1. Oktober 2012

Auf den Negoiu und zurück

Lange Zeit galt der Negoiu als höchster Gipfel des Fogarascher Gebirges (Munții Făgărașului), aber er wurde vom Moldoveanu mit neun Metern Unterschied abgelöst. Trotz allem gilt der 2535 Meter hohe Gipfel unter einigen Einheimischen als der schönste bzw. als derjenige Gipfel mit dem schönsten Ausblick. Von dieser Tatsache wollten wir uns überzeugen und entschieden uns, bei fantastischer Witterung, vom 20. bis 23. August eine viertägige Tour in Angriff zu nehmen.
Montag: Freck (Avrig) – Poiana Neamțului – Bărcaciu-Hütte

Bei Verlassen des Bahnhofs Freck (Avrig) befindet sich am Ortseingang das erste Wanderschild, das für den Weg zur ersten Hütte, der Poiana Neamțului, drei Stunden und zur nächsten Hütte, der Cabana Bărcaciu, sechs Stunden angibt. Nachdem man die auswärts führende Straße erreicht hat, sind es noch ca. zwölf km bis zur Poiana Neamțului. Diesen Weg kann man in gemütlichem Spazierschritt begehen oder sich ein Stück mitnehmen lassen. In unserem Fall konnten wir auf die Pferdekutsche eines Bauern aufspringen, was unseren Weg um ein paar Kilometer verkürzte. Wieder zu Fuß unterwegs befanden wir uns bald in einem Buchenwald. Gegen Mittag erreicht man bei moderatem Wanderschritt die erste Hütte, die Poiana Neamțului. Etwa 200 Meter später geht der bis jetzt breite Schotterweg in einen schmäleren Wanderweg über. Hier beginnt der Aufstieg zur Bârcaciu-Hütte. Man befindet sich inzwischen in einem Buchen-Tannen-Fichtenwald. Parallel zu einem Gebirgsbach steigt der Wanderweg nun stark an. Man wandert zwei Stunden dem roten Kreuz folgend durch ruhige Wälder, in denen allerhöchstens heimische Vögel zu hören sind. Während der letzten halben Stunde erreicht man eine offene Fläche und kurz darauf die Bărcaciu-Hütte (1500m). Man kann sowohl im eigenen Zelt oder in einem der gemütlichen Holzbetten übernachten. Es gibt Vollverpflegung auf Wunsch, wie übrigens auf den meisten Hütten. Bei gutem Wetter wird man abends mit einem Sonnenuntergang belohnt.

Dienstag: Bărcaciu-Hütte – Frecker See (Lacul Avrig) – Scara-Gipfel – Scara-Sattel (Șaua Scării) – Negoiu-Hütte

Der zweite Tag beginnt mit einem etwa einstündigen Aufstieg durch den Wald, bevor man die Baumgrenze erreicht. Ständig ansteigend erklimmt man einen Bergrücken, um bis zur Mittagszeit am Frecker See (Lacul Avrig), einem Gletschersee, anzukommen. Der See ist sehr klar und manch Tollkühne gehen sich darin erfrischen. Nach einer Rast wandert man dem roten Streifen folgend weiter. Dieser markiert die Ost-West-Überquerung der Fogarascher Berge. Man überquert ein Massiv östlich des Sees und besteigt den Gârbova-Gipfel (2187m). Danach steigt der Weg ständig an, bis man auf 2306 Metern den Scara-Gipfel erreicht. Dort genießt man einen schönen Ausblick auf das südliche und nördliche Tal des Fogarascher Gebirges. Man ist angehalten, nach einem Erinnerungsfoto weiter zu wandern und auf die Scara-Sattel (Șaua Scării) abzusteigen. Dies ist eine Schutzhütte, an der man mit eigenem Zelt übernachten kann. Ansonsten beginnt nun der zweistündige Abstieg zur Negoiu Hütte. Der Weg verläuft teils steil im Gestein und an späterer Stelle entspannend durch Graslandschaften. An der Hütte angekommen, ist man zuerst erstaunt über deren Größe, denn sie fasst bis zu 120 Gäste. Der Ausblick ist weniger spektakulär als bei Bărcaciu, doch verfügt fast jedes Zimmer über einen Balkon zum Gebirge hin.
Blick vom Scara-Gipfel auf dem Frecker See ...
Blick vom Scara-Gipfel auf dem Frecker See (rechte Ecke), den Ciortea-l (hinten) und Gârbova-Gipfel (vorne). Foto: Eiko Wagenhoff
Mittwoch: Von der Negoiu Hütte zum Șerbota-Gipfel

Der dritte Tag dient als ein kleinerer oder größerer Erholungstag. Einerseits ist es möglich, die Flora und Fauna um die Negoiu Hütte auf einer kleineren Tageswanderung zu erkunden, oder man macht eine Tageswanderung auf den Șerbota-Gipfel (2331m) an. Drittens kann man auf den Negoiu wandern, um abends wieder zurückzukehren. Wir hatten uns entschieden, den sommerlichen Tag einer Teilbesteigung des Vârful Șerbota zu widmen und unser Gepäck in der Hütte zu lassen. Eine super Entscheidung, denn am zweiten Abend vor der Hütte konnten wir auf der anderen Talseite eine Braunbärmutter mit zwei Jungen beobachten. Welch tolles Bild durch das Fernglas!

Donnerstag: Negoiu-Hütte – Negoiu-Gipfel – Călțun-See – Transfogarascher Straße (Trans­făgărășan)

Der vierte Tag stellt quasi den Höhepunkt der Mehrtagestour dar: die Besteigung des zweithöchsten Gipfels Rumäniens, des Negoiu. Nach Verlassen der Hütte und einem kurzen Wanderstück im angrenzenden Wald beginnt zuerst ein gemächlicher und später steiler Anstieg im Fels. Besonders herausfordernd ist das Klettern im Fels am Cleopatra-Sattel (Șaua Cleopatrei), was einen nach erfolgreichem Besteigen mit einem herrlichen Blick auf die südliche Seite des Gebirges belohnt. Von dort aus wandert man eine weitere Stunde auf dem Querweg und erreicht den Negoiu. Oben angekommen, ist man überwältigt von der Weitsicht und dem Ausblick auf das Fogarascher Gebirge. Es lohnt sich, einen ausgedehnten Augenblick dort zu verweilen und die Schönheit der Umgebung auf sich wirken zu lassen. Sobald man sich von der Aussicht losreißen kann, beginnt der Abstieg über die Strunga Doamnei zum Călțun-See, einem weiteren Gletschersee. Am See angekommen, hat man den schwierigsten Teil des Abstiegs geschafft. Von dort aus gibt es zwei Möglichkeiten bis zur Passstraße, dem Transfăgărășan, zu wandern. Entweder auf dem Hauptquerweg über die Lăițel- und Paltinului-Gipfel oder dem blauen Kreuz folgend. Da uns der zweite Weg als der abwechslungsreichere empfohlen wurde, starteten wir nach einer Rast am Gletschersee den Weg zur Transfogarascher Straße. Dabei durchquert man Graslandschaften, wandert an Hirtenhütten vorbei und besteigt ein letztes Massiv auf 2290 Metern. Danach befindet man sich auf direktem Weg zum südlichen Tunnelende und wandert durch eine Landschaft voller Heidelbeersträucher. Mit jedem Schritt nähert man sich dem Ziel. Am Tunnel angekommen, erfreut man sich am Besten an einer kühlen Cola und hofft auf rumänische oder internationale trampfreudige Autofahrer, die einen ins Tal mitnehmen.

Neugierig geworden? Es gibt viele Möglichkeiten, die Fogarascher Berge zu bewandern. Was auch immer es für Sie sein sollte, eine eintägige Fahrt zum Bulea-See, eine mehrtägige Tour oder eine Ostwestüberquerung, wir wünschen viel Spaß dabei und wie der Rumäne so schön sagt: „Spor la treabă!“

Luise Engel-Wagenhoff

Schlagwörter: SKV, Bergtour, Rumänien

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Neueste Kommentare

  • 07.10.2012, 20:26 Uhr von Karl K.: Ganz liebenswerter Beitrag! Wie in alten Zeiten ... Ohne Stänkern, Jammern und alles bloß ... [weiter]
  • 07.10.2012, 11:09 Uhr von Zacken: Eine sehr schöner Bericht, der zur Nachahmung anregt ! 1. Etwa eine Woche später/Ende August war ... [weiter]

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