6. August 2007

Umfassendes Handbuch zu Rumänien

Das ausländische Interesse an Rumänien ist seit einigen Jahren stark gestiegen. Der inzwischen vollzogene EU-Beitritt und Hermannstadt als Europäische Kulturhauptstadt 2007 sind nur zwei Anlässe, die zu einer steigenden Nachfrage nach zuverlässigen Informationen über das südosteuropäische Land geführt haben. Bis Ende letzten Jahres konnte aber kaum auf umfassende und aktuelle Standardwerke über das Land zurückgegriffen werden.
Diese Lücke füllt nun ein gewichtiger Band, der von drei ausgewiesenen Kennern des Landes herausgegeben wurde: Thede Kahl ist Geograph und Balkanologe am Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut sowie Mitglied der Balkankommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er unterrichtet an den Universitäten Bukarest, Münster und Wien. Michael Metzeltin ist Professor für Linguistik und Didaktik der romanischen Sprachen, Vorstand des Instituts für Romanistik der Universität Wien, Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Ehrenmitglied der Academia Română. Mihai-Răzvan Ungureanu ist Historiker mit Spezialisierung in Jüdischen Studien. Er war Regionalgesandter des Stabilitätspaktes für Südosteuropa sowie Staatssekretär und, zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches, Außenminister Rumäniens. Einen fast 1 000seitigen Band detailliert zu präsentieren, ist kaum möglich. Deshalb wird der Inhalt nur summarisch anhand der Titel der Kapitel und ihrer jeweiligen Autoren vorgestellt.

Der Bereich „Raum und Bevölkerung“ umfasst folgende Kapitel: Grundzüge der räumlichen Struktur Rumäniens (Mircea Buza und Wilfried Schreiber); Demographie, Migration und räumliche Entwicklung (Wilfried Heller); Ethnische Struktur (Peter Jordan und Thede Kahl); Spatial structures of the Romanian economy (Claudia Popescu); Raumplanung und Regionalentwicklung (Jozsef Benedek); Umweltsituation (Dan Bălțeanu und Mihaela Șerban); Umweltqualität in Rumänien (Maria Pătroescu, Cristian Iojă, Iulia Pătreoscu-Klotz und Radu Necșuliu).

Zum Themenkomplex „Geschichte und Geschichtsbilder“ gehören die Kapitel: Urgeschichte und Antike im Donau-Karpatenraum (Alexandru Vulpe); Das Mittealter (Ioan-Aurel Pop); Die rumänischen Länder in der frühen Neuzeit (Bogdan Murgescu); Die rumänischen Länder in der späten Neuzeit (Mihai-Răzvan Ungureanu); Die Bildung des rumänischen Nationalstaates (Dan Berindei); Die Modernisierung der rumänischen Gesellschaft (Mihai-Răzvan Ungureanu); Die Zwischenkriegszeit: Politisches System und Staatsbürgerschaft (Dietmar Müller); Rumänien unter kommunistischer Herrschaft (Petra Schaser und Gerald Volkmer); Rumänische Historiographie und Geschichtsbilder (Mirela-Luminița Murgescu); Zur Neukonzeption der rumänischen Historiographie (Harald Heppner).

Der Bereich „Kultur“ ist vertreten mit: Die Entwicklung der rumänischen Hochsprache (Petrea Lindenbauer); Sprachenvielfalt und Bildung in Rumänien (Ionela Lakatos und Petrea Lindenbauer); Die ältere rumänische Literatur (Dan Horia Mazilu); Die rumänische Literatur vom 19. Jahrhundert bis heute (Liviu Papadima); Rumänische Volkskultur (Thede Kahl); Klassische Musik in Rumänien (Grigore Constantinescu); Theater und Film in Rumänien (Maria Bara, Thede Kahl und Aurelia Vasile); Romanian Art History (Dan Grigorescu); Die rumänische Philosophie (Marta Petreu).

Unter „Gesellschaft und Politik heute“ findet der interessierte Leser folgende Ausführungen: Die erste Modernität der Rumänen und die transaktionale Mentalität (Răzvan Theodorescu); Die rumänische Gesellschaft in der Transformation (Dorothée de Neve und Tina Olteanu); Parteienlandschaft und politische Entwicklung (Anneli Ute Gabanyi); Massenmedien und Demokratisierung (Mircea Vasilescu); Das rumänische Schulwesen: Neue Herausforderungen (Alexandru Crișan), Das Hochschulwesen (Adrian Miroiu und Bogdan Florian); Religion und Kirchen in Rumänien (Karl W. Schwarz). Zum Thema „Wirtschaft“ gehören folgende Beiträge: Potential, Strukturdynamik, Attraktivität der rumänischen Wirtschaft (Ioan Ianoș); Romania’s International Transport Links (David Turnock); Die ökonomische Transformation in Rumänien im internationalen Vergleich (Uwe Dulleck); Rumänien: Wirtschaft in der Transformation (Sándor Gardó) sowie Lebensqualität in Rumänien während der Übergangsperiode (Mohácsek Magdolna und Katalin Vitos).

Der Bereich „Recht und Verfassung“ umfasst die Beiträge: Verfassungsentstehung und Verfassungsentwicklung bis 1947 (Michael Metzeltin); Verfassungsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg (Anneli Ute Gabanyi); Rechtsordnung in Rumänien (Cristian Alunaru); Rechtsangleichung Rumäniens an den aquis communautaire der EU (Ionuț Rădulețu); Minderheitenrecht und Minderheitenpolitik (Ralf Thomas Göllner).

Der Bereich „Historische Regionen“ schließt das Buch mit folgenden Kapiteln ab: Die Walachei als historische Region (Daniel Ursprung); Bessarabien als historische Region (Mariana Hausleitner); Historische Region Bukowina (Kurt Schaar); Die Dobrudscha (Thede Kahl und Josef Szallanz); Transsilvanien – Siebenbürgen, Marmarosch und Kreischgebiet (Meinolf Arens); Das Banat als historische Region (Josef Wolf).

Eine ausführliche Bibliographie zu dem südosteuropäischen Land rundet die oben genannten Ausführungen ab. Sie enthält fast ausschließlich Werke in Deutsch, Englisch und Französisch und ermöglicht es dem interessierten Leser, sich verstärkt mit Rumänien zu beschäftigen. Eine Kurzvorstellung der fast 60 Autoren und ein Index (mit Personennamen, geographischen Namen sowie einzelnen Sach- und Fachbegriffen) schließt sich daran an.

Das Buch ist kundig und komprimiert geschrieben; es erfordert – wegen des hohen Informationsgehalts – die volle Aufmerksamkeit des Lesers. Einige wenige kritische Anmerkungen seien erlaubt: Die Landstraßen durch die Karpaten als „modern“ zu bezeichnen (S. 26) ist aus Sicht der für die Landesentwicklung wichtigen Logistik schwer nachvollziehbar. Bei der Aufzählung der im Ausland lebenden Rumänen fehlen jene in der Republik Moldau (S. 67). Die als „Siebenbürger Homepage“ angegebene URL (S. 87) ist nicht repräsentativ, hier sollte www.siebenbuerger.de aufgenommen werden. Die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung endet mit dem Sturz des kommunistischen Regimes. Sinnvoll wäre eine Fortführung bis zum Beitritt des Landes zur Europäischen Union gewesen, dem wichtigsten Meilenstein in der demokratischen Transformation. Es fehlt ein Beitrag über die Moldau als historische Region. Dies wäre angesichts der immer wieder aufflammenden Debatte in der Republik Moldau über die Zugehörigkeit zum rumänischen Kulturraum versus eigener Identität wichtig gewesen. Dass „deutsch“ und „deutschstämmig“ oft nicht zutreffend und manchmal synonym verwendet werden, gehört ebenfalls zu diesen Kritikpunkten. Und „Produktivität“ ist nicht gleich „Produktionsniveau“, wie im Kapitel über die Wirtschaft (S. 603 ff.) mehrfach falsch gebraucht wurde.

Besonders hervorzuheben ist die Koordinationsleistung der drei Herausgeber. Es ist ihnen nicht nur gelungen, ausgewiesene Fachleute aus Rumänien und dem deutschsprachigen Raum zu einer Mitarbeit zu bewegen, sondern auch internationale Vertreter. Dass sie dabei auch im deutschen Sprachraum wenig bekannten Autoren eine Plattform geboten haben, sollte ebenfalls gewürdigt werden. Einige Autoren berichten allerdings über unabgestimmte Änderungen in den Manuskripten seitens der Herausgeber. Zudem wurden manche Autoren aufgenommen, die den heutigen Anforderungen an wissenschaftlicher Methodik nicht mehr entsprechen. Vielleicht lassen sich diese Punkte vor der geplanten Übersetzung ins Englisch und Französische nacharbeiten.

Zu den siebenbürgisch-sächsischen und dem Karpatenland eng verbundenen Wissenschaftlern, die an diesem Buch mitgewirkt haben, gehören Anneli Ute Gabanyi, Wilfried E. Schreiber, Gerald Volkmer, Petra Schaser, Ralf Th. Göllner sowie Meinolf Arens und Daniel Ursprung.

Uwe Konst

Thede Kahl, Michael Metzeltin, Mihai-Răzvan Ungureanu (Herausgeber.): Rumänien; Wien/ Berlin: LIT Verlag, 2006; ISBN: 3-7000-0593-8 (Österreich), 3-8258-0069-5 (Deutschland); 976 Seiten, 49,90 Euro

Schlagwörter: Politik, Wirtschaft, Rezension

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