2. November 2006

Mit Familie Kurmes in den Karpaten

Ein Reisebericht von Gerhard Berndt - Katharina Kurmes wollte uns am Flugplatz abholen, aber wir haben es vorgezogen, zunächst eine Nacht in Hermannstadt zu bleiben, um zu sehen, was sich in den drei Jahren seit unserem ersten Besuch getan hat. Die Stadt kocht. Im Jahr 2007 wird Hermannstadt Europäische Kulturhauptstadt 2007. Es wird in großem Umfang investiert. Die Altstadt ist eine gewaltige Baustelle. Der riesige Hauptplatz ist schon fertiggestellt, die prächtigen Bauten weitgehend stilvoll renoviert. Unser Hotel hat noch seinen sozialistischen Charme.
Wir fahren mit dem Mietwagen durch Siebenbürgen und sprechen im nahen Rotberg bei Eginald Schlattner vor, Pfarrer im Unruhestand, und bekannt als Autor stark biographischer Romane. „Der geköpfte Hahn“ ist Pflichtlektüre für alle, die sich für die Geschichte der Siebenbürger Sachsen interessieren. Er erzählt von seiner vormals großen Gemeinde, die jetzt mit ihm und seiner Frau noch sechs Seelen zählt, von seiner Arbeit als Gefängnisseelsorger, dem Bildungsprojekt für Roma-Kinder und den dazugehörigen Geldsorgen.

Rückkehr nach Siebenbürgen

Über Fogarasch fahren wir ins Burzenland, nach Zernescht, das von Industriebrache und sozialen Problemen gezeichnet ist. Dann hoch in die wunderbare Welt des Nationalparks Königstein (Piatra Craiului) der fast 15 000 Hektar umfasst. In dem Kalibaschendorf Magura auf 1050 m Höhe werden wir von der Familie Kurmes erwartet. Hier haben Katharina und Hermann Kurmes vor wenigen Jahren die Hotelpension Villa Hermani erbaut für die Gäste ihres Naturreiseunternehmens Carpathian Tours. Schon fünf Arbeitsplätze sind für Dorfbewohner entstanden. Besonders erfreut uns die rumänische Köchin mit regionalen Delikatessen.

Hermann Kurmes ist im nahe gelegen Wolkendorf aufgewachsen und hat 1977 seine Heimat als Zwanzigjähriger unter dem Druck der Verhältnisse verlassen – wie viele vor und noch mehr nach ihm. In Deutschland hat Hermann Kurmes Biologie studiert und eine Familie gegründet. Immer wieder hatte es ihn nach Siebenbürgen gezogen. 1997 war er mit seiner Familie nach Siebenbürgen zurückgekehrt und hatte ein Reiseunternehmen gegründet – entgegen den Ratschlägen der deutschen Freunde und der Eltern. Nach wenigen Jahren schon ist das Carpathian Tours bekannt bei Naturliebhabern und allen, die mehr wissen wollen über die Kultur der Siebenbürger Sachsen und das Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen in Rumänien.

Einen Ausschnitt zeigt der Besuch in Wolkendorf: Ein seit seiner Gründung von der deutschen Mehrheit geprägtes Dorf, in dem der evangelische Pfarrer Daniel in der historischen Kirchenburg gerade noch 60 Seelen betreut nachdem 490 Familien seit 1945 das Dorf Richtung Deutschland verlassen haben. Nach dem Umsturz 1989 wollen jetzt viele ihr Land und ihre Häuser zurück, die inzwischen von Rumänen oder Zigeunern übernommen wurden. Neue Ungerechtigkeiten drohen und mehr als 200 000 Prozesse sind anhängig im Land. In Kronstadt erleben wir eine Stadt mit 300 000 Einwohnern. Um 1220 gegründet vom Deutschen Ritterorden war sie über Jahrhunderte neben Hermannstadt Zentrum der Siebenbürger Sachsen.

Wo Wolf und Bär sich Gute Nacht sagen

Im Burzental erwarten uns die beiden halbzahmen Wölfe Poiana und Crai. Sie leben in einem weitläufigen Gehege und sind Teil des „Carpathian Large Carnivore Projekt“ , des größten europäischen Projektes zum Schutz von Wölfen, Bären und Luchsen, das der bekannte Wolfsforscher Christoph Promberger mit internationaler Unterstützung über zehn Jahre betreut hat. Den dabei entstandenen Dokumentarfilm „Der Herr der Wölfe“ sehen wir am Abend. Bären wollen wir natürlich auch sehen. Mit Kleinbus und zu Fuß geht es in den abendlichen Wald. Kurz vor dem Hochsitz bleibt unser rumänischer Wildhüter stehen, duckt sich, wir äugen über seine Schulter. „Sie sind schon da!“ Ein mächtiger Bär, fast schwarz, in knapp zwanzig Metern Entfernung, bekommt Witterung und trollt sich in den Wald. Wir richten uns im geschlossenen Hochsitz ein und warten. Flüsternd erzählt uns Katharina Kurmes von den Bären. In den Karpaten gibt es die größte Population von Bären, Wölfen und Luchsen in Europa. Allein 19 Bären leben in unserem Besuchsrevier. Sie erklärt uns ihre Lebensweise und wie man sich verhalten sollte, wenn man einem solchen Kameraden begegnet. Und sie erzählt uns von dem Bären, der vor zwei Jahren nachts im Marillenbaum ihres Hotelgartens saß. Dann kommen sie: Nacheinander drei Bären, ein unvergessliches Erlebnis.

Wolf- und Bärenspuren finden wir auf den Touren durch das Königstein-Massiv. Wir durchwandern eine spektakuläre Klamm, in der Alpensegler und Mauerläufer zu Hause sind und treffen auf den weiten Almen die Schafherden, die von Mai bis September hier leben, betreut von jeweils fünf Schäfern und mindestens zehn imposanten Hunden zum nicht immer erfolgreichen Schutz gegen die Bären und Wölfe. Die Schäfer leben in archaischen, bescheidenen Verhältnissen. Sie bewirten uns mit Milch und dem köstlichen Schafskäse. Am Berghang hinter unserem Hotel blühen Enzian und verschiedene Orchideenarten. Jetzt müsste der Biologe Kurmes dabei sein. Stattdessen ist die EU-Bürokratie auch schon da. In Magura und dem benachbarten Pestera führen die Menschen ein karges Bergbauernleben in kleinen verstreuten Hofstellen, zu denen oft nur ein Pfad führt. Die Milch von den Kühen wurde bislang täglich von einem Tankwagen abgeholt zur Weiterverarbeitung im Tal. Dann hat der Fahrer erklärt, dass er ab sofort nicht mehr kommen wird. Die Kühe seien nicht rasserein und auch nicht nach EU-Vorschrift mit Melkmaschine gemolken. Jetzt fehlen auch diese Einnahmen. Wie lange es den Schafskäse von der Alm noch geben wird?

Zeitreise in die Vergangenheit

Wenn nur mehr Zeit wäre. Aber ein Ausflug nach Schäßburg muss sein: Die historische Altstadt zählt zu den schönsten Europas. Aber der Renovierungsstau ist groß. Wie fast überall prägen auch hier Zigeuner das Ortsbild. Häufig sind es schöne Menschen in bestickten Kleidern und Anzügen und noch häufiger bitter arm. Sie leben meist außerhalb der Städte und Dörfer in armseligen Quartieren am äußersten Rand der Gesellschaft.

Auf dem Weg nach Magura hielten wir dann in Deutsch-Weißkirch. Weit abseits am Rand der Welt liegt dieses Bauerndorf, in dem die Zeit stehengeblieben ist. Auf Straße und Anger treffen sich Gänse, Schafe und Pferde und am Abend kehren die Hirten mit der Herde der Kühe zurück, großartig zu sehen, wie die Kühe allein den Weg in den eigenen Stall finden. Vor dem kleinen Dorfladen stellt uns ein alter Mann seinen Hund Fiffi vor: „Es gibt noch sechs reinrassige Sachsen“, sagt er lächelnd „und einige sächsisch-rumänische Mischlinge.“ Die großartige bäuerliche Kirchenburg liegt auf einem Hügel zwischen uralten Bäumen, das Pfarrhaus ist zu einem kleinen Museum umgewandelt worden. Und einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft gibt es auch: Eine Stiftung hat begonnen, sächsische Bauernhäuser sorgfältig zu sanieren. Und auch eine Selbsthilfegruppe wurde gegründet bei der Sachsen, Rumänen und Roma zusammenarbeiten: Dieser Initiative verdanken wir eine neue Strickmütze. Und mit Verwunderung und Stolz erzählt man uns, dass der englische Thronfolger Prinz Charles hier gewesen sei und ein ortstypisches Anwesen gekauft hat.

Schon bald nach der Heimkehr stellen sich bei uns Rückkehrwünsche ein. Nach Deutsch-Weißkirch wollen wir mal wieder, nach Hermannstadt, nach Magura, zu den Hirten, den Bären, nach Siebenbürgen und überhaupt nach Rumänien, in dieses wunderbare, spannende und sicher manchmal auch schwierige Land am Rande Europas.

Gerhard Berndt

Schlagwörter: Rumänien und Siebenbürgen, Reise

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