8. Juli 2009

Spektakuläre Mondfahrt vor 80 Jahren

In nächster Zeit wird viel daran erinnert werden. War es doch eine echte Sternstunde in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, als am 20. Juli 1969 Neil Armstrong und Edwin Aldrin zum ersten Mal Mondboden betraten. Eine andere Mondlandung, wenn auch nur in filmischer Darstellung, hatte aber schon 40 Jahre vorher stattgefunden – ein Ereignis mit nicht unbedeutendem Einfluss auf die 40 Jahre spätere und wirkliche Landung auf dem Mond. Und ein Siebenbürger Sachse hatte beide Male „die Hand mit im Spiel“.
Das Angebot aus Berlin

Hermann Oberth saß am Schreibtisch, vertieft in neue Konstruktionsgedanken und Berechnungen, als ein wichtiges Telegramm aus Berlin ankam. Sein Absender war Fritz Lang, der bekannte Regisseur der UFA-Filmgesellschaft. Der als „Mond-Oberth“ bewitzelte Professor am Mediascher Stephan Ludwig Roth-Gymnasium traute seinen Augen nicht: Thea von Harbou, die Frau des Regisseurs und selbst Drehbuchautorin und Schriftstellerin, hatte eine utopisch-phantastische Geschichte geschrieben, und Lang wollte nun die „Die Frau im Mond“ verfilmen. Dazu aber brauche er die Hilfe jenes Wissenschaftlers, der in Raumfahrtfragen am allerbesten Bescheid wisse. Professor Oberth solle als wissenschaftlicher Berater mitwirken, die Mondrakete entwerfen, die Attrappen bauen helfen, die Fluglogistik bestimmen, kurz: dem Regisseur, als ausgewiesener Experte, in allen wesentlichen Fragen mit Rat und Tat beistehen.
Die Mondrakete in „Frau im Mond“ wird auf ...
Die Mondrakete in „Frau im Mond“ wird auf mächtigen Raupenschleppern zur Abschussrampe transportiert, in einer Art und Weise, wie es dann auch 1969 auf Cap Canaveral, dem amerikanischen Weltraumflughafen in Florida, geschah.
Der Name Fritz Lang war Oberth nicht unbekannt. Denn auch in Siebenbürgen und in Mediasch selbst waren seine „Nibelungen“-Filme und sein Abenteuerfilm „Metropolis“ mit großem Erfolg gezeigt worden. Der Name Lang war international bekannt und flößte also Respekt ein.

Hermann Oberth überlegte. Das Angebot war schließlich nicht uninteressant. Bot sich ihm doch die erste handfeste Gelegenheit, von einer finanzkräftigen Firma unterstützt, einige seiner Ideen zu verwirklichen. Weiter dachte er: Selbst wenn man durch diesen Film auch nur das öffentliche Interesse weckt, so ist der Sache damit gedient. Vielleicht aber ergab sich eine Chance auch für seine durchkonstruierte Höhenrakete? Oberth war entschlossen. Er musste nur noch mit seinem Rektor sprechen wegen der Beurlaubung und sich das Einverständnis seiner Frau sichern. Deren Zusage bedeutete, ihren Mann weitere anderthalb Jahre zu entbehren – und dabei war das vierte Kind unterwegs. Welche Frau würde in einer solchen Lage leichten Herzens zusagen? Aber an Frau Oberth sollte die Sache nicht scheitern. Diesmal nicht, wie übrigens auch 1923 nicht, als sie ihr erspartes Geld für die Herausgabe des raumfahrttechnischen Standardwerks „Die Rakete zu den Planetenräumen“ vorstreckte. Oberth konnte also zusagen. Die Offerte war im Mai 1928 eingetroffen, und im Juli fuhr er bereits nach Berlin.

Die glückliche „Mondlandung“

In den UFA-Werkstätten von Neubabelsberg entwirft Oberth vorerst die „Mondrakete“ (für den Film), sie ist 42 Meter hoch und soll von einer Wasseroberfläche starten. In den Treibstoffbehältern wird Alkohol, Wasserstoff und Sauerstoff getankt. In der Kabine werden für die Mondflieger Hängematten eingerichtet, die an blitzenden Metallstangen von der Decke herabhängen und mit kräftigen Spiralfedern versehen sind, die beim Aufstieg das mehrfache Gewicht der Passagiere aushalten müssen. Als die Modellbauer die ,,echte“ Raumschiffkabine ins Atelier stellen, kommt es zum ersten Meinungsstreit mit Oberth. Die Leute vom Film haben ihre eigenen Regeln und sind genauso stur, wenn man diese missachtet, wie der Professor aus Siebenbürgen, wenn gegen die Aussagen seiner Raumfahrtformeln verstoßen wird. Die Filmstars brauchen zum Spielen Platz in der Kabine; Oberth denkt daran, dass auf diese Weise das ,,Massenverhältnis“ nicht mehr stimmt. Auch wollen die Leute eine Leiter haben, auf der sie hinauf- und herabklettern können; Oberth erinnert daran, dass solches im Zustand der Schwerelosigkeit überflüssig ist. Doch immer wieder, wenn ein Krach bevorsteht, schaltet sich der taktvolle Regisseur ein, und man findet einen goldenen Mittelweg. Auch die Landung auf dem Mond sollte so erfolgen, wie es der Raumfahrtwissenschaftler vorschreibt: Das Raumschiff fährt um den Mond herum, dann eine Wendung des Mondschiffes, mit den Raketendüsen nach unten, eine fauchende Gasflamme strömt aus dem Düsenschlund, und das niedergehende Raumgefährt verliert zusehends an Geschwindigkeit. Mit einem heftigen Ruck bohrt es sich letztlich in den Mondsand hinein, das Ziel wird glücklich erreicht. Gerda Maurus, Fritz Rasp und Willy Fritsch, die glücklichen Mondfahrer, können dem Gold des Mondes nachjagen.

Hermann Oberth in den Werkstätten der UFA in ...
Hermann Oberth in den Werkstätten der UFA in Berlin-Babelsberg, wo er nach der Premiere des Filmes „Frau im Mond“ die Arbeit an einer wirklichen Rakete in Angriff nahm.
Auch bei der Gestaltung des Weltraumhafens und der Mondlandschaft hatten Fritz Lang und seine Architekten Emil Hasler, Otto Hund und Karl Vollbracht keineswegs gespart. In vierzig Güterwaggons wurde von der Ostsee Sand herangeschafft und auf großen Blechpfannen über offenem Feuer gebleicht, um heller zu erscheinen. Über dem 3 000 Quadratmeter großen „Mondgelände“ wölbte sich ein künstlicher Sternenhimmel, der aus 400 Scheinwerfern herbeigezaubert wurde. Ja, selbst beim Start der Mondrakete wurde ein Verfahren ersonnen, wie es auf Cap Canaveral und in Baikonur bis heute noch üblich ist: die Form des Countdowns! Utopie und Realität lagen dicht beieinander – und das in allen Details. Nach vielen Autoren ist daher die „Frau im Mond“ denn auch der erste echte deutsche Science-Fiction-Film, in dem ein direkter Transfer zwischen Naturwissenschaften und Fiktion stattfand. Und, nicht minder bedeutsam, es war auch der weltweit erste Raumfahrtfilm!

Alles verlief wie 40 Jahre später

Oberth verfolgte die gesamten Dreharbeiten und war bei Darstellern und Hilfsarbeitern sehr beliebt. Worauf dies zurückzufahren war, vermerkt die Schauspielerin Gerda Maurus in einem Zeitungsbeitrag: „weil er ein richtiger zerstreuter Professor ist, nur auf seine großen Zahlen konzentriert, allen übrigen Dingen gegenüber harmlos und weltfremd wie ein Kind“. Auch anekdotische Vorkommnisse konnten da nicht ausbleiben. Die aufregendste davon stammt ebenfalls aus der Feder von Gerda Maurus: „Professor Oberth lag in einer Ecke des Ateliers und ließ sich von den Arbeitern schwere Eisenstücke auf den Körper packen – sein Gesicht war bereits blau. Entsetzt stürzte Fritz Lang zu ihm hin: ‚Um Himmelswillen, Professor, wollen Sie sich umbringen?‘ ‚Nein, Herr Lang‘, sagte er mit ersterbender Stimme, ‚ich probiere nur die Andruckbelastung an mir aus‘“.

In der Form ähnelte das gebaute Mondschiff Oberths Raumrakete aus seinem ersten Buch „Die Rakete zu den Planetenräumen“. Auf großen Raupenschleppern wurde sie aus der Montagehalle zum Startplatz transportiert. Diese Technik unterschied sich kaum von dem, was 1969 auf Cap Kennedy vor sich ging. In seinen Grundzügen enthält der utopische Film, für dessen wissenschaftlich-technische Entsprechungen Oberth zeichnete, schon sehr vieles von dem, was die Welt vierzig Jahre später bei den wirklichen Mondflügen bewundern sollte.

Ein weiteres Beispiel: Als 1983 in Budapest am Kongress der Internationalen Föderation für Astronautik ein amerikanischer Raumfahrttechniker für eine Vorrichtung ausgezeichnet wurde, mit deren Hilfe man das Eis, das sich beim Start an dem Raketenrumpf festfriert, verhüten kann, erinnerte ein sachkundiger Teilnehmer die Jury daran: „Schlagen Sie doch bei Oberth nach – schon in ,Frau im Mond‘ ließ er die Rakete ganz mit einer Folie umhüllen, damit das Eis nicht am Rumpf festfrieren kann, und bereits beim Start der Triebwerke abgeschüttelt wurde.“ Und dafür wurden 1983 noch Preise verliehen – allerdings nicht an den eigentlichen Erfinder, sondern an einen Nacherfinder!

Reiner Zufall? Auf keinen Fall. Oberth bestätigt es selbst in seiner Ansprache, die er bei der Uraufführung des ersten Raumfahrtfilms hält. Oberth bekräftigt darin am 15. Oktober 1929: „Bei diesem Film habe ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter gewirkt. Der Film ist mehr als ein bloßes Phantasiegebilde. Wir waren bestrebt, alles möglichst so darzustellen, wie es nach den Lehren der Wissenschaft in Wirklichkeit aussehen wird. Die Rakete, die Sie hier sehen werden, habe ich so durchkonstruiert, als ob man sie wirklich bauen und fliegen lassen sollte. Auch die Fahrtrouten sind genau durchgerechnet worden, die Mondlandschaften haben wir aufgrund der besten Mondkarten gebaut, und auch bei den Erlebnissen der Raumfahrer haben wir peinlichst auf wissenschaftliche Richtigkeit geachtet.“

Filmpremiere: Selbst Einstein war mit von der Partie

Die Premiere im UFA-Palast am Zoo endete mit tosendem Applaus, es gab 28 Vorhänge für Schauspieler und Team – allein Oberth wurde zweimal vor die Rampe gerufen. Im Publikum wimmelte es von Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, darunter kein Geringerer als Albert Einstein. Der anwesende Raumfahrthistoriker Willy Ley hat diese Stimmung in einem fulminanten Bericht festgehalten. Daraus ist zu entnehmen, dass vor allem die Szene mit dem Start der Rakete eine wahre Euphorie ausgelöst hatte. Ich zitiere: „Unbestreitbar, sie ist es, keine andere Szene, weder auf der Erde noch auf dem Mond brachte die Gemüter dieses kühlen, reservierten und sachverständigen Publikums – dieser Journalisten, Diplomaten, Geldmänner und Filmgrößen – aus dem Gleichgewicht, bei dieser technischen Glanzleistung klatschten sie los. Elektrisiert, mitgerissen. Die Feuerstrahlen dieser Filmrakete fegten alle ihre sorgsam vorbereitete Skepsis, Kühle und Blasiertheit weg, mit derselben Geschwindigkeit, mit der das Raumschiff über die Leinwand rast, dringt eine Ahnung der großen Möglichkeiten in ihre Hirne.“

„Zu diesem Schauwert hat Hermann Oberth Substanzielles beigetragen“, schlussfolgert Friedmann Bayer, der die Entstehungs- und Erfolgsgeschichte von ‚Frau im Mond‘ erforscht hat. „Was den Film seinerzeit so sehenswert machte“, fährt er fort, „war die gelungene Einbindung eines wissenschaftlichen Konzepts von hoher Seriosität in eine Spielhandlung. Streckenweise gleicht ‚Frau im Mond‘ einem technischen Demonstrationsfilm. Die Zuschauer des Films spürten, dass ihnen im Kino nicht ein Phantasieprodukt, sondern ein fundiertes wissenschaftliches Konzept präsentiert wurde, das ein hohes Realisierungspotenzial vermittelte.“

Oberth bekommt seine Chance

Eines Tages fiel dann tatsächlich auch der Vorschlag, eine ,,richtige“ Rakete zu bauen. Die Rakete sollte vor der Premiere hochsteigen und einen Höhepunkt der Publicity für den Film darstellen. Regisseur und Werbeabteilung waren von der Idee, die Willy Ley eingebracht hatte, begeistert, und Oberth hatte ja nur auf diesen Augenblick gewartet. Fritz Lang erbot sich, die Hälfte der Kosten zu tragen, die übrigen 5000 Mark steuerte die UFA bei. Oberth konnte sich an die Arbeit machen.

Damit begann eine technologische Entwicklung, die, wenn auch über so manche Stolpersteine, zu dem historischen Augenblick führen sollte, den die Menschheit 40 Jahre später erleben sollte: die erste und wirkliche Landung des Menschen auf dem Mond. Die gewaltige Trägerrakete dazu, die Saturn V, wurde unter der Leitung des namhaften Oberth-Schülers Wernher von Braun entwickelt und gebaut, der bereits 1929/30 bei Oberths Versuchsarbeiten mit von der Partie war.

Unter dem Eindruck der epochalen Mondlandungen, eine technisch-wissenschaftliche Leistung, die bis auf den heutigen Tag nicht überboten wurde, schrieb der namhafte amerikanische Geschichtswissenschaftler Arthur Schlesinger: „Wenn Historiker dereinst auf dies Jahrhundert (das 20. Jahrhundert – Anmerkung des Verfassers) zurückschauen, dann wird alles andere vergessen sein, nur eines nicht: Es war das Jahrhundert, in dem der Mensch zum ersten Mal seine irdischen Fesseln sprengte und mit der Erforschung des Weltalls begann“.

Dr. Hans Barth

Schlagwörter: Oberth, Technik

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