10. November 2025

AKSL-Symposium in Hermannstadt: Historische Einblicke in das evangelische Schulwesen Siebenbürgens

Wie sah der Schulalltag in den siebenbürgisch-sächsischen Dorfschulen vor 200 Jahren aus? Welche Lehrer unterrichteten dort, mit welchen Büchern, nach welchen Regeln und in welchem Geist? Mit diesen Fragen befasste sich eine wissenschaftliche Tagung unter dem Titel „Die siebenbürgisch-sächsische Volksschule in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, die am 18. und 19. Oktober im Spiegelsaal des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt stattfand.
Veranstaltet wurde das Symposium vom Siebenbürgenforum in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e. V. Heidelberg, gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales über das Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen e. V. sowie vom Departement für interethnische Beziehungen der rumänischen Regierung über das Siebenbürgenforum. Ziel der Tagung war es, auf Grundlage historischer Quellen das evangelische Schulwesen Siebenbürgens neu zu beleuchten – insbesondere anhand der umfassenden Befragung, die Bischof Daniel Georg Neugeboren im Jahr 1818 an sämtliche evangelische Volksschulen Siebenbürgens richtete.

Gruppenfoto der elf Referenten nach der ...
Gruppenfoto der elf Referenten nach der Schultagung im Spiegelsaal des Hermannstädter Forums (DFDH), von links nach rechts: Stefan Măzgăreanu, Johann Lauer, Gerold Hermann, Heinz Bretz, Sebastian Engelmann, Friedrich Philippi, Martin Bottesch, Erwin Jikeli, Ulrich A. Wien, Robert Pfützner und Kurt Philippi. Foto: Beate Kleifgen
Eröffnet wurde die Tagung von Martin Bottesch und Erwin Jikeli, die die Bedeutung der Schulgeschichte für das kulturelle Gedächtnis der Siebenbürger Sachsen hervorhoben. In einer bewegenden Ansprache würdigte Stefan Măzgăreanu das Lebenswerk von Walter König, der als Wissenschaftler und Organisator entscheidend zur Erforschung des siebenbürgisch-sächsischen Bildungswesens beigetragen hat.

In seinem Eröffnungsvortrag „Die siebenbürgisch-sächsische Volksschule im 18. Jahrhundert“ zeichnete Martin Bottesch ein detailreiches Bild des Schulwesens aus dem Jahrhundert, das der behandelten Zeitspanne vorausging. Auf Grundlage von Visitationsprotokollen aus den 1760er Jahren beschrieb er Unterrichtsformen, Lehrerbildung und soziale Stellung der Pädagogen. Diese Quellen erlauben zugleich Vergleiche mit dem 19. Jahrhundert, in dem staatliche Einflüsse und kirchliche Traditionen zunehmend ineinandergriffen.

Sebastian Engelmann widmete sich in seinem ersten Beitrag „Was für Schulanstalten bestehen in…“ der Organisation der siebenbürgisch-sächsischen Volksschulen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er untersuchte strukturelle Muster in Aufbau, Räumlichkeit und Ordnung der Schulen. In seinem zweiten Vortrag „Die Lehrer der siebenbürgisch-sächsischen Volksschule – Personal, Funktion und Profession“ beleuchtete er die Professionalisierung des pädagogischen Personals und zeigte Unterschiede in Ausbildung, sozialer Herkunft und moralischer Wertung auf.

Friedrich Philippi stellte unter dem Titel „Das Lehrbuch ist der Catechismus“ die im Unterricht verwendeten Schulbücher vor. Seine Auswertung ergab, dass der Katechismus vielerorts weiterhin das Hauptlehrmittel blieb, daneben aber eine Vielzahl lokal genutzter Handbücher existierte. Einige dieser historischen Bücher konnten in einer kleinen Ausstellung im Tagungssaal besichtigt werden.

Weitere Beiträge widmeten sich Themen wie Schülerzahlen, Unterrichtsorganisation und Schulordnungen. Gerold Hermann präsentierte in „Von der Einschulung bis zur Entlassung – Wissenswertes über Schüler des Jahres 1818“ statistische Auswertungen aus 214 Gemeinden und ging auf Fragen wie Schulbesuch, soziale Unterstützung und saisonale Abwesenheiten während der Feldarbeiten ein.

Erwin Jikeli untersuchte in seinem Vortrag „Das Gesetz zeigt den Geist der Zeit. Das Gesetz erhält Ordnung.“ die damaligen Schulordnungen und Unterrichtsmethoden. Er zeigte, dass Bischof Neugeboren mit seiner Befragung eine Reform anstrebte, um Missstände zu beseitigen und den Einfluss zeitgenössischer pädagogischer Ideen zu erfassen.

Robert Pfützner ergänzte diese Perspektive in „Von Ritualen, (Un)Ordnung und Willkür“ mit einer Untersuchung der Erziehungspraxis in den Dorfschulen. Disziplin, Ordnung und Moralität standen im Mittelpunkt, wobei sowohl Strafen als auch Belohnungen zum pädagogischen Alltag gehörten.

Ein besonderes Licht auf die Mentalität der Zeit warf Stefan Măzgăreanu in seinem Vortrag „Erinnerungen über die Gebrechen dieser Schule“. Er wertete die Antworten auf den letzten Punkt des Fragebogens aus, in dem Lehrer und Pfarrer Missstände offen ansprechen sollten. Viele nutzten die Gelegenheit, um auf Mängel in Ausstattung, Überlastung und soziale Not hinzuweisen – oft in bemerkenswert selbstkritischem Ton.

Kurt Philippi stellte in seinem Beitrag „Die Musikalien der Rektoren um 1820“ die Bedeutung der Musik im Schulalltag heraus. Kirchenmusik, Chorgesang und Instrumentalstücke prägten das dörfliche Leben nachhaltig. Zum Abschluss seines Vortrags sang Paul Philippi, Enkel des Referenten, eine Arie aus der damaligen Zeit – ein berührender Moment, der Vergangenheit lebendig werden ließ.

Ulrich A. Wien beleuchtete anschließend „Die Entwicklung des siebenbürgisch-sächsischen Volksschulwesens 1820–1867“. Trotz zahlreicher Reformversuche stagnierte das System während der Metternich-Zeit und des Neoabsolutismus weitgehend. Erst die kirchlichen Neuordnungen der 1860er-Jahre und bildungspolitische Reformen ab 1870 brachten nachhaltige Veränderungen.
Heinz Bretz während seines Vortrags: ...
Heinz Bretz während seines Vortrags: „Erinnerungen der Bretz-Lehrer: Siebenbürgische Volksschulen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts“. Foto: Martin Bottesch
Heinz Bretz schloss an diese Entwicklung an und veranschaulichte in „Erinnerungen der Bretz-Lehrer“ anhand familiärer Aufzeichnungen den Schulalltag bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Er schilderte Lehrerfortbildungen, das Verhältnis zu den Pfarrern und die zunehmenden Magyarisierungsversuche gegen Ende des Jahrhunderts.

Zum Abschluss der Tagung schlug Johann Lauer mit seinem Beitrag „Generative Künstliche Intelligenz und das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe“ den Bogen in die Gegenwart. Er zeigte auf, wie moderne KI-Systeme künftig helfen können, historische Quellen zu vernetzen, Lerninhalte zugänglich zu machen und kulturelles Wissen digital zu bewahren.

Die Tagung machte eindrucksvoll deutlich, dass die Geschichte des siebenbürgisch-sächsischen Schulwesens weit mehr ist als ein abgeschlossenes Kapitel der Vergangenheit. Sie ist ein Schlüssel zum Verständnis der Bildungsentwicklung und des Selbstverständnisses der Siebenbürger Sachsen. Über Jahrhunderte war das Schulwesen nicht nur Ort der Wissensvermittlung, sondern auch Fundament kultureller Identität, sozialer Kohäsion und geistiger Eigenständigkeit. Ein Sammelband mit den Beiträgen der Tagung ist in Vorbereitung.

Dr. Erwin Jikeli

Schlagwörter: AKSL, Symposium, Schule, Hermannstadt, evangelisch

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