31. Dezember 2023

Junge Burschen ziehen in Tracht von Haus zu Haus: Erinnerungen an Silvesterbräuche in Siebenbürgen

In Großau bei Hermannstadt zu Beginn der 1990er Jahre: Urplötzlich war es mit der Ruhe in der schneebedeckten Gasse am Fluss vorbei. Ein gut aufgelegter sowie farbenfroher Pulk zog recht lautstark durch das Dorf. Ich befand mich zu jener Zeit gerade auf intensiver Spurensuche in Rumänien und wollte vor Ort eigene authentische Weihnachtserlebnisse in dieser Region auffrischen und zugleich neue Eindrücke gewinnen.
Diese aufgeweckten jungen Burschen begegneten dem ...
Diese aufgeweckten jungen Burschen begegneten dem Autor kurz vor dem Jahreswechsel 1992 in Großau. Sie luden ihn kurzerhand ein, die regionalen Silvesterbräuche zu begutachten. Foto: Roland Barwinsky
Franz Holzinger – ein aus diesem Dorf stammender Rumäniendeutscher – empfahl uns das zu erwartende Spektakel genauer zu beobachten. Immerhin handelte es sich um ein Ereignis aufblühender Lebensfreude. Wir erlebten recht aufgeweckte Burschen, welche umherzogen, um auf verschiedenen Gehöften den jeweiligen Bewohnern ein gesundes neues Jahr zu wünschen. „Kurz vor Silvester kommt aus den umliegenden Gemeinden diese männliche Jugend in unser Dorf“, berichtete Franz. Die Leute kamen in ihren farbenfrohen Trachten, die von Generation zu Generation vererbt wurden. Als die lustige Meute uns „Deutschländer“ erblickte, wurden wir sofort herangewunken und eingeladen mitzulaufen und nach Möglichkeit die Szenen mit Fotos festzuhalten.

Bei frostigen Temperaturen zogen wir von Haus zu Haus. Vor den Gehöften wurde musiziert, getanzt und gelacht und vor allem kraftvoll gesungen. Das Ziel der Gruppe bestand darin, irgendwie auf das Anwesen zu gelangen. Unmittelbar vor dem Eingangstor bildeten deshalb alle Beteiligten Kreise und zelebrierten minutenlang eine fast theaterreife Show mit hohem Unterhaltungswert. Dem jeweiligen Hauseigentümer musste kurzerhand vor allem klar gemacht werden, dass man solchen putzmunteren Gästen möglichst schnell die Haustür öffnen sollte. Nachdem alle „unangemeldeten“ Besucher die jeweilige Familie von den eigenen guten Absichten überzeugt hatten, ging es im Inneren des Gebäudes genauso kunterbunt weiter. Für vorbeischauende Neugierige, also auch für zufällig erschienene Weitgereiste, stand außerdem in der guten Stube ein kleines Willkommensbuffet bereit. Die Gastgeber gaben jedem reichlich Kaffee, Kuchen, Wein und natürlich hochprozentigen Rachiu, einen selbst gebrannten Schnaps, ohne den in Transsilvanien einfach keine Feier stattfindet. Die aufgedrehten Burschen hielten außerdem – einer nach dem anderen – kurze Ansprachen. Dabei wünschte man der betreffenden Familie viel Glück sowie „mult Sănătate“, was „viel Gesundheit“ für das bevorstehende neue Jahr bedeutet. Kaum zu glauben, dass so eine lustige Truppe an einem einzigen Nachmittag hintereinander gleich mehrere Straßen mit vielen Gehöften gezielt aufsuchen kann, um auf diese Art und Weise den bevorstehenden Silvestertag möglichst lebendig einzuleiten. Denn das Ganze ist durch die ständige Bewegung, das viele Musizieren und Singen sowie die überall bereitstehenden aufputschenden Getränke oftmals eine recht schweißtreibende und kräftezehrende Angelegenheit.

Aber wehe dem, der diesen aufgeweckten Jungs einfach so den Einlass verwehrt. Solchen Mitbewohnern soll später ein Fluch erreichen, erfuhren wir. Praktisch passiere so etwas natürlich niemals. Diese beschriebene und vor Ort sehr emotional betriebene Brauchtumspflege wiederholt sich seit Urzeiten. Und gehört somit längst zu den ultimativen Höhepunkten des lokalen Kulturkalenders in Siebenbürgen und bestimmt auch anderswo in Rumänien.

Roland Barwinsky

Schlagwörter: Silvester, Großau, Erinnerungen

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