2. Juni 2012

„Die Stadt sei Euer“

In seiner Rede zur Eröffnung des Heimattages der Siebenbürger Sachsen zeigte sich Dr. Christoph Hammer, Oberbürgermeister der Stadt Dinkelsbühl, begeistert über das Konzert von Peter Maffay und den Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und hieß die Siebenbürger zum wiederholten Male in seiner Stadt herzlich willkommen.
Sehr geehrte Ehrengäste, verehrte Damen und Herren, ich freue mich ganz besonders, dass wir Sie wieder begrüßen können in Ihrer Stadt Dinkelsbühl zum schon historischen Pfingsttreffen der Siebenbürger Sachsen. Seien Sie uns herzlich willkommen. Manches ist an anderen Treffen anders, wir haben gestern eine Änderung erfahren. Vieles, was auf uns zukommt, wissen wir, zum Beispiel der morgige Trachtenumzug oder der Fackelzug mit der Knabenkapelle zur Gedenkstätte mit großem Zapfenstreich. Wir werden viele bewegende Begegnungen haben, wir treffen Freunde, wir fühlen uns saugut, dass Sie da sind. Sie wissen ja, dass es sich in Dinkelsbühl nur zu besonderen Anlässen schickt die Amtskette zu tragen, einer davon ist das Pfingsttreffen der Siebenbürger Sachsen. Herr Ministerpräsident, ich darf Ihnen sagen, diese Medaille hat zwei Seiten. Auf der einen Seite ist das Wappen der Stadt Dinkelsbühl, auf der anderen das Emblem des Freistaates Bayern. Natürlich habe ich heute zur Eröffnung ausnahmsweise den Freistaat nach vorne genommen. Ich freue mich ganz besonders, dass Sie zu uns gekommen sind, Herr Ministerpräsident. Ihr Kommen unterstreicht die besondere Bedeutung des Heimattages einerseits und Ihre Zuneigung zur Großen Kreisstadt Dinkelsbühl andererseits. Ihre Anwesenheit erfüllt uns mit großem Stolz.

Auch freue ich mich besonders, dass der Chefberater des rumänischen Präsidenten und ehemalige rumänische Außenminister Cristian Diaconescu zu uns gekommen ist.

Herzlich Grüß Gott den Vertretern der siebenbürgischen Verbände und Gemeinschaften, allen voran unserem Freund Dr. Bernd Fabritius.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, er hat versprochen, dass er in Dinkelsbühl so richtig rockt und er hat sein Versprechen gehalten, sogar übertroffen. Das gestrige Open-Air von Peter Maffay & Band auf der Schwedenwiese hat riesig großen Spaß gemacht. Peter Maffay brachte alte Hits mit und hielt auch einige neue musikalische Überraschungen bereit. Alle Zuschauer waren begeistert. Ein wunderbarer Auftakt zum diesjährigen Heimattag der Siebenbürger Sachsen. Wohl einmalig. Wir werden noch lange davon erzählen.

Was mich persönlich sehr gefreut hat, und wir haben es gestern auf der Bühne mit Blick in die unglaubliche Menge auch gesagt, dass es eine Veranstaltung war, die Dinkelsbühler, Landkreisbürger und Siebenbürger Sachsen zusammengeführt hat. Mich hat es wahnsinnig gefreut, dass Peter Maffay durch die Siebenbürger Sachsen, die ihn letztes Jahr so umgarnt haben, aus seiner Zusage ein Konzert abzuhalten nicht mehr heraus konnte und ein musikalisches Freundschaftsband um uns gelegt hat. Ich persönlich habe mich besonders gefreut, weil es ein Versprechen war, dass er Hildegard Beck beim Empfang unserer Landtagspräsidentin Barbara Stamm in München gegeben hat und die Einlösung dieses Versprechens eine Ehrbekundung unserer Bürgermeisterin gegenüber war. Zudem hatte das Open-Air Benefizcharakter. Peter Maffay, selbst gebürtiger Siebenbürge Sachse, unterstützt mit der Veranstaltung sein Projekt „Kirchenburg Radeln – Schutzraum für Kinder“ in Siebenbürgen. Mit dem Betrieb des therapeutischen Kinderferienhauses setzt die Peter-Maffay-Stiftung ein Signal für den Aufbruch: Mit verschiedenen Projektpartnern werden in Häusern des Ortes Radeln Aktivitäten entwickelt, die den Kindern und Jugendlichen des Kinderhauses, aber auch der dort lebenden Bevölkerung dienen. Altes Handwerk und ein ökologischer Bauernhof sind neben einem Ärztehaus die Eckpfeiler des Projektes. Dabei gilt Subsidiarität, Eigenverantwortung und soziales Miteinander. Die Bewohner vor Ort werden in die Projekte mit einbezogen und Arbeitskräfte aus dem Dorf finden eine Beschäftigung. Einzelne Ethnien werden nicht bevorzugt. Lokale Traditionen und Handwerkstechniken werden bewahrt und örtliche Materialien und Produkte verwendet.

Diese Grundüberlegungen Subsidiarität, Eigenverantwortung und soziales Miteinander sollten darüber hinaus politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Maxime sein. Aufgaben, Handlungen und Problemlösungen sollten so weit wie möglich selbstbestimmt und eigenverantwortlich unternommen werden, also wenn möglich vom Einzelnen, vom Privaten, von der kleinsten Gruppe oder der untersten Ebene einer Organisationsform. Nur wenn dies nicht möglich ist, sollen sukzessive größere Gruppen, öffentliche Kollektive oder höhere Ebenen die Aufgaben und Handlungen unterstützen und gegebenenfalls übernehmen. In der Vergangenheit in Siebenbürgen gab es leider viele Jahrzehnte, in denen die Bürger nicht eigenverantwortlich handeln durften. Jahrzehnte, in denen keine Eigenverantwortung erlaubt und in denen ein soziales Miteinander unmöglich war.
Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer bei der ...
Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer bei der Eröffnung des Heimattages im Schrannensaal. Foto: Gunter Roth
Ein Blick in die Historie belegt dies. Die Niederlassung der Siebenbürger Sachsen, der ältesten deutschen Siedler auf dem Territorium des heutigen Rumänien, im „Lande jenseits der Wälder“ erfolgte im 12. Jahrhundert im Zuge der deutschen Ostkolonisation. Jahrhundertelang gelang es den Siebenbürger Sachsen allen Kriegswirren und politischen Verwerfungen zum Trotz die Struktur ihres Gemeinwesens zu bewahren.

1867 erfolgte die Gründung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, die Siebenbürger Sachsen verloren die politische Grundlage ihrer Autonomie.

Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie votierten die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben im Jahre 1919 für den Anschluss an das Königreich Rumänien. Der neue rumänische Staat erfüllte nicht alle den Minderheiten gemachten Versprechungen, vielmehr verlor die evangelische Kirche große Teile ihres Grundbesitzes, der muttersprachliche deutsche Unterricht wurde reduziert und der Zugang nichtrumänischer Studenten zu den Universitäten erschwert.

Während des Nationalsozialismus wurden viele Männer in Einheiten der Wehrmacht, der Organisation Todt sowie in der deutschen Rüstungsindustrie eingesetzt. Rund 15 Prozent von ihnen fielen im Krieg. Von den Überlebenden konnten nur wenige Tausend nach Rumänien zurückkehren, wo sie verhaftet und zum Teil jahrelang in Gefangenschaft festgehalten wurden.

Nach dem im Jahr 1944 vollzogenen Frontwechsel Rumäniens begannen für die in Rumänien zurückgebliebenen Deutschen Jahre der Entrechtung, Verschleppung und Diskriminierung.

In den ersten Nachkriegsjahren wurde die deutsche Minderheit in Rumänien in besonderer Weise diskriminiert: sie verlor alle politischen Rechte sowie Haus und Grundbesitz. Die selbstständige Lebensgrundlage wurde entzogen, Schulen und Kirchen verstaatlicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Historie ist immer ein Teil der eigenen Vergangenheit oder zumindest der Vergangenheit der Eltern und Großeltern. Die Ereignisse der Vergangenheit hängen immer kausal mit der Gegenwart zusammen und prägen diese. Besonders prägt die Siebenbürger die Zeit der 60er, 70er und 80er Jahre. Sie prägt, weil viele in diesen Jahrzehnten aufgewachsen sind und bereits in einem Alter waren, in dem sie bewusst das Geschehene wie die kommunistische Ceaușescu-Diktatur erlebt haben. Ceaușescu vertrat die Ansicht „Rumänien den Rumänen“. Viele Deutsche in Rumänien fühlten sich wie im Gefängnis. Die Siebenbürger Sachsen wurden ihrer Heimat entfremdet. Der Wunsch nach Rückkehr in die deutsche Urheimat wuchs.

Familienzusammenführung war und ist hier das Stichwort. Letztes Jahr beim Jahresempfang des Freundeskreises Dinkelsbühl-Schäßburg referierte Dr. Lars Fabritius in Dinkelsbühl über die nach außen hin „nur“ als Familienzusammenführung wahrgenommenen Auswanderungen von Rumäniendeutschen nach Deutschland von 1969 bis 1989 unter dem Aspekt des Freikaufs. Dr. Lars Fabritius berichtete, dass erst seit 2009 der langjährige Verhandlungsführer der Bundesregierung in Sachen Freikauf, Dr. Heinz Günther Hüsch, über den Freikauf reden durfte. Dr. Hüsch war beauftragt, (Zitat) „Einigungen herbeizuführen, durch die die Zahl der Ausreisen wesentlich erhöht werden könnte“. Diese Einigungen wurden in erster Linie mit Kopfgeldzahlungen erreicht. Gestaffelt wurden je nach Alter und Ausbildungsgrad Kopfgelder von 1700 DM bis 11.000 DM bezahlt. Dies zum Thema der „Gleichwertigkeit“ von Menschen. In welche Kanäle die üppigen Mittel und Güter geflossen sind, ist unklar, so Dr. Lars Fabritius.

Über 200.000 Deutsche haben Rumänien in dieser Zeit verlassen. Örtliche Gemeinschaften der Deutschen in Rumänien sind zerfallen, die Infrastruktur hat sich wesentlich verschlechtert. Weitere über 100.0000 Deutsche verließen nach Zusammenbruch des Kommunismus das Land.

Die Leistungsträger aus dem Haus zu vertreiben, war für Rumänien, für Ihren Karpatenbogen ein Kardinalfehler. Dass dies von der politischen Führung Rumäniens heute auch so gesehen wird, wurde zum Beispiel letztes Jahr beim Pfingsttreffen in Dinkelsbühl wohlwollend zur Kenntnis genommen, wie auch der Hinweis, dass der Karpatenbogen Sie braucht. Wir in Dinkelsbühl haben durch die Verwerfungen des Zweiten Weltkrieges, durch die Zuwanderung der Sudetendeutschen und der Siebenbürger Sachsen aus dem Karpatenbogen wahrscheinlich die erste große Aufbruchstimmung bekommen nach dem 30-jährigen Krieg. Wir haben uns gefreut, dass die Eliten aus dem Karpatenbogen zu uns gekommen sind. Sie haben Dinkelsbühl, Bayern, viele Bundesländer und Kommunen nachhaltig positiv in Ihrer Entwicklung beeinflusst – herzlichen Dank dafür.

Sehr geehrte Damen und Herren, Ihr Land beeindruckt und bewegt. Wehrkirchen und Kirchenburgen prägen auch heute noch das siebenbürgisch-sächsische Siedlungsgebiet. Eine kulturhistorische Bausubstanz, die es zu erhalten gilt. Für den Erhalt wurde viel geleistet. Beeindruckt bin ich letztes Jahr von der Fahrt nach Rumänien gemeinsam mit meinen Stadträten zurückgekehrt. In den Städten wie Schäßburg sind viele Fassaden renoviert und neu gestrichen. Am Straßenrand sind Blumen gepflanzt. Altertümliche Gassen geben ein herrliches Bild. Die Landschaft des stark gegliederten Hügel- und Berglands in Siebenbürgen ist uns ans Herz gewachsen.

Allerdings sind wir auch besorgt darüber, wie viele historische Gebäude, insbesondere auch Kirchen, leer stehen und dem Verfall preisgegeben sind. Es war ja auch die Besonderheit, dass unsere Stadt den Ihren, von Kirchenburgen geprägten so ähnlich ist, warum wir vor über fünfzig Jahren diese partnerschaftlichen Verbindungen zwischen den Siebenbürger Sachsen und Dinkelsbühl eingegangen sind. Auch in Dinkelsbühl versuchen wir diese historische Bausubstanz zu erhalten, weil wir wissen, dass alle Gebäude Erinnerungen haben, von Menschen geschaffen worden sind mit Blut und Tränen, mit Schweiß, mit Engagement, mit Visionen, weil es keine toten Steine sind, sondern weil es unsere Vergangenheit ist, und nur wenn wir wissen, woher wir kommen, können wir auch sagen, wohin wir gehen.

Liebe Siebenbürger Sachsen, Sie haben eine beeindruckende Heimat. Und Sie kennen nicht nur Ihre Heimat Siebenbürgen als Bausubstanz und Landschaft, also die äußeren Werte, sondern auch die Heimat mit all ihren Gefühlen, Eigenschaften und Qualitäten – die inneren Werte. Und Sie haben sich Ihren Zusammenhalt bewahrt, Ihre Kultur, Ihre Traditionen, Ihre Wurzeln, ja sogar Ihre Sprache. Sie schaffen Bewusstsein für den Wert des Erbes in Rumänien. Sie sind füreinander da, helfen einander und leisten humanitäre und finanzielle Hilfe in Ihrem Heimatland Rumänien und auch bei Ihren Landsleuten in Deutschland. Sie zeigen uns, was die Älteren geschaffen haben und worauf die Jüngeren heute aufbauen können: „Erbe erhalten – Zukunft gestalten“ – das diesjährige Motto des Heimattages.

Liebe Gastgemeinde, auch 2012 treffen sich in Dinkelsbühl wieder Freunde mit Freunden. Als Oberbürgermeister der Partnerstadt heiße ich Sie herzlich willkommen. Das Pfingstreffen ist für unsere Stadt immer etwas Besonderes. Damit auch zu einem Gelingen eines vereinten und friedlichen Europas beigetragen zu haben, ist für uns ein erhebendes Gefühl. Wenn rumänische Politiker wie Staatspräsidenten, Außen- und Innenminister, Botschafter, kirchliche Würdenträger sowie deutsche Führungspersönlichkeiten wie Außenminister Genscher, Innenminister Schily und heute als ganz besonderer Ehre der bayerische Ministerpräsident zu uns kommen, ehrt uns dies. Wir haben uns in Dinkelsbühl immer als Bindeglied gesehen von West nach Ost: Wir feiern dieses Jahr 50 Jahre Städtepartnerschaft Dinkelsbühl-Guérande und fast sieben Jahre Partnerschaft Dinkelsbühl-Schäßburg.

Die Heimattage der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl sind ein Stein des Friedenspuzzles Europas. Lasst uns alle daran weiter bauen. Denn Europa ist nicht allein der Euro. Europa ist das Zusammenleben von Menschen in Frieden und Freiheit, mit gegenseitigem Respekt und Hilfe. So wie wir es von Euch aus Eurer Vergangenheit und der gelebten Gegenwart kennen.

Ich grüße Euch als unsere Freunde, ich wünsche ein harmonisches Gelingen der Festtage, einen angenehmen Aufenthalt und viel Freude beim Wiedersehen. Die Stadt sei Euer.

Schlagwörter: Heimattag 2012, Oberbürgermeister, Christoph Hammer

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