3. Juni 2020

Erinnerungen an eine bizarre Trabi-Reise im August 1990 durch den abgewickelten Ostblock nach Siebenbürgen

Die letzten Zuckungen in seinem Leben hatten theatralische Züge. Das Gefährt schnaubte, gackerte, dampfte, zischte, qualmte. Kurz danach gab es keinerlei Lebenszeichen mehr. Ende August 1990 wollte der Trabant einfach nicht mehr weiter. Dabei brach der berühmteste Kleinwagen aus volkseigener DDR-Produktion nur einige Wochen zuvor– in trauter Eintracht mit drei Insassen elanvoll zu seiner wohl abenteuerlichsten Reise auf. Und das kam so.
Dieser Trabi brachte den Autor im August 1990 ...
Dieser Trabi brachte den Autor im August 1990 durch den ehemaligen Ostblock. Hier eine Rast in Rumänien, wo an Vorbeifahrende gerade Kaffee verkauft / verschenkt wurde. Foto: Roland Barwinsky
Vor 30 Jahren löste sich ein Land quasi im Stundentakt auf. Nach dem Mauerfall und der ersten freien Volkskammerwahl setzte sich ein Zug in Bewegung, dessen Zielbahnhof „Deutsche Einheit“ hieß. Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion brachte zunächst die harte Mark in den Osten. Und eine Konsumwelt, die vorab nicht erreichbar schien, öffnete sich für Millionen. Andere Dinge, zuvor oftmals als Heiligtümer verehrt, versanken unerbittlich in der Wertlosigkeit. Dazu gehörten auch diese speziellen Duroplast-Autos aus Zwickau, die plötzlich keiner mehr haben wollte. Die DDR-Bewohner genossen die neu gewonnenen Reisefreiheiten und wählten Ziele im ehemaligen Ostblock kollektiv ab.

Regelrecht bizarr klingen deshalb die nachfolgenden Erinnerungen unseres Trios mit dem für dreihundert Westmark erworbenen Trabi durch die ehemaligen Bruderstaaten: Über den Grenzübergang Bad Brambach erreichten wir im allerletzten Hochsommer der DDR zunächst die nicht mehr sozialistische, aber immerhin noch vereinigte Tschechoslowakei. Da unser Fahrzeug keine größeren Wegstrecken schaffte, übernachteten wir mehrmals in diesem Land. An unseren Haltepunkten umgarnten uns sofort Bewohner, boten Übernachtungsmöglichkeiten an. Ein völlig ungewohntes Gefühl. Auch etwas peinlich, weil wir uns ja eigentlich in den vorhergehenden Monaten kaum verändert hatten. Aber das richtige Geld“ führte zu diesen eigenartigen Entwicklungen. Erstmals kamen wir nach etwa dreieinhalb Tagen nach Österreich. Beim Tanken in der Alpenrepublik schmunzelte das Bedienpersonal über den uns begleitenden Kleinwagen. In Wien ging es mehrspurig durch die Rushhour. Polizisten zogen uns Weitgereiste aus dem Verkehr und wollten unbedingt die Zulassung für dieses Auto sehen, was heutzutage Kultstatus genießt. Für sie schienen solcherart Begegnungen eine ziemlich aufregende Sache zu sein. Wir nutzten diesen Zwischenstopp für einen kleinen Stadtrundgang und erwarben blitzschnell einen Fotoapparat. Dadurch blieben bildhafte Dokumente dieses Ausfluges als Beleg bis heute erhalten. Neben der Großstadthektik registrierten wir schnell, dass die Metropole Wien für unseren Geldbeutel eher ungeeignet schien. Umgehend ging es deshalb wieder auf die Piste.
In Budapest begegneten dem Autor solche ...
In Budapest begegneten dem Autor solche Motorräder. Foto: Roland Barwinsky
Einige Stunden danach grüßte schon Ungarn. Seinerzeit galt dieser Staat als liberaler Vorreiter beim Auseinanderbrechen des Ostblocks. Zugleich, aufgrund seines westlichen Flairs, als Sehnsuchtsort für Ostdeutsche. Da es aber damals nicht möglich war, ungarisches Geld ausreichend zu tauschen, konnten sich DDR-Touristen nicht allzu viele Wünsche erfüllen. Im heißen August vor dreißig Jahren wurde nun hier für uns alles durch den Umtauschkurs zwischen Forint und D-Mark extrem preisgünstig. Erstmals mussten wir in den Restaurants nicht knausern und konnten uns in Budapest sogar eine richtige Herberge leisten. Unter Hochspannung ging die Reise weiter. In Rumänien hatte sich seit der blutigen Dezemberrevolution 1989 eigentlich nichts verändert. Die Straßen waren wie gewohnt eine einzige Katastrophe! Benzin gab es nur limitiert. In den Geschäften fand man auch nicht viel. Mit Bakschisch ging es trotzdem irgendwie vorwärts. In den deutschen Dörfern Siebenbürgens, die ich schon vorher regelmäßig aufgesucht hatte, traf ich fast keine Bekannten mehr an. Diese waren einige Monate zuvor für immer als Spätaussiedler in die Bundesrepublik ausgereist. Wir haben auch jene DDR-Touristen nicht mehr getroffen, die bis 1989 zumindest diesen Landesteil bereist hatten. Auch nicht in den bergigen Karpaten, wo uns ein netter Mensch spontan für einige Tage aufnahm, mit uns am Tag trotz eines Unwetters in den Bergen kletterte und in der Nacht für uns frisches Bier aus der von seiner Wohnung genau gegenüber befindlichen Brauerei schmuggelte. Selbst Gerstensaft gab es nämlich offiziell in Rumänien noch immer eher selten.
Im siebenbürgischen Großau traf der Autor im ...
Im siebenbürgischen Großau traf der Autor im August 1990 trotz der dort zuvor stattgefundenen flächendeckenden Auszuges der Rumäniendeutschen in die damalige BRD doch noch einige Bekannte. Fotos: Roland Barwinsky
Am Trabi musste ab und zu herumgebastelt werden. Ansonsten hielt er tapfer durch. Ein Reiseziel lag noch vor uns: Jugoslawien. Es war zwar damals auch sozialistisch, aber trotzdem für ostdeutsche Individualreisende bis dato nicht erreichbar. Keiner von uns ahnte in Belgrad bei einem Glas Wein, dass dieses Vielvölkergebilde bald in einem zerstörerischen Bürgerkrieg versinken sollte. Inzwischen klopfte das Urlaubsende an. Mehrere Tagesetappen reichten, um zum Ausgangspunkt unserer Reise im sächsischen Vogtland zurückzufinden. Inzwischen stand fest, dass am 3. Oktober der sozialistische Teil Deutschlands dieser Welt abhandenkommen würde. Für mich hatte dieser Termin unmittelbare praktische Konsequenzen.
Trabis sind nicht nur in der Ex-DDR ein ...
Trabis sind nicht nur in der Ex-DDR ein Kultobjekt, sondern auch in Ländern Osteuropas. Dieses Modell stand vor einem großen Hotel in Hermannstadt. Foto: Roland Barwinsky
Leider wurde damit ein wunderbares Jahr der Anarchie für mich brachial beendet. Im Schnelldurchlauf beendete ich zudem noch eine Ausbildung zum Bibliotheksfacharbeiter. Und erwarb damit einen im wiedervereinigten Land anerkannten Abschluss, der mir danach eine pittoreske Wanderung durch die Bibliothekslandschaften Ostthüringens ermöglichte.

Roland Barwinsky

Schlagwörter: Reise, DDR, Ostblock, Trabi, Barwinsky, Großau

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