er mit seiner Einheit, einer Luftabwehrtruppe, bei Mizil in einem Maisfeld lag, hatte er einen Kin­dermalkasten dabei und schuf eine Folge kleiner Landschaftsskizzen und Aquarelle – „angeregt von der weiten, stillen Ebene des Bărăgan, dem unendlich hohen Himmel und dem Spiel von Licht und Schatten in den gelben Feldern, das mich an die Pleinairmalerei erinnerte“, wie er Jahrzehnte später einmal erzählte. Im Jahr 1941 hatte er sich mit grafischen Arbeiten an der großen Wanderschau deutscher Künstler aus Rumänien beteiligt, und nach dem Zweiten Weltkrieg, ab 1947, war er immer wieder auch mit Gemälden auf Ausstellungen im In- und Ausland vertreten, so unter anderem in Prag (1962), in Paris (1964) und in Wiesbaden (1970).

Harald Meschendörfer trat schon am 1. Mai 1945 der von Hans Mattis-Teutsch gegründeten Künstlergewerkschaft (Sindicatul Mixt de Ar­tiști, Scriitori și Ziariști) bei und wurde am 1. Januar 1951 als Mitglied in den Verband Bildender Künstler der RVR, Zweigstelle Kronstadt, aufgenommen. Als Professor an der Volks-Kunstschule (Școala Populară de Artă) hat er dann später, 1953-1969, Generationen von jungen Künstlern wegweisend angeleitet und gefördert. In seiner Grafik-Klasse gab es deutsche, rumänische, un­garische und jüdische Schüler, mit denen er sich in seinen Zeichenstunden, wie selbstverständlich, jeweils in deren Sprache unterhielt. „Denn bei ihm zählte nur die Begabung, nicht die Her­kunft, nicht die Nationalität“, erinnerte sich spä­ter einer seiner Schüler. Zu ihnen gehörten in den Jahren 1956-1958 Josef Baumöl, Alfred Foith, Dieter Gärtner, Volker Keintzel, Wieland Ivar Kerschner, Béla Klement, Aurora Măr­gi­neanu, Ion Mușat, Brigitte Székely, Ben Wegel­stein, Günther Zeides und der Verfasser dieser Zeilen, damals Schüler des Abendgymnasiums, dem Professor Meschendörfer durch eine handschriftliche Empfehlung zu einer Arbeitsstelle als Schaufensterdekorateur verholfen hatte. Während die meisten der hier Genannten später andere Berufe ausübten, gingen, soweit be­kannt, nur Alfred Foith, Wieland Ivar Kersch­ner, Béla Klement und Aurora Mărgineanu ihren Weg als Künstler weiter.

Als ich einmal 1980 aus Bukarest nach Kron­stadt fuhr, um in Wolkendorf Ferien zu ma­chen und bei dieser Gelegenheit Harald Me­schen­dörfer in seinem Haus in der Adele-Zay-Gasse 13 besuchte, kam unser Gespräch auch auf jene Jahre und schließlich unausweichlich auf ein Thema, mit dem damals viele Kronstädter im­mer wieder konfrontiert wurden: Bleiben oder gehen? Da fragte ich ihn, wie er dazu stehe. Und Harald Meschendörfer führte mich in seinem schönen Wohnzimmer zum Fenster, von wo man hinüber ins Zinnental, zur Schwarzen Kirche und zum Zinnenwald blicken konnte. Es war an einem Herbsttag, und vor uns öffnete sich ein weites, farbiges Panorama. Ich habe dieses stille Bild von Kronstadt bis heute nicht vergessen. „Sehen Sie“, sagte er, „darum, nur darum werde ich von hier nicht wegziehen ...“

Harald Meschendörfer, der vielseitige Grafi­ker, feinsinnige Zeichner, empfindsame Maler und immer hilfsbereite, freundliche Kunstpäda­goge starb am 23. September 1984 in seiner Heimatstadt, der „Stadt im Osten“. Er war einer der letzten Vertreter jener geistigen Elite, die aus dem traditionsbewussten sächsischen Bürgertum kam und einst die siebenbürgische Kunst und Kultur geprägt hat.

Claus Stephani

Schlagwörter: Malerei, Kronstadt

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