22. September 2012

„12 Leben“: Ausstellung mit Zeitzeugen in Wiehl

„Das Zuhause vor Ort ist ihre Herzensangelegenheit.“ Das zeigt Enni Janesch in einer Heimatausstellung, die das Seniorenzentrum Bethel im Rahmen des 125-jährigen Bestehens des Diakoniewerks mit Zeitzeugen aus der Region in der Galerie der Wiehler Volksbank Oberberg unter dem Motto „12 Leben“ präsentiert.
Zu den zwölf Persönlichkeiten, die über 70 Jahre alt sein mussten, gehört auch Pfarrer a.D. Kurt Franchy, der von 1965 bis 1978 Stadtpfarrer von Bistritz war und ebenso wie Enni Janesch heute in Drabenderhöhe lebt. Zwölf Lebensgeschichten machen deutlich, dass jeder Mensch mit seinen Erinnerungen und Erfahrungen etwas ganz Besonderes ist. Matthias Ekelmann, Pastor und Leiter des Wiehler Seniorenzentrums Bethel, führte humorvoll durch das Eröffnungsprogramm. Er ­interviewte unter anderem „eine der letzten Diakonissen“, Schwester Hildegard Paschke, den ehemaligen Wiehler Stadt- und späteren Oberkreisdirektor Dr. Dieter Fuchs sowie Margarete Malkus, die mit 89 Jahren die älteste unter den zwölf Leben ist und mit 85 noch ein Buch aus ihrem „Koffer der Erinnerungen“ geschrieben hat.

Eindrucksvoll und packend erzählten die Frauen und Männer aus ihrer Vergangenheit. Enni Janesch hatte das älteste Volkslied aus Siebenbürgen im Gepack: „Das Vögelchen“. Der siebenbürgisch-sächsische Text wurde für die vielen Gäste in Deutsch auf Leinwand übersetzt. Dazu erklärte Janesch, dass das Lied aus dem Rheinland stamme, die Siebenbürger es mitgenommen und über 800 Jahre erhalten haben. Insgesamt, so Janesch, leben heute 15000 Siebenbürger im Oberbergischen Kreis, etwa 5000 in Wiehl und davon 3000 in Drabenderhöhe. „Allerlei aus dem Leben“, heißt ein Mundartgedicht von Hans Otto Tittes, das sie anschließend vorlas.

Enni Janesch. Fotos: Christian Melzer ...
Enni Janesch. Fotos: Christian Melzer
Enni Janesch stellte den Honterus-Chor vor, ließ das Lied „Im Holderstrauch“ von CD erklingen und erzählte, dass sie selbst seit über 40 Jahren im Chor singt und mit großem Erfolg die Mundart- und Theatergruppe leitet. Sie betonte, dass in fast jedem Dorf ein anderer Dialekt gesprochen wird. Die engagierte Vorsitzende der Kreisgruppe Drabenderhöhe des Verbandes der Siebenbürger Sachsen ist unter anderem Mitglied im Vorstand des Adele-Zay-Hilfsvereins und Stadtverordnete. Enni Janesch, deren Wurzeln in Siebenbürgen bei Kronstadt liegen, musste immer wieder Eroberung und Vertreibung erleben. So entwickelten sich aus der Geschichte heraus Toleranz und Gemeinschaft zu den höchsten Werten. Mit 17 kommt sie ins Ruhrgebiet, 1965 nach Drabenderhöhe, wo sie ihren Mann Harry kennenlernt. Pflege der Kultur und Begegnungen der Menschen liegen den Eheleuten besonders am Herzen. Beide wurden wegen ihres ehrenamtlichen und sozialen Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Kurt Franchy fühlte sich im Krieg „hin- und hergeworfen zwischen Ungarn und Rumänien“. Bewegt sprach er von seiner Jugend; eine kinderlose Tante hatte ihm den Schulbesuch ermöglicht. Bereits mit 18 Jahren besuchte er als Laienprediger Landsleute in entlegenen Orten. „Ich tröstete und vermittelte, dass keiner, wohin immer er verschlagen worden war, vergessen wird.“ Später als Pfarrer habe er sich für vereinsamte Menschen unter anderem als Fürsprecher bei Ärzten und Behörden eingesetzt. Gebannt lauschten die Zuhörer, als er von Drill und Einschüchterungsversuchen als Soldat in einem Arbeitslager erzählte, „das für mich viele Monate dauern sollte“.

Pfarrer a.D. Kurt Franchy ...
Pfarrer a.D. Kurt Franchy
Als Diakon besuchte er mit Fahrrad oder Pferdewagen Kranke, pflegte Alte und predigte in fensterlosen Kirchen. Schweren Herzens wanderte Franchy 1978 mit seiner Familie aus und engagiert sich seitdem in der Siebenbürger-Sachsen-Siedlung Drabenderhöhe. Hier übernimmt er die zweite Pfarrstelle, hat den Vorsitz des Adele-Zay-Hilfsvereins (mit Seniorenheim und Kindergarten) inne. Im Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen im Diakonischen Werk der EKD ist er Berater und Begleiter für den Dialog der Volksgruppen. Als Vorsitzender der Elena Mureșanu Stiftung organisiert er den Aufbau eines Studentenwohnheims für die deutschsprachige Diaspora in Rumänien. Zur Zeit wird hier rund 60 Schülern der Besuch einer deutschen Schule ermöglicht. In der Zeit schwerster materieller Not organisierte er mit seiner Frau eine Arbeitsgruppe, die Hilfspakete mit Lebensmitteln nach Siebenbürgen schickte. Erschütternde Dankesbriefe hätten sie immer wieder angespornt und neue Kraft gegeben. Hier, im 1700 km entfernten Wiehl, kann er heute mehr für seine alte Heimat tun als vor Ort, ist sich Franchy sicher.

Ursula Schenker

Schlagwörter: Ausstellung, Wiehl, Zeitzeugenberichte

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