8. September 2020

Covid-19 in Rumänien: Bald Zustände wie in Italien?

Bukarest – Am 5. September wurde in Bukarest mit 352 Neuinfektionen an einem einzigen Tag – mehr als das Doppelte als am Vortag mit 114 Fällen – eine Rekordzahl registriert. Ein Grund seien die Urlaubsrückkehrer, heißt es seitens der Experten, denn die seit 1. September wirksamen erneuten Lockerungsmaßnahmen würden sich nicht so schnell in den Fallzahlen widerspiegeln. Mit 93.864 Gesamtfällen seit Beginn der Pandemie (Stand 5. September) ist die Schallgrenze von 90.000 überschritten. 3.850 Bürger sind insgesamt verstorben. 1.269 Neuinfektionen wurden landesweit allein am 5. September verzeichnet.
Blick vom Rossmarkt auf das alte Rathaus von ...
Blick vom Rossmarkt auf das alte Rathaus von Kronstadt. Foto: Peter Simon
Zwar ist die exponentielle Entwicklung der Fallkurve seit Anfang August deutlich abgeflacht, doch die Anzahl der Neuinfektionen bleibt nach wie vor besorgniserregend hoch. Mit 476 Intensivpatienten (Stand 5. September) ist in mehreren Krankenhäusern die Leistungsgrenze sowohl von der Ausstattung als auch personell erreicht. Mit einem signifikanten Rückgang kann in der nahen Zukunft nicht gerechnet werden. Im Gegenteil: Weitere Urlaubsrückkehrer und der nahende Schulbeginn könnten die Lage weiter anspannen. Der Ausnahmezustand in Rumänien wurde Mitte August um einen weiteren Monat bis zum 15. September verlängert. Eine weitere Verlängerung erscheint wahrscheinlich.

Dennoch ist die Gefahr in großen Teilen der Bevölkerung kaum im Bewusstsein angekommen. An der Schwarzmeerküste werden inzwischen Strafen für die Missachtung der behördlich auferlegten Schutzmaßnahmen verhängt, weil sich zu viele Kühle suchende Menschen an denselben Stellen drängeln. Auf Druck des stark von der Pandemie betroffenen Sektors von Hotels, Restaurants und Cafés wurden zudem die Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Pandemie weiter gelockert: Ab 1. September durften Restaurants und Cafés, aber auch Kulturinstitutionen wie Theater oder Kinos unter bestimmten Auflagen wieder eröffnen. Dies jedoch nur in Landkreisen mit maximal 1,5 Neuinfektionen pro 1 000 Einwohnern. In geschlossenen Räumen ist die Personenzahl auf die Hälfte der maximal vorgesehenen Plätze beschränkt. Kulturelle Veranstaltungen im Freien dürfen mit bis zu 500 Sitzplätzen unter der Voraussetzung der Einhaltung des Mindestabstands von zwei Metern stattfinden. Außerdem gilt Maskenpflicht. Private Veranstaltungen im Freien sind auf 100 Personen, in geschlossenen Räumen auf 50 Personen beschränkt.

Die Schule soll wie geplant am 14. September beginnen. Gesundheitsexperten haben trotz der epidemiologischen Lage bisher nicht davon abgeraten. Sollten die Fallzahlen stark zunehmen, werde vermehrt auf Online-Unterricht ausgewichen, sagt Staatspräsident Klaus Johannis. Er rief jedoch Anfang September in Anbetracht der ebenfalls steigenden Zahl der Todesopfer die Bevölkerung eindringlich zu mehr Verantwortungsbewusstsein auf. Von der Sozialdemokratischen Partei PSD forderte Johannis ein „Ende der zynischen Politspielchen“ (siehe hierzu Artikel „Misstrauensantrag: Gigantische Blamage für die PSD“ in der SbZ Online vom 9. September 2020). Ihr Verhalten erzeuge in den Bürgern Misstrauen gegen die Regierung und deren Maßnahmen und untergrabe damit die Bemühungen zur Eindämmung der Pandemie.

Während manche Länder ihre Einreisebedingungen für Personen aus Rumänien wieder verschärft haben, gibt es im Inland keine Reisebeschränkungen. Hotels und Beherbergungsbetriebe können gebucht werden. Nach einer Ankündigung der rumänischen Regierung kann es jedoch je nach Entwicklung der Infektionszahlen insbesondere für Ferienorte wieder zu Beschränkungen in der Bewegungsfreiheit kommen. Die rumänischen Schwarzmeerstrände sind unter Einhaltung der Hygieneregeln und u. a. zwei Meter Mindestabstand zwischen Liegen von Personen unterschiedlicher Familien geöffnet. Freizeitaktivitäten im Freien (Radfahren, Wandern, Klettern, Jagd, Angeln etc.) mit bis zu zehn Personen sind erlaubt, auch wenn diese nicht derselben Familie angehören. Einzelne Landkreise haben teilweise die Maskenpflicht im Freien in einigen Bereichen eingeführt. In Bukarest gilt dies z. B. an stark frequentierten Orten wie Wartebereichen des öffentlichen Nahverkehrs, aber auch in Bereichen der Altstadt. Dabei lässt die Disziplin der Bürger vielerorts zu wünschen übrig. Die Maske wird entweder gar nicht oder falsch getragen, zum Essen oder Telefonieren abgenommen. Von offizieller Seite her sind kaum Bemühungen erkennbar, die Bürger dahingehend zu disziplinieren.

Um einen Kollaps des Gesundheitssystems zu vermeiden, kaufte die rumänische Regierung kürzlich hunderte Beatmungsgeräte und erhöhte die Anzahl der Intensivbetten durch mobile Intensivstationen. Doch das Hauptproblem, der Personalmangel, lässt sich damit nicht lösen. Ärzteverbände schätzen, dass wegen der in den letzten Jahrzehnten erfolgten massiven Auswanderung medizinischen Personals auf rumänischen Intensivstationen im Vergleich zu westeuropäischen Spitälern nur rund ein Viertel des Personals arbeitet. Schon vor der Pandemie waren Intensivstationen unterbesetzt. Hinzu kommt, dass sich seit Beginn der Pandemie über 4 000 Ärzte und Pfleger mit Covid-19 angesteckt haben. „Wir laufen Gefahr, in Rumänien bald ein ähnliches Szenario wie in Italien zu erleben“, wird Intensivmediziner Radu Tinca vom Bukarester Notfallkrankenhaus Floreasca in der Presse zitiert. Der Leiter der Kommission für Intensivmedizin, Dorel Sandesc, hält zwar die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie für angemessen, wie ziare.com berichtet, beklagt jedoch die mangelnde Durchsetzung der Disziplin durch den Staat. „Ich habe zu viele Menschen auf Intensivstationen sterben sehen, die nicht an die Existenz des Virus oder die Gefahr glaubten.“

Nina May

Schlagwörter: Rumänien, Corona, Politik

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