26. Dezember 2002

Du bist mein Licht

Im kalten Herbst des Jahres 1951 trafen fünf Mädchen aus Zendersch in der Ackerbauschule (Scoala Agricola de Fete Dumbraveni) in Elisabethstadt ein. Es war die erste Frauengeneration, die je eine Ackerbauschule in Siebenbürgen besuchte. Katharina Weber schildert, wie sie und ihre Kusine Weihnachten verbrachten.
Die erste Nacht in einem Eisenbett war sehr kalt und ich dachte: Du hast dich schon lange nach der Stadt gesehnt - aber nicht so. Wir wurden vom rumänischen Staat eingekleidet, es gab alles, was man zum Leben brauchte: Oberbekleidung, Unterwäsche, Schuhe. Ich sehe den ersehnten Tag der Schuhausgabe noch heute im Geiste vor mir. Es waren körbeweise Schuhe vorhanden. Wir wurden alphabetisch aufgerufen. Da ich das Pech hatte, mit "W" am Ende zu sein, gab mir die zuständige Dame einen großen Schuh (Gr. 39) und einen kleinen (Gr. 36). Was für ein Hohn! Ich rief empört aus: "Das kann ja nicht wahr sein!" - Sie aber antwortete wütend: "Entweder du nimmst sie so, wie sie sind, oder du gehst leer aus." - Mir kamen die Tränen und weil ich so weinte, habe ich nie erfahren, ob Sara Weiss, die nach mir kam, überhaupt noch Schuhe bekam. Da ich zu Hause in jeder Hinsicht verwöhnt wurde, war diese "Schuhgeschichte" besonders schlimm. Man muss wissen, dass damals mein Großvater, Andreas Lutsch, Bürgermeister in Zendersch war. Ich und "Clownschuhe"!

Hermannstadt im Winterkleid - auf einer alten Postkarte
Hermannstadt im Winterkleid - auf einer alten Postkarte

Vor Weihnachten sagte ich zu meiner Kusine, Katharina Lutsch (genannt Trini), die auch in meiner Klasse war, dass wir Weihnachten zu Hause sein sollten, weil es da am schönsten war. Wir ließen uns im Internat freistellen und machten uns auf den Heimweg, über 18 km, alles zu Fuß, und es fing an zu schneien. Wir kamen durch Halvelagen und Pruden, dann erreichten wir den Waldesrand. Inzwischen hatte es schon alle Wege überzuckert und wir verloren den Pfad. Es schneite immer dichter und wir irrten nass und durchgefroren durch den holprigen Wald. Von wetterfester Kleidung war keine Rede. Meine Kusine Trini war kräftemäßig und seelisch am Ende, ich war auch fix und fertig und musste ihr Mut zum Durchhalten machen. Somit gingen wir von Baum zu Baum, hielten uns an den Händen und Stämmen fest. Als sie so weinte und zitterte, sagte ich zu ihr: "Häng dich so halb an mich, wir werden schon irgendwo ankommen." - Zugegeben, der Mut verließ langsam auch mich, aber aufgeben, in den Schnee legen und auf das letzte Stündlein warten, wollte ich nicht. So schleppte ich sie, man muss sich das vorstellen - ich klein, sie groß - ein Bild für Götter.

Dunkel war es schon lange. Bei dem dichten Schneetreiben hatten wir keinerlei Sicht. Plötzlich stürzten wir auch noch gemeinsam in eine tiefe Grube. Ich dachte, aus diesem Loch kommen wir nicht mehr heraus, aber zu meinem Erstaunen erwies es sich als ein Abhang.

Nun hatten wir freie Sicht und sahen in der Ferne ein winzig kleines Licht. Da müssen wir hin, selbst wenn wir kriechen müssten. Mit viel Durchhaltevermögen kamen wir endlich beim Licht an. Ein Mann sagte uns, dass dieser Ort Zuckmantel sei. Ich fragte ihn nach Sara Kramer, die ebenfalls in unserer Schule war. Bei Kramers wärmten wir uns auf. Sodann wurden wir auf einen Hügel geführt, von dem aus man unser Dorf sah. So gingen wir dem "zweiten" Licht entgegen. Es lag aber immer noch eine weite Strecke vor uns - nichts als Schnee, keine Spur von einem Weg.
Endlich kamen wir zu Hause an bei Trinis Mutter, wo ich auch wohnte, da ich keine Eltern hatte. Die Tochter fiel ihrer Mutter erbärmlich weinend und doch glücklich um den Hals. Endlich zu Hause. Der Mitternachtsgottesdienst war schon längst vorbei. Die Mutter konnte nicht ins Bett gehen, weil sie eine schlimme Vorahnung hatte. Zu meiner Kusine Trini sagte ich, wenn wir nicht durchgekommen wären, hätte deine liebe Mutter sehr um dich geweint, aber um mich nur mein Großvater, dessen Herzblatt ich war.

Diesen "kleinen Lichtern" haben wir unser Leben zu verdanken.

Katharina Weber


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2002, Seite 13)

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