27. November 2011

Volkstrauertrag gegen das Vergessen und Verdrängen

Am 13. November, dem Volkstrauertag, wurde in ganz Deutschland der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht, so auch in Dinkelsbühl, Partnerstadt des Verbandes der Siebenbürger Sachsen. Nach einem Gottesdienst in der evangelischen St. Paulskirche wurden Kränze an der Kriegergedächtniskapelle niedergelegt. Dinkelsbühls Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer zitierte in seiner Rede den Brief eines in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrsoldaten und verlas die Namen der Gefallenen dieses Jahres. Die nachfolgende Ansprache an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen hielt Rosel Potoradi, Mitglied des Kreisverbandes Nürnberg.
Jedes Mal, wenn ich zur Gedenkstätte komme, bin ich von dieser prächtigen Allee, von diesen stolzen Bäumen beeindruckt. Sie strahlen Ruhe, Geborgenheit, Kraft und Frieden aus. Aus diesem Grund möchte ich meine Ansprache mit dem tiefsinnigen Gedicht: „Bäume“ beginnen.

„Die Bäume lauschen,/ sie erzählen vom Leben/ in kreisenden Ringen, vom Wechsel in Licht und Schatten,/ vom Ausharren in Sturm und Wetter, in Kälte und Hitze,/ vom Wurzelschlagen und Bleiben,/ vom Verwelken und Blühen, vom Verdorren und Grünen,/ von der Kraft des Neuwerdens. // Mit Bäumen flüstern,/ wie mit einem Freund,/ ihm vertrauen,/ ihn umarmen. // Bäume sind lebendiger Trost,/ spenden Mut/ zum Aufbruch, zum Weitergehen/ und Loslassen,/ lehren uns/ das Schweigen und Staunen,/ das Sterben und Auferstehen,/ das Leben liebend zu leben.“

Der Dichter Benedikt Werner Traut aus Gundelfingen im Breisgau könnte dieses Gedicht „Bäume“ hier, an dieser ehrwürdigen Gedenkstätte, die von prächtigen Bäumen schützend umgeben wird, geschrieben haben. Ich glaube kaum, dass es einen schöneren Ort des stillen Gedenkens und Trauerns als diesen hier gibt. Bäume im Herbstkleid mahnen an das Vergängliche im Leben, einen immer wiederkehrenden Umbruch vom Licht zum Dunkel, von der Erntezeit zur Winterstarre. Gedanken an Tod und Vergänglichkeit stellen sich wie von selbst ein.

Heute, am Volkstrauertag, denken wir an die Opfer von Krieg und Gewalt, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker. Wir trauern um die unzähligen Soldaten, die in den Weltkriegen ums Leben kamen. Wir gedenken aber auch der Opfer von Krieg und Gewalt in unserer Zeit.

Neben die Trauer tritt aber gleichzeitig das Nachdenken über die Ursachen der Kriege und Bürgerkriege, die es seit dem letzten Weltkrieg in aller Welt gegeben hat und noch gibt. Eine neue Geißel ist dabei der Terrorismus, der zur Durchsetzung obskurer Ziele rücksichtslos und heimtückisch Menschen in den Tod reißt. Wenn auf Straßen und Plätzen, in Kaufhäusern Bomben gezündet werden, Eltern Angst um ihre Kinder haben, wenn Menschen sterben müssen, weil sie für ihre Rechte und Menschenwürde demonstrieren. Wir fragen uns: Was können wir dagegen tun? Wie kann unsere Trauer fruchtbar werden?

Auf alle Fälle müssen wir die Aufgaben unserer Zeit erkennen. Völker und Religionen müssen zusammenwachsen und Verständnis füreinander entwickeln, aufeinander zugehen, Konflikte ohne Gewalt abbauen, aktiv für Frieden eintreten. Der Frieden fängt im Elternhaus an. Wir müssen die Kinder zur Friedfertigkeit erziehen, auch Großeltern sind gefragt. Die Familie braucht mehr Zeit für die Kindererziehung, denn der Frieden fängt im Kleinen an. Wir müssen Liebe, Geduld, Harmonie vorleben. Ich begrüße den Aufruf unserer jungen Familienministerin Kristina Schröder: „Mehr Zeit für die Familie!".

Es gehört zur großen Tragik des 20. Jahrhunderts, dass durch die Mächte des Bösen sich so viele Abgründe auftaten. Wir Siebenbürger Sachsen blieben davon nicht verschont, die Kriege haben tiefe Wunden geschlagen. Unsere 800-jährige festgefügte Gemeinschaft von 250 000 Landsleuten wurde durch Kriegsopfer, Flucht, Deportation, Enteignung, Entrechtung und nationale Diskriminierung dezimiert, auseinandergerissen und ausgehöhlt. Dieses alles führte zur Auswanderung.

Wenn wir Siebenbürger Sachsen uns heute, hier an dieser Gedenkstätte, die 1967 errichtet wurde, an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte erinnern, und um unsere Toten trauern, müssen wir gleichzeitig der Stadt Dinkelbühl und Ihnen, sehr verehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Hammer, äußerst dankbar sein dafür, dass wir hier diese Gedenkstätte haben. Im Namen aller Landsleute aus ganz Deutschland danke ich Ihnen, dass wir hier unseren Toten nahe sein können, dass wir hier Kränze niederlegen und beten können. Wir danken Ihnen und der schönen Stadt Dinkelsbühl auch dafür, dass unsere Landsleute sich bei den vielen Begegnungen anlässlich der Heimattreffen hier wie zu Hause fühlen und gerne wiederkommen.

Der Volkstrauertag darf sich aber nicht nur in der Erinnerung erschöpfen. Es ist ein sehr aktueller Gedenktag, den wir brauchen. Er schützt uns vor dem Vergessen und Verdrängen. Er mahnt uns, aus den Schreckensbildern der Vergangenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wir müssen gegen Krieg und Gewalt, für Frieden und Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit, jeder in seinem Umfeld, jeden Tag in diesem Sinne etwas Gutes tun, denn der Frieden beginnt in unseren Herzen.

Ich schließe mit einem Zitat des französischen Schriftstellers und Kulturphilosophen Jean-Jacques Rousseau: „Wollen wir in Frieden leben, muss der Friede aus uns selbst kommen.“

Schlagwörter: Volkstrauertag, Dinkelsbühl, Gedenkstätte

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