30. Juni 2002

Beschwingt geswingt in Dinkelsbühl

Dem Motto des diesjährigen Heimattages: "Mit der Jugend in die Zukunft" war die Festveranstaltung am 18. Mai in der St.-Pauls-Kirche gewidmet. Sie wurde von Irmgard Sedler als Festrednerin sowie von der Siebenbürgischen Kantorei, der Chorgemeinschaft und dem Lehrerorchester der Städtischen Musikschule Rottenburg gestaltet. Unter der Leitung von Ilse Maria Reich brachten sie die "Mass of Joy" (Freudenmesse) von Ralf Grössler zu Gehör.
Als Gestalter des diesjährigen Heimattages hat die Jugend ein weiteres Mal gezeigt, dass sie ihren Erkenntnissen (Alles muss sich ändern, damit es so bleibt, wie es ist; Altes kann nur in Verbindung mit Neuem und in jugendgemäßer Form bewahrt werden) und Bekenntnissen ("Zeitgemäß sein, ohne mit der Tradition" zu brechen war 1992 das Motto des 3. Jungsachsentages) Taten folgen lässt. Dazu zählt auch die Entscheidung, die ihr gewidmete Festveranstaltung mit der 1998 uraufgeführten "Mass of Joy" zu begehen, die ihrerseits diese Grundhaltung geradezu exemplarisch veranschaulicht.
Siebenbürgische Kantorei, Chorgemeinschaft und Lehrerorchester der Städtischen Musikschule Rottenburg brachten unter der Leitung von Ilse Maria Reich die Gospelmesse von Ralf Gössler in Dinkelsbühl zu Gehör. Foto: Josef Balazs
Siebenbürgische Kantorei, Chorgemeinschaft und Lehrerorchester der Städtischen Musikschule Rottenburg brachten unter der Leitung von Ilse Maria Reich die Gospelmesse von Ralf Gössler in Dinkelsbühl zu Gehör. Foto: Josef Balazs


Bei der Neuvertonung der römischen Messe - Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus mit Benedictus und Agnus Dei sind um einen Psalm, eine Meditation, das Vater unser und ein Finale erweitert -, geht der Kirchenmusiker Ralf Grössler von traditionellen Musikformen aus: unter anderen verwendet er Stilelemente der Gregorianik, des Barocks und der Klassik. Aber so, wie sich die Kirche in ihrer Verkündigung heute zeitgemäß mehrerer Sprachen bedient, tut das auch Grössler (Texte in Latein, Englisch und Deutsch), und er äußert sich auch musikalisch mehrsprachig. Was war nahe liegender für eine "Freudenmesse" als sich dabei des Gospel-Songs und weiterer Stilelemente des geistlichen Gesangs der schwarzen Bevölkerung Amerikas zu bedienen: Soul, Blues, Jazz.

Grössler ist ein meisterhaftes Werk gelungen, das sich in der ebenso meisterlichen Darbietung der Siebenbürgischen Kantorei sowie der Chorgemeinschaft und des Lehrerorchesters der Städtischen Musikschule Rottenburg hören und sehen lassen konnte. Ja, auch sehen; und zwar nicht nur weil es nach dem Auftritt des Jugendsinfonieorchesters Bruchsal der zweitgrößte Klangkörper war, der während des Heimattages in der St.-Pauls-Kirche auftrat, sondern auch weil das gesamte Ensemble im wahrsten Sinne des Wortes "mit Leib und Seele" musizierte - am offensichtlichsten die Dirigentin Ilse Maria Reich, die Sopranistin Klaudia Salkovici sowie die virtuosen Spieler an Vibraphon, Drums und Pauken. Sogar den "seriösen" Damen und Herren der beiden Chöre schien diese Musik im Blut zu liegen. Bei den Rottenburgern sollte das nicht weiter verwundern, obwohl auch sie von der Klassik her kommen: Schließlich haben sie ja die Messe seit 2000 wiederholt aufgeführt, u.a. im Juni 2001 auf einer Rumänien-Tournee. Ganz anders aber bei den Mitgliedern der Siebenbürgischen Kantorei: Sie hatten sich das Werk erst in der Probenwoche vor dem Heimattag erarbeitet.

Letzteres ist nicht nur für die Leistungsfähigkeit der Siebenbürgischen Kantorei, die als Chor des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen und evangelischen Banater Schwaben die Tradition der siebenbürgischen Kirchenmusik pflegt, aussagekräftig, sondern auch für die Klasse und das Kaliber der Dirigentin Ilse Maria Reich. Dass es ihr gelungen ist, zwei Chöre, Orchester und Solistin zusammenzuführen zu einem Ensemble, das dem Anspruch und den Erfordernissen des Werkes perfekt entsprach, ist genauso bewundernswert wie die Art und Weise, in der sie das Konzert leitete und die Partitur zum Leben erweckte. So konnte es nicht verwundern, dass der swingend-wippende Funke recht bald auf das Publikum - mehr Jugendliche darunter hätte man sich schon gewünscht - übersprang, welches die Musiker am Ende der Messe mit "Standing Ovations" zu einer Zugabe aufforderte.

So weit ging das Publikum beim Pfingstgottesdienst allerdings nicht. Ja, es gab sogar Unmutsäußerungen, da man diese Art von Musik als ungewohnt und unpassend fand. Ungewohnt? Ja, für manchen Heimattagsbesucher, der sogar im Gottesdienst primär das verloren gegangene Gewohnte und Vertraute sucht. Unpassend? Nein! Denn es war das, was die ersten Verse dieser Gospelmesse versprachen und einforderten: "Cantate domino, benedicite nomen eius." (Singt dem Herrn und lobt seinen Namen.) Auch wenn dieser Lobgesang in seiner Vitalität und Ausdrucksstärke weit über siebenbürgisch-sächsische Zurückhaltung und maßvolle Öffnung nach außen ging, so transportierte er all das, was dem Glauben und guter Kirchenmusik eigen ist: Demut, Ergriffenheit und vor allem tiefstes Gottvertrauen.

Gegen die Musik an sich und gegen die Qualität ihrer Darbietung hat man keine kritische Stimme gehört. Wo hätte sie auch ansetzen sollen? Bei dem Orchester - darunter die aus Großscheuern stammenden Hans-Paul Fuß und Michael Fuß -, dessen Sound einer Big-Band genauso viel Ehre gemacht hätte wie einem Posaunenchor? Bei Klaudia Salkovici, deren klarer und warmer Sopran auch in tiefen Lagen durch erstaunliches Volumen, Modulationsfähigkeit und Expressivität beeindruckte? Bei Philipp Gammel, der mit den sphärischen Klängen seines Vibraphons gewissermaßen die Himmelspforten öffnete, bevor uns Claudio Temporale am Saxophon und Christoph Schmid am Klavier wieder auf die Erde herunterholten? Oder etwa beim Chor mit seinem ausgewogenen Klang, der harmonisch wie rhythmisch anspruchsvolle Passagen glänzend und präzise meisterte und sich im Tutti gegen das Orchester genauso souverän behaupten wie sich als Contrapunkt zu Soloparts dezent zurücknehmen konnte?

Angesichts dieser musikalischen Qualitäten konnte auch die Konzerttournee durch die Republik Tschechien, zu dem das Ensemble noch am Pfingstsonntag aufbrach, nur erfolgreich verlaufen (Bericht folgt in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. Juli 2002).

Hans-Werner Schuster


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 30. Juni 2002, Seite 5)

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