4. Mai 2010

Kirchen und Staatssicherheit: Frühjahrstagung des Evangelischen Freundeskreises Siebenbürgen

Die diesjährige Frühjahrstagung des Evangelischen Freundeskreises Siebenbürgen fand in Kooperation mit dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde und dem Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen vom 19. bis 21. März in Bad Kissingen statt. Das Tagungsthema „Kirchen und Staatssicherheit“ zog eine große Zuhörerschaft in seinen Bann. Schon zu Beginn der Tagung wurde die Bereitschaft erkennbar, eine Fortsetzung der Tagungsthematik anzustreben.
In seinen einführenden Worten erläuterte der Vorsitzende des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, Dr. Ulrich Andreas Wien, die Suche nach Wahrheit schließe auch die Frage nach der historischen Verantwortung und nach Versöhnung mit ein. Der Arbeitskreis habe bereits seit 2006 auf die notwendige Aufarbeitung dieses Themas hingewiesen, das auch den europäischen Vergleich im Blick behalte.

Zeitzeugen und Historiker näherten sich aus unterschiedlichen kirchlichen und historischen Kontexten dem Thema an. Wie sehr die Securitate den Alltag der Betroffenen und deren Familien mit ihren Überwachungs- und subversiven Foltermethoden bestimmt hat, wurde bereits im ersten Referat deutlich, das Dorin Oancea über „Den Einfluss der Securitate auf die Rumänisch-Orthodoxe Kirche am Beispiel der Familie Oancea“ hielt. Sein Vater war als Beauftragter der rumänischen Metropolie in Gesamtsiebenbürgen im Juli 1948 verhaftet, zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt und nach Ajud verschleppt worden. In der Dej-Ära hatte die orthodoxe Kirche ziemlich schnell eine Art Stillhalteabkommen mit dem kommunistischen Staat geschlossen.

Die beiden Pfarrer August Schuller („Mit hellem Bewusstsein die Grenze des Abgrunds abtasten – Die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien im Schatten der Staatssicherheit“) und Ma­- thias Pelger („Im Schatten der Securitate – unter der Sonne Gottes – Persönliche Erlebnisse aus den 1960er Jahren“) berichteten von ihren Erfahrungen und Erlebnissen, wagten erste Deu­tungen und formulierten offene Fragen: Wie selbstständig waren die Kirchen in der Sozialistischen Republik Rumänien bzw. konnten sie sein? Loyalität gegenüber dem Staat bedeutete von vornherein Ein- bzw. Unterordnungsbereitschaft der Kulte, einen Verzicht darauf, „politische“ Kirche, alternative Kraft in der Gesellschaft zu sein. August Schuller beschrieb sehr eindrücklich die Stufen des Einschüchterungsprozesses, dem die Pfarrerschaft der lutherischen Kirche nach und nach zum Opfer fiel. Geopfert wurde auch die Ausbildung von Frauen zu Theo­loginnen und künftigen Pfarrerinnen.

Im Schatten der Securitate wuchsen Destabilisierung innerhalb der Kirche, schleichende Un­zufriedenheit, Angst und Desorientierung. Die Menschen wurden neurotisiert und entheimatet. Im Zitat von Dieter Schlesak: „…durch die Diktatur war das Wohnen kein Ort mehr“ fanden sich viele der Referenten wieder, die mit ihren Familien bis heute an den erlittenen Traumata tragen.

Wie konkretisierten sich Macht und Gewalt in der Securitate? Welche „Akteure“ benötigte das Netzwerk des Terrors und wie funktionierte „die Banalität des Bösen“? Diesen Fragen gingen insbesondere der Diplompsychologe Gerhard Gross („Macht und Gewalt in der Securitate“) und der Theologe János Molnár („Der Agent als unentbehrlicher Bestandteil des kommunistischen Ter­rornetzes“) nach. Vor dem Hintergrund eigener Hafterfahrungen entfaltete Gross seine Hauptthese: die Gesetzmäßigkeiten der „Agens-Struktur“ habe einer gesamtgesellschaftlichen Autoritätshörigkeit Vorschub geleistet. Die Beziehung zwischen Gewaltbereitschaft und Gehorsam hät­ten zum sogenannten Agenszustand geführt.

Molnár legte auf Grund der Untersuchung von mehr als 50 Dossiers eine erste Strukturanalyse vor. Er arbeitete verschiedene Kategorien von Agenten-Typen heraus, die entweder um bestimmter Vorteile willen, wie kleinere oder größere Vergünstigungen, Geld, Karriere etc., oder weil sie erpressbar waren oder aus Hass zu Mittätern wurden.

Einen Blick über die Grenze ins Nachbarland Tschechien ermöglichte der Historiker Peter Mo­rée aus Prag mit seinem Referat „Unterdrücker oder Partner? Die Beziehungen zwischen den tschechischen Evangelischen und den Staatsorganen zur Kontrolle der Kirchen“. Die Bandbrei­te kirchlichen Verhaltens lag zwischen Widerstand und Zusammenarbeit. Während die tsche- choslowakisch-hussitische Kirche in großer Nähe zum Staatsbüro für kirchliche Angelegenheiten stand, die evangelische Kirche der böhmischen Brüder die Angleichung suchte und sich instrumentalisieren ließ, ging die Römisch-Katholische Kirche auf Konfrontationskurs. Sie lehnte eine Zusammenarbeit strikt ab und verlor dadurch ihre geistliche und theologische Elite in den 1960er und 1970er Jahren. Exemplarisch behandelte Morée die umstrittene Figur des mit Karl Barth befreundeten Systematikprofessors Josef L. Hromádka.

Der letzte Vortrag im Programm, den der Kirchenhistoriker Peter Maser über „Den Einfluss der Staatssicherheit auf die Kirchen – die DDR im Vergleich zu anderen Ostblockstaaten“ hielt, ging auch auf Fragen des Umgangs mit dem Quellenmaterial aus den Archiven der Staatssicherheit ein. Da die Überwachung fast lückenlos war, dokumentieren die Stasiakten minutiös Synoden, Kirchentage, Protokolle von Sitzungen der Kirchenleitungen, Veranstaltungen etc. und steuern mehr Quellenmaterial zur Erforschung der Kirchen in der DDR bei als die kirchlichen Archive es vermögen – eine Ironie der Geschichte.

Die engagierten Diskussionen zeigten, dass der Bedarf an Informationen und Auseinandersetzungen mit dieser Thematik erwartungsgemäß sehr groß ist. Daher ist es nur folgerichtig, dass der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde seine Jahrestagung (24. bis 26. September 2010) dem Thema „Die Securitate in Siebenbürgen“ widmet.

Cornelia Schlarb

Schlagwörter: Tagung, Kirchen, AKSL, Hilfskomitee, Securitate

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Neueste Kommentare

  • 04.05.2010, 19:33 Uhr von getkiss: Interessanter Beitrag. Leider fehlt die Information über die Möglichkeit die Referate der Tagung ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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