11. Juli 2006

Neue Sichtweise: Eigentumsrückgabe auch ohne rumänische Staatsangehörigkeit

Die Nationale Behörde für Eigentumsrestitution in Rumänien stellt fest: Gesetzlichen Erben ohne rumänische Staatsbürgerschaft kann Grund und Boden rückerstattet werden. "Sind unsere ausgewanderten Landsleute berechtigt, enteigneten Grund und Boden zurückzubekommen?" Diese Frage hatte Wolfgang Wittstock in einem Artikel erörtert, der unter dem Titel "Zurzeit erhalten sehr viele Standardabsagen..." in der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien vom 18. März d.J. veröffentlicht und am 15. April in der Siebenbürgischen Zeitung nachgedruckt wurde.
Ausgehend vom einschlägigen Verfassungsparagraphen (Artikel 44/2: "Ausländer und Staatenlose können das Recht auf Privateigentum an Grundstücken nur unter Bedingungen, die aus dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union und aus anderen internationalen Verträgen, denen Rumänien beigetreten ist, hervorgehen, auf Grund von Gegenseitigkeit, unter Bedingungen, die ein organisches Gesetz festlegt, und durch gesetzliche Erbschaft erwerben."), kamen wir zum Schluss, dass Personen ohne rumänische Staatsbürgerschaft zurzeit nicht berechtigt sind, enteigneten Grund und Boden - genauer: landwirtschaftliche Nutzflächen und Wälder im außerörtlichen Bereich (extravilan) - zurückzubekommen. Dabei folgten wir dem Urteil erfahrener Juristen, die den Standpunkt vertraten, dass in der Rechtspraxis die Widerherstellung des Eigentumsrechtes und die gesetzliche Erbschaft zwei unterschiedliche Verfahren darstellen, selbst wenn die Antragsteller die gesetzlichen Erben des ursprünglichen, enteigneten Eigentümers sind. Beispielsweise hatte Rechtsanwalt Michael Miess im Artikel "Staatsangehörigkeit und Eigentumsrückgabe in Rumänien", der am 20. Januar 2006 in der Siebenbürgischen Zeitung veröffentlicht wurde, festgestellt, "dass der Besitz der rumänischen Staatsangehörigkeit eine Grundvoraussetzung für die Rückgabe des geraubten Eigentums an Grund und Boden ist".

Dieser Standpunkt wird offenbar von der Nationalen Behörde für Eigentumsrestitution (Autoritatea Națională pentru Restituirea Proprietăților - ANRP) nicht geteilt - was an sich eine erfreuliche Nachricht ist. Die ANRP wurde im April 2005 als Fachorgan der öffentlichen Zentralverwaltung ohne Rechtspersönlichkeit gegründet und ist der Kanzlei des Premierministers untergeordnet. Ihre Hauptaufgabe ist, die Anwendung der Restitutionsgesetzgebung in Rumänien zu koordinieren und zu kontrollieren. Zur eingangs gestellten Frage liegt uns ein Schreiben (Nr. 8029 vom 7. Juni 2006) vor, das vom ANRP-Vizepräsidenten Theodor Nicolescu unterzeichnet ist und im Briefkopf als ausstellendes Amt eine Abteilung der ANRP, die Direktion für die Koordinierung und Kontrolle der Anwendung der Gesetzgebung im Bereich der Rückgabe von Eigentum an Grund und Boden (Direcția pentru coordonarea și controlul aplicării legislației in domeniul restituirii proprietății funciare), angibt. Empfängerin dieses Schreibens ist Prof. Ilse Philippi, Kreisrätin im Kreis Hermannstadt/Sibiu seitens des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, die die ANRP angeschrieben und um die Beantwortung der Frage gebeten hatte, ob Personen ohne rumänische Staatsbürgerschaft, und zwar gesetzliche Erben enteigneter Eigentümer, auf Grund der einschlägigen rumänischen Gesetze berechtigt sind, Grund und Boden zurückzubekommen.

In ihrem Antwortschreiben stützt sich die ANRP auf ein argumentum a fortiori, den im Rechtswesen gebräuchlichen Analogieschluss vom unwahrscheinlicheren Fall auf einen wahrscheinlicheren (wenn a gilt, dann erst recht b). Wenn die Verfassung Ausländern erlaubt, als gesetzliche Erben Grund und Boden in Rumänien zu erwerben (die Situation tritt ein, wenn etwa Vater oder Mutter einer im Ausland lebenden Person ohne rumänische Staatsbürgerschaft verstirbt), so sei es nur recht und billig - meint die ANRP -, dass Personen ohne rumänische Staatsbürgerschaft, die nachweisen können, dass sie gesetzliche Erben enteigneter Eigentümer sind, antrags- und restitutionsberechtigt sind und folglich auf diesem Weg Eigentümer landwirtschaftlicher Nutzflächen werden können. Eine wichtige Rolle in der Argumentation der Restitutionsbehörde ANRP spielt auch Paragraph 46 der rumänischen Verfassung: "Das Erbrecht ist garantiert." Folglich zieht die ANRP in ihrem Schreiben an Prof. Ilse Philippi folgenden Schluss: "Zu unserem Fall zurückkehrend, vertreten wir den Standpunkt, dass Ausländer, die im Einklang mit den Verfügungen des Gesetzes Nr. 247/2005 über die Reform in den Bereichen des Eigentums und der Justiz und einige dazugehörige Maßnahmen Gesuche abgegeben haben und die anhand authentischer Urkunden nachweisen, dass sie gesetzliche Erben von Personen sind, die ein Anrecht auf die Wiederherstellung des Rechtes auf privates Eigentum an Grundstücken haben, derartige Grundstücke als Eigentum erwerben können." Die Restitutionsbehörde geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt, wiederum auf Grund des Erst-recht-Schlusses a fortiori, fest, dass, wenn bereits gesetzliche Erben ohne rumänische Staatsbürgerschaft Grundstücke per Restitution erwerben dürfen, das gleiche Recht der Restitutionsfähigkeit auch ehemaligen, ab 1945 enteigneten Eigentümern zusteht, die auf die rumänische Staatsbürgerschaft verzichtet haben.

Schön und gut: Die Restitutionsbehörde ANRP legt - wie man sieht - die einschlägige Gesetzgebung sehr großzügig aus und setzt damit ein klares Zeichen, dass die jetzige rumänische Regierung die Frage der Rückgabe von in der kommunistischen Zeit beschlagnahmtem Eigentum ernst nimmt. Die Frage ist nur, ob die Ämter und Behörden im Land, z.B. die Bürgermeisterämter und örtlichen Bodenrückgabekommissionen, die die Restitutionsgesuche zu bearbeiten haben, den Standpunkt der Bukarester Regierungsbehörde kennen und ihn teilen. Das ist offenbar nicht der Fall. Wir kennen z.B. einen im Monat Mai ausgestellten Restitutionsbescheid des Bürgermeisteramtes von Kronstadt - es geht um ein Grundstück im innerörtlichen Bereich (intravilan) -, demzufolge den gesetzlichen Erben mit rumänischem Pass das betreffende Grundstück anteilsmäßig in natura rückerstattet wurde, den gesetzlichen Erben ohne rumänischen Pass hingegen - im Einklang mit den Bestimmungen der Dringlichkeitsverordnung Nr. 184/2002 - bloß ein spezielles Nutzungsrecht (drept de folosință special) gewährt wird. Laut ANRP-Logik hätte auch im Falle dieser ehemaligen rumänischen Staatsbürger die Restitution uneingeschränkt in natura erfolgen können.

Dringend nötig wäre darum, dass der Standpunkt der Restitutionsbehörde (immerhin ein Regierungsorgan), demzufolge Ausländern als gesetzlichen Erben enteigneter Grund und Boden in Rumänien rückerstattet werden kann, in einem Normativakt (Gesetz, Regierungsbeschluss, zumindest Ministerialanordnung) verankert und dieser Normativakt im Staatsanzeiger (Monitorul Oficial) veröffentlicht wird. Dann wäre sichergestellt, dass alle in das Restitutionsverfahren implizierten Dienststellen die einschlägigen Verfügungen einheitlich auslegen und anwenden. Solange das aber nicht geschieht, sollten - empfehlen wir - Antragsteller, deren Restitutionsgesuch unter Missachtung des hier dargestellten ANRP-Standpunktes (oder auch aus anderen fadenscheinigen Gründen) abgelehnt wurde, die Restitutionsbehörde in Bukarest anschreiben und um eine klare Interpretation des jeweiligen Falles sowie um Schützenhilfe in der Auseinandersetzung mit den Behörden vor Ort ansuchen. Die Nationale Restitutionsbehörde ist im April umgezogen und hat nun folgende Adresse: Autoritatea Natională pentru Restituirea Propriet Proprietăților, RO-014472 București, Calea Floreasca Nr. 202, sector 1, Telefon/Fax: (00 40) 21-2 31 54 21.

Wolfgang Wittstock



(erschienen in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien" vom 1. Juli 2006, nachgedruckt in der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 11 vom 15. Juli 2006, Seite 5)

Weitere Artikel zu ähnlichen Themen:

Eigentumsrückgabe in Rumänien an ausgewanderte Landsleute?, Siebenbürgische Zeitung Online, 1. April 2006

Staatsangehörigkeit und Eigentumsrückgabe in Rumänien, Siebenbürgische Zeitung Online, 9. Januar 2006

Dringender Handlungsbedarf: Eigentumsrückgabe in Rumänien beantragen!, Siebenbürgische Zeitung Online, 29. August 2005

Schlagwörter: Politik, Eigentumsrückgabe, Restitution

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