22. April 2008

Anneli Ute Gabanyi: Gefährdet Populismus die Demokratie in Rumänien?

Einen politisch brisanten Vortrag hielt die Politikwissenschaftlerin Dr. Anneli Ute Gabanyi beim Symposion des Wissenschaftlichen Beirats der Südosteuropa-Gesellschaft am 8. Februar in München. Populistische Züge des politischen Systems in Rumänien entdeckt die bekannte siebenbürgische Politologin nicht nur beim kommunistischen Diktator Nicolae Ceaușescu oder dem ersten Staatschef nach 1989, Ion Iliescu, sondern auch beim derzeitigen Staatspräsidenten Traian Băsescu. Dessen Kampf gegen die Korruption und die postkommunistischen Machenschaften analysiert Gabanyi aus dem Blickwinkel einer „populistischen Machtpolitik“. Der Vortrag wir im Folgenden gekürzt abgedruckt, die vollständige Fassung erscheint demnächst in den Südosteuropa Mitteilungen, Heft 2/2008.
„Ein Gespenst geht um in der Welt: der Populismus“, schrieben Ghita Ionescu und Ernest Gellner bereits 1969. Damals wie heute war es nicht einfach, den Begriff des Populismus zu definieren. Die Grenze zwischen Demokratie und Populismus, Wahlkampfdebatte und Demagogie lässt sich nicht immer leicht ziehen. Der Populismus, den ich meine, bezeichnet einen politischen Code, der darauf gerichtet ist, das System der modernen repräsentativen Demokratie, ihre Werte und Institutionen zu delegitimieren und zu untergraben mit dem Ziel, Macht zu erringen oder zu sichern. Populistische Parteien oder Persönlichkeiten verstehen sich als einzige vom Volkswillen, dem „Demos“ legitimierte Machtinstanzen im Staat und als alleinige Vorkämpfer für moralisches Wirtschaftshandeln und soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Das – entrechtete, ausgeplünderte, ausgebeutete – „Volk“ wird den – räuberischen, korrupten, anders-nationalen – „Eliten“ gegenübergestellt. Dementsprechend operiert der populistische Diskurs mit Vereinfachungen und Patentrezepten, er zielt auf Emotionen und Aggressionen.

Mit dem EU-Beitritt von zehn vormals kommunistischen Staaten Ost- und Südosteuropas hält auch eine neue Variante des Populismus Einzug im erweiterten Europa. Für das Entstehen demokratischer Gemeinwesen im ehemals kommunistischen Osteuropa, aber auch für den Zusammenhalt des vereinigten Europas könnte sie zur Bedrohung werden. Zwischen der Spielart des Populismus im „alten Europa“ und der Populismusvariante im postkommunistischen „neuen Europa“ tun sich allerdings relevante Unterschiede auf.

Erstere hat ihren Ursprung in den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Globalisierung und in der Europa-Müdigkeit als Folge des Kommunikationsdefizits innerhalb der EU. Letztere erwuchs aus der Enttäuschung über die notgedrungen unvollkommene Erfüllung der unrealistischen Erwartungen, die in den ehemals kommunistischen EU-Beitrittsstaaten an Transformation und euro-atlantische Integration geknüpft worden waren.

Populismus im Zuge des Machtwechsels in Rumänien

Die spezifische Entwicklung Rumäniens während der nationalkommunistischen Ceaușescu-Diktatur, die singuläre Form des Machtwechsels von 1989 und der daraus resultierende Sonderweg bereiteten den Nährboden für populistische Ausformungen des politischen Systems in diesem Land. Die kommunistische Diktatur Nicolae Ceaușescus trug eindeutig populistische Züge: totale Identifikation zwischen Volk und Partei, ein übergreifender Personenkult, Ausgrenzung der nationalen Minderheiten, hypertropher Nationalismus, Schein-Mitbestimmung in der Wirtschaft, fiktive Einbeziehung der Gesamtgesellschaft in politische Entscheidungsmechanismen.

Im Dezember 1989 wurde der rumänische Diktator im Zuge eines gewaltsam verlaufenen Volksaufstand gestürzt, der zu einer bis heute andauernden starken Polarisierung der Bevölkerung geführt hat. Der Volksaufstand diente nicht nur als auslösendes Element eines mit externer Hilfe geplanten Staatsstreichs einer „internationalistisch“ gesinnten Gegenelite zu Ceaușescu- Partei, sondern auch als populistisches Argument für die behauptete direkte Legitimation der neuen Führung als „Emanation“ – d.h. Ausgeburt der Revolution.

Hinzu kamen populistische Sofortmaßnahmen zur raschen Verbesserung der Versorgungslage der Bevölkerung, die Vereinnahmung der Zivilgesellschaft und die umfassenden Kontrolle der elektronischen Medien, die es der neuen Machtelite um Staatschef Ion Iliescu ermöglichten, sich als Retter der Nation und Befreier vom Kommunismus, als Herold von Demokratie und materiellem Wohlergehen darzustellen. Zugleich hob die Front der Nationalen Rettung bald nach der Wende nationalistisch-populistische Parteien aus der Taufe, von denen eine – die Partei Großrumänien unter ihrem Vorsitzenden Corneliu Vadim Tudor – bis zum heutigen Tag überdauert hat. Auch die erst vor wenigen Jahren gegründete faschistisch-populistische Ein-Mann Partei Neue Generation des Millionärs und Fußballclubbesitzers Gigi Becali wurde auf Initiative eines führenden Mitglieds der Sozialdemokratischen Partei ins Leben gerufen.

Populismus als Mittel der politischen Auseinandersetzung

Seit Beginn der politischen Transformation pendelt das stark polarisierte rumänische Elektorat zwischen der mehrfach umbenannten, jetzt Sozialdemokratischen Partei einerseits und anti-kommunistischen und anti-systemischen Oppositionsparteien und Parteien mit zunehmend populistischen Politikinhalten und Politikstilen andererseits. Ihren bisherigen Höhepunkt als Mittel der politischen Auseinandersetzung erreichte der Populismus in Rumänien im Wahlkampf des Jahres 2004. Der Wahlkampfstil des Präsidentschaftskandidaten Traian Băsescu war eine Kombination aus den Politikinhalten und dem Stil jener beiden Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen seit 1992, die „dem Kandidaten des Systems“ Ion Iliescu gefährlich geworden waren – Emil Constantinescu, der Sieger der Wahlen von 1996 und der Beinahe-Sieger des Jahres 2000, Corneliu Vadim Tudor. Wie vor ihm Corneliu Vadim Tudor behauptete Traian Băsescu im Wahlkampf des Jahres 2004, außerhalb des „Systems“ nach 1989 gestanden zu haben. Wie Tudor stilisierte auch Băsescu sich zum Rächer des Volkes gegen Korruption und Ausplünderung „des Volkes“ durch „die Herrschenden“ hoch und schlug autoritäre und gewaltsame Problemlösungen vor. Wie Tudor fuhr er diffamierende Kampagnen gegen politische Mitbewerber mit heftigen Attacken unter die Gürtellinie und übte sich in der Rhetorik des „jugendlichen Großstadtmobs“. Zugleich versuchte Băsescu wie vor ihm Emil Constantinescu, die Intellektuellen, die Zivilgesellschaft und die Presse (nicht zuletzt auch die westliche Presse) auf seine Seite zu ziehen, doch anders als Constantinescu, der sich zur Integration in NATO und EU als dem Hauptvektor seiner künftigen Außenpolitik bekannte, schlug Băsescu im Wahlkampf gelegentlich EU-feindliche Töne im Stil eines „rumänischen Kaczynski“ an.

Tatsächlich entsprach jedoch Băsescus angemaßtes Image eines „Systemgegners“ keineswegs der Realität und auch seine im Wahlkampf vorgebrachte Behauptung, alleiniger Vorkämpfer gegen die Korruption im Land zu sein, gilt als unglaubwürdig, auch wenn entsprechende gerichtliche Ermittlungen seit seiner Wahl zum Staatsoberhaupt eingestellt wurden und belastende Unterlagen nicht mehr auffindbar sind.

Populismus als Gefährdung der demokratischen Institutionen

In Rumänien prägte der Populismus aber nicht nur den Wahlkampf des Jahres 2004 – inzwischen droht er, die sich herausbildenden demokratischen Strukturen des Landes nachhaltig zu beschädigen. Die populistische Strategie des rumänischen Präsidenten zeitigte in den ersten Jahren seiner ersten Amtsperiode Folgen für das politische System: Infragestellung des Systems der repräsentativen Demokratie und Schwächung seiner Institutionen, politische Instabilität und gesellschaftliche Polarisierung und nicht zuletzt auch ein Verlust an außenpolitischer Berechenbarkeit – und dies alles in einer entscheidenden Phase der euro-atlantischen Integration des Landes. Băsescu trat sein Amt mit der erklärten Absicht an, das politische System Rumäniens im Sinn seiner machtpolitischen Ambitionen zu verändern. Um sein Ziel – den Verbleib im Amt des Staatspräsidenten für die kommenden zehn Jahre (zwei Wahlperioden) – zu erreichen, sagte er der Verfassung, den Gesetzen und den demokratischen Institutionen den Kampf an. An erster Stelle stand dabei die Neuinterpretation bzw. Die angestrebte Änderung der Verfassung hinsichtlich der Stellung des Präsidenten im politischen System.

Die politischen Parteien, seine eigene Demokratische Partei eingeschlossen, sind für den Präsidenten nur ein Mittel, um die Macht in dem gegebenen System der parlamentarischen Demokratie zu erringen oder zu bewahren. Sein politisches Credo und das Programm seiner Partei sind je nach politischer Opportunität austauschbar. Während seiner Amtszeit vollzog der Präsident gleich zwei radikale ideologische Wendemanöver: Vom selbsterklärten Kommunisten im Wahlkampf wandelte er sich zum vehementen Ankläger gegen das kommunistische System, und seine Demokratische Partei, die sich jahrelang als sozialdemokratische Partei definiert und eine Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationale angestrebt hatte, etikettierte sich 2005 als konservative Volkspartei um und trat der EVP im Europäischen Parlament bei. Die in der Verfassung vorgesehene Gewaltentrennung hat der 2004 gewählte Präsident in der politischen Praxis permanent missachtet. Parlament und Parteien wurden in den Augen der Wähler diskreditiert, die Justiz politisiert und die Regierung, die der Präsident als eine Institution von seinen Gnaden ansieht, dazu verpflichtet, seine politischen Zielsetzungen zu verwirklichen. Stattdessen setzt er auf die Staatsanwaltschaft und die Geheimdienste, mit deren Unterstützung der Lustrationsprozess zum eigenen politischen Nutzen manipuliert wird.

Innergesellschaftlich wurden populistische Taktiken als gesellschaftliche Konfliktstrategie eingesetzt, um eine permanente Krisenstimmung im Lande wachzuhalten und Möglichkeiten der gesellschaftlichen Konsensfindung im Keim zu ersticken. Dadurch kam es seit 2004 zu einer Vertiefung der Polarisierung der Gesellschaft. Neue Spaltungen wurden provoziert und ein neuer Klassenkampf angefacht zwischen „dem Volk“ als dem Verlierer der Transformation und den en bloc als korrupt diffamierten „oligarchischen Eliten“. Ein cäsarischer Personenkult macht sich breit.

Außenpolitische Kollateralschäden populistischer Politik

Die aus dieser populistischen Machtpolitik resultierende innenpolitische Instabilität des Landes und die widersprüchlichen außenpolitischen Positionen der rumänischen „Doppelspitze“ wirkten sich erschwerend auf den EU-Beitritt des Landes aus. Auch führte die zweigleisige rumänische Außenpolitik zu einem Verlust an Eindeutigkeit und Verlässlichkeit. Aus Sicht der außenpolitischen Partner Rumäniens stellt sich das Problem der außenpolitischen Berechenbarkeit des Landes, für dessen Aufnahme in NATO und EU ja nicht zuletzt seine potenzielle Rolle als Stabilisierungsfaktor in der Region sowie die Haltung Rumäniens im Kosovo-Konflikt und im Kampf gegen den weltweiten Terror ausschlaggebend gewesen war. Doch gerade dieser Rolle konnte Rumänien infolge der gestörten außenpolitischen Zusammenarbeit zwischen dem Premierminister und dem Präsidenten nicht wie erwartet gerecht werden. Damit riskiert Rumänien nicht nur, seine privilegierten NATO-Partner vor den Kopf zu stoßen, sondern vergibt sich zugleich auch die Chance, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU mitzugestalten und sich innerhalb der Union Gewicht zu verschaffen.

Anneli Ute Gabanyi

Schlagwörter: Politik, Băsescu

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