31. Januar 2024

Geschichte des Bergsteigens in den Karpaten

Unter dem Titel „Naturaliser la montagne? Le Club Carpatique Transylvain, XIXe – XXIe siècles“ hat die Autorin Catherine Roth, Maître de Conférences in Kultur- und Kommunikationswissenschaft an der L‘université de Haute-Alsace/Mulhouse, Frankreich, ehemalige Kulturdirektorin beim Europarat und ehemalige Leiterin der Instituts français in Frankfurt und Innsbruck, Freundin der Sektion Karpaten des DAV, eine tiefschürfende Arbeit – in französischer Sprache – über den Siebenbürgischen Karpatenverein (SKV) und seine beiden Nachfolgevereine, die Sektion Karpaten des Deutschen Alpenvereins (DAV) in Deutschland und den wiedererstandenen SKV in Rumänien, veröffentlicht.
Der interessierte Leser wird schon im Klappentext über die Absichten der Autorin informiert: „Die Studie verfolgt zwei Ziele: 1) Sie will die spannende Geschichte des Bergsteigens in den Karpaten nachzeichnen, von den ersten Bergsteigern über die sportlichen und identitätsstiftenden Bewegungen des Siebenbürgischen Karpatenvereins (und seines Vorläufers) bis hin zur unmittelbaren Gegenwart: 2) Zeigen, wie die Gründung des Vereins im Jahr 1880 durch die deutsche Minderheit der Siebenbürger Sachsen insgeheim einem Prozess der sozialen Naturalisierung folgte. Durch geschickte Metaphern und Unterstellungen sollen menschliche Institutionen als Naturphänomene dargestellt werden, die so unbestreitbar sind wie die Existenz einer Bergkette. Das Buch ,Naturalisieren der Berge‘ widmet sich der Entschlüsselung dieser Illusion. Unter diesem überraschenden und paradoxen Titel ist das Buch Teil der kritischen Aufklärung, die die Autorin in La Nation entre les lignes. Les Saxons de Transylvanie et la question des identités (PUR, 2022) begonnen hat. In diesem Buch werden die ,unterirdischen‘ Prozesse, durch die sich eine kollektive Identität herausbildet, von einem Buch zum anderen über den jeweiligen Gegenstand hinaus beleuchtet und entmystifiziert“.

Das 525 Seiten umfassende Buch ist eine geschichtliche und soziologische Untersuchung über die oben zitierten Fragen ab der Gründung des SKV im Jahre 1880 und bis zu seinem Verbot im Jahre 1945 durch die kommunistischen Machthaber. Die Methode dieses Buches ist mehrheitlich die der Kulturwissenschaften. Dieser seriös interdisziplinäre Ansatz umkreist kulturelle Objekte (zu denen die Berge zweifellos gehören), die die gestellte – an und für sich paradoxe Frage – „Naturalisierung der Berge?“ – erfordern.

Die behandelten Aspekte dieses so weit gefächerten Themas werden durch einzelne Kapitel des Buches verdeutlicht: Kapitel I: Theoretischer, methodologischer und historischer Ansatz, Kapitel II: Sport erobert die Karpaten?, Kapitel III: Von der Wissenschaft zum Tourismus, Kapitel IV: Medien, Kommunikation und Gemeinschaft, Kapitel V: Kultur, Berge und Heimat, Kapitel VI: Politik und Territorium, Kapitel VII: Versteinerte Identitäten. Die Naturalisierung der Nation, Kapitel VIII: Karpaten und nationaler Kommunismus, Kapitel IX: Der Berg hinter dem Eisernen Vorhang. Avatare des Territoriums, Kapitel X: Soziale Einbürgerung: Nationale Botanik.

Beim Schmökern im Buch – mit dem Französisch-Deutsch-Wörterbuch bzw. Google griffbereit – stößt man auf Passagen, die die Neugier auf dies Buch steigern: „Der SKV ist somit eine implizit politische Vereinigung, die allen Sachsen dient und deren verlorenen politischen Raum symbolisch rekonfiguriert.“

„Die Sachsen hatten viele Gründe, den SKV als eine der wichtigsten Säulen ihrer kollektiven Identität zu nennen, auch wenn sie nicht sagen konnten, welche das waren. Alles steht zwischen den Zeilen, unauffällig, aber sicher …“ „Der SKV war das Instrument einer echten Landnahme, als die Berge noch das große Unbekannte waren, und er war ein riesiges Kommunikationsunternehmen – und Kommunikation macht Völker, was die Jahrbücher mit der Vieldeutigkeit des Wortes Band, das sowohl Buch als auch Gemeinschaftsverband ist, unterstreichen. Die SKV hat sich auch als kulturelle Initiative im Dienst der Bevölkerung verstanden. Er war schon immer der Ort, an dem das in die Berge gehen erfunden wurde: 1880 begannen wir zaghaft mit dem Wandern, aber einige Jahre später sind wir, manchmal bis heute, davon überzeugt, dass die Sachsen ,schon immer in die Berge gegangen sind‘.“

Es werden auch die beiden erwähnten Nachfolgevereine, die weiterhin im Sinne des alten SKV sowohl in den Karpaten als auch den Alpen agieren, behandelt. Aus den von der Autorin angeführten, in ihrer Untersuchung herangezogenen Quellen – reichhaltige Literatur sowie mit Zeitzeugen der betroffenen Vereine geführte Gespräche – bis hin zur Teilnahme an Wanderungen ergibt sich die Fülle von Informationen und Daten, die dem des Französischen mächtigen Leser erlauben, sich ein allumfassendes Bild des behandelten Themas zu machen.

Eine diesbezügliche Arbeit über den SKV stand aus und war längst fällig! Man kann Catherine Roth für dies monumentale, im Verlag der Universität erschienene Buch nur dankbar sein und ihr herzlichst gratulieren. Eine Übersetzung in die deutsche Sprache wäre sehr angebracht.

Manfred Kravatzky


Das Buch, erschienen bei Presses Universitaires de Rennes 2022, mit 73 Abbildungen, Preis: 28 Euro, ISBN 978-2-7535-8773-1, kann bezogen werden bei www.pur-editions.fr.

Schlagwörter: Bergsteigen, SKV, Buch

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