5. November 2009

Europa heute: Wer bannt die Dämonen?

Bei den 32. Andechser Europatagen zog die Paneuropa-Union Deutschland eine Bilanz der 20 Jahre seit dem Fall des Eisernen Vorhanges. Nationalismus und etatistischer Provinzialismus bedrohen die europäische Einigung und alte Strukturen gewinnen wieder an Macht. Kann der klare Blick behalten werden und können die Gespenster der Vergangenheit gebannt werden? Darüber diskutierten die Teilnehmer des Podiumsforums am 18. Oktober im Kloster Andechs, zu dem Bernd Posselt, MdEP und Präsident der Paneuropa-Union Deutschland, eingeladen hatte.
Es moderierte Dirk Hermann Voß, Landesvorsitzender der Paneuropa-Union Bayern. Zu den namhaften Podiumsteilnehmern aus Kirche, Politik und Wissenschaft gehörte auch der ungarisch-kalvinische Bischof und rumänische Europaabgeordnete László Tőkés, der eine bedeutende Rolle bei der demokratischen Revolution gegen das Ceaușescu-Regime 1989 spielte. Für ihn übersetzte Herta Daniel, Vorsitzende des Landesverbandes in Bayern der Siebenbürger Sachsen.
32. Andechser Europatage, von links: Bischof ...
32. Andechser Europatage, von links: Bischof Lazslo Tőkes, MdEP; Landesvorsitzende in Bayern Herta Daniel; Bernd Posselt, MdEP. Foto: H. Daniel
Bischof Tőkés, der sich als Repräsentant der Ungarn aus Rumänien vorstellte, umriss das Bild der multiethnischen Landschaften Siebenbürgens und des Banats. Als Pfarrer in Temeswar und später Bischof in Großwardein konnte er Menschen aus zehn Konfessionen und ethnischen Gruppen kennenlernen. Diese Region sei geprägt von einer historisch gewachsenen, über Jahrhunderte währenden Toleranz, die leider im 20. Jahrhundert durch zwei Weltkriege, Diktatoren und Nationalisten gestört worden sei. Ähnliches sei auch im Sudetenland und anderen Ländern, wo die kommunistische Diktatur ebenfalls national geprägt war, zu beobachten gewesen. Charakteristisch für den Beginn der Revolution 1989 in Rumänien sei die Vereinigung aller Konfessionen, Religionen und ethnischen Gruppen gewesen, ein Phänomen, das er als den „Geist von Temeswar“, bezeichnete und das durch die gelebte Toleranz der dort wohnenden Menschen erklärt werden kann.

Ererbte Krise aus dem Kommunismus

Der Initiator der demokratischen Revolution gegen das Ceaușescu-Regime im Jahr 1989 bedauerte das Weiterbestehen der alten Strukturen. So habe man zum Beispiel die berüchtigte Securitate einfach umbenannt. Das Erbe des Ceaușescu-Regimes lebe weiter und die dadurch entstandenen Spannungen bestünden nach wie vor. In Rumänien sei nach der Revolution eine postkommunistische Regierung an der Macht, so auch in Ungarn, in der Slowakei, wo nationalistische Züge zum Tragen kämen. Seines Erachtens liegen die Wurzeln der heutigen politischen „Dämonen“, die in den Ländern des ehemaligen Sowjetblocks zu finden seien, im Kommunismus; es gelte, gemeinsame Anstrengungen auf EU-Ebene zu unternehmen, um diese zu beseitigen. Die Welt rede von der Finanz- und Wirtschaftskrise, aber zusätzlich gebe es noch die vom Kommunismus ererbte Krise, die nicht beachtet würde, aber mindestens ebenso bedrohliche Auswirkungen wie erstere haben könne. Hoffnung für seine Heimat setze er auf das vereinte Europa. Dieses sei der Rahmen, der den Minderheiten die Chance biete, gleichberechtigte Partner mit der Landesnation werden zu können. Tőkés dankte Otto von Habsburg, der ihn in schwierigen Zeiten unterstützt hätte, und Bernd Posselt, der aufgrund seiner sudetendeutschen Wurzeln „eine sehr bekannte Stütze der Minderheiten in Europa“ sei.
Teilnehmer der Podiumsdiskussion bei den 32. ...
Teilnehmer der Podiumsdiskussion bei den 32. Andechser Europatagen, von links nach rechts: Jurai Alner, Herta Daniel, Laszlo Tőkes, Dr. Dirk Hermann Voss, Michael Mayer, Siegbert Alber, Sadija Klepo, Prof. Rudolf Kucera. Foto: Isabel v. Kuehnelt-Leddihn
Hoffnung auf die EU brachte auch Sadija Klepo, Balkan-Redakteurin von Radio Lora, zum Ausdruck. Die ehemalige bosnische Parlamentsabgeordnete schilderte den Handlungsbedarf in ihrem Heimatland.

Als eines der Krebsübel des östlichen Mitteleuropa diagnostizierte Prof. Rudolf Kucera, Politikwissenschaftler der Prager Karlsuniversität und Präsident der Paneuropa-Union Böhmen und Mähren, die von fast allen Teilnehmern angesprochene Korruption, die sich tief in Staat und Gesellschaft der Beitrittsländer hineingefressen habe. Dies versuche man vielfach durch Nationalismus und Populismus zu überspielen. Die Europäische Union trage aber Mitschuld daran, dass von den jeweiligen Regierungen der neuen Beitrittsländer getroffene Gegenmaßnahmen nicht oder nur in geringem Maße griffen. Diese Podiumsdiskussion ermöglichte 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einen umfassenden Einblick in die derzeitige politische Situation der neuen EU-Mitgliedsstaaten, wobei sowohl Gemeinsamkeiten als auch differenziertere Betrachtungsweisen zur Sprache kamen. Alle Teilnehmer erachteten es als gemeinsame Aufgabe der EU, aber auch der Paneuropas, gegen die aus dem Kommunismus ererbten negativen, den europäischen Einigungsprozess behindernden Störfaktoren vorzugehen, wie z. B. Rückfall in den Nationalismus oder Korruption in der Slowakei und Tschechien (Juraj Alner, Generalsekretär der Paneuropa-Union Slowakei und Gastprofessor an der Universität des Baskenlandes) bzw. nicht EU-konforme Urteile in Rumänien, die vor dem Europäischen Gerichtshof nicht bestehen (Prof. Kucera). Im Hinblick auf die viel diskutierte Toleranz zwischen den Nationen wurden auch Unterschiede zwischen den Regionen Europas deutlich: So sei der schreckliche Krieg, in den Bosnien-Herzegowina hineingerissen wurde, durch den Hass verschiedener Völker untereinander möglich gewesen, wobei aber auch externe Komponenten eine große Rolle spielten (Kleco). In Rumänien hingegen zeichnete sich der Beginn der Revolution eben darin aus, dass alle dort lebenden Volksgruppen sich gegen den Kommunismus zusammenschlossen, was als Ergebnis einer praktizierten Toleranz betrachtet werden könne (Tőkés).

Die wirtschaftlich ausgerichtete EU sollte auch in politischer Hinsicht zu einer Union wachsen (Prof. Siegbert Alber, Generalanwalt a.D. beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg) bzw. sich ihrer geistigen und moralischen Werte bewusst werden (Prof. Kucera, Michael Mayer, ungarischer Bischof donauschwäbischer Herkunft), um so Perspektiven für eine friedliche Zukunft in der EU zu schaffen (Tőkés).

HD

Schlagwörter: Europa, Revolution

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