14. Mai 2003

Neuer Gedichtband von Carmen Puchianu

„Worte / werden mir verrissen, / ich trage sie wie einen Gott / zu Grabe. / Daraus wächst ein kahler Baum, / ein Traum / oder ein flüchtig’ Gesicht.“ (Worte) - Kronstadt, vor und nach dem Wendejahr 1989, sind Entstehungsort und -zeit jener 39 Gedichte der rumäniendeutschen Lyrikerin Carmen Elisabeth Puchianu, die der 2002 im Passauer „Verlag Karl Stutz“ erschienene Band „Unvermeidlich Schnee“ (mit einem Nachwort von Rudolf Segl) vereint.
Als Ceausescu 1965 die Macht übernahm, war die in Kronstadt zur Welt gekommene Carmen Elisabeth (ihre Mutter eine geborene Muerth) neun Jahre alt. Das Ende der Diktatur erlebte die studierte Germanistin als Deutschlehrerin am Honterus-Gymnasium in Kronstadt. In den Exodus der deutschen Minderheit hinein fiel die Veröffentlichung ihres ersten Lyrikbandes (Das Aufschieben der zwölften Stunde auf die dreizehnte) im Jahr 1991. Bis in die späten Achtzigerjahre schrieb Puchianu ausschließlich Gedichte, denn: "Sie waren mir die adäquate Art der Realitätsbewältigung bzw. der Opposition zu dem damaligen Regime". In der Folgezeit erschienen dann die Prosabände Amsel, schwarzer Vogel (1995 – da nahm Puchianu gerade ihre Tätigkeit als Lektorin für Deutsche Literatur an der Kronstädter Transilvania-Universität auf), Der Ameisenhaufen und andere Geschichten (1998) sowie Ein Stückchen Hinterhof. Novellistische Familienchronik. (2001). Neben dem Silberdistel-Debutpreis (1983 von der Karpatenrundschau verliehen) und dem Lyrikpreis des Schriftstellerverbandes - Zweigstelle Kronstadt (1993) erhielt Puchianu für Amsel, schwarzer Vogel 1995 den Adolf-Meschendörfer-Preis.

In Unvermeidlich Schnee hat das erlebte und vom lyrischen Ich reflektierte Zeitgeschehen deutliche Abdrücke hinterlassen. Die Gedichte von Seite 5 – 23 stammen aus den Jahren 1983 bis 1988. Immerzu bespitzelt vom „unsichtbaren Auge“ (in Soulscape), indoktriniert im Stilleben mit Menschen („so und nicht anders habt ihr zu sein!“), als Angehöriger einer ethnischen Minorität gedemütigt („ihr dürft euch wohlfühlen in der Unpaargesellschaft“, in Alleinunterhalter). Die auf den Seiten 24 – 44 abgedruckten Gedichte sind zwischen 1989 und 1991 entstanden. Zusehends schrumpft die in Rumänien verbliebene deutsche Minderheit: “wie klein die Kirche auch sein mag, nie ist sie klein genug, unseren Rest zu bergen“ (Ostersonntag). Zudem herrscht wirtschaftliche Rezession, ein frostiges Klima, das noch mehr ins Private, in die Isolation treibt. Dort hegt die Erinnerung leblose Blüten: „Meine Schritte wirbeln Bilder auf / im Staub zerfallen wie Laub, / scharf wie Messerstiche und Flügelschlag“ (Bilder im Photoalbum). Trost findet das lyrische Ich in einer ferneren Liebe (Krönungstag, Notturno – weiß, Indem ich dich denke) und unmittelbar in der Poesie: „Ich reiße an den Saiten / einer lauten, lauen Welt, / die lebt im Gehör der Nacht.“ (Um Mitternacht).

Es handelt sich hier im Kontext zeitgenössischer rumäniendeutscher Lyrik um selbstbewusste Tuschzeichnungen einer fragilen Innerlichkeit. Diese „Inselexistenz“ schottet sich nicht hermetisch ab vor ihrem Entdecker, dem Leser: Die knappen, reimlosen Gedichte prunken nicht mit gesucht komplizierter Metaphorik. Nüchterne Gebrauchssprache dominiert. Brecht'sche Einflüsse bestreitet die Autorin ausdrücklich nicht. In den Achtzigern wurde ihre Lyrik dem "engagierten Subjektivismus" zugeordnet. Gelegentlich scheinen die Grenzen zwischen Lyrischem und Prosa zu verschwimmen. Dabei atmen die wechselvollen, impressionistischen Klangbilder vorwiegend in Moll. Kronstadt selbst ist in verschiedenen Strophen "vor Ort", in Krönungstag aber Kulisse: "Magnolien beleuchten / mir den Park, die Amsel / hüpft zehnfach im Gras. / Deine Hand ist warm / und riecht nach Frühling, / darin erlebe ich den Knospensprung, / glaube wieder / an den April ...". Unvermeidlich Schnee enthält "Erlebnisgedichte im besten Wortsinne" (Rudolf Segl im Nachwort) - von einer feinen Patina überzogen, auch um ihretwillen lohnt die Lektüre.

Christian Schoger


Carmen Elisabeth Puchianu: Unvermeidlich Schnee. Verlag Karl Stutz, Passau, 2002. 48 Seiten, kartoniert, 7,50 Euro, ISBN 3-88849-109-6. Zu bestellen bei: Verlag Karl Stutz, Große Messergasse 8, 94032 Passau, Telefon: (08 51) 21 62, Fax: (08 51) 26 35.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 8 vom 15. Mai 2003, Seite 6)
Carmen E Puchianu
Unvermeidlich Schnee: Gedichte

Stutz, K
Taschenbuch
EUR 5,90
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