31. Juli 2003

"Ihr seid Jammerlappen nur"

Noch ist die Erinnerung an Ioan C. Tomas mit viel Poesie inszeniertes Anarcho-Stück "König Ubu" von Alfred Jarry an der Pasinger Theaterfabrik in München ganz frisch, da hat der aus Kronstadt stammende Regisseur bereits eine neue Inszenierung aus dem Hut gezaubert: Goethes genialisches Jugendstück "Satyros oder Der vergötterte Waldteufel" von 1773.
"Ein Dokument der göttlichen Frechheit unserer Jugendjahre" nannte Goethe später sein in bester Sturm-und-Drang-Manier verfasstes Spiel vom Naturapostel und Sex-Guru Satyros: „Der Baum wird zum Zelte/zum Teppich das Gras/Und rohe Kastanien – ein herrlicher Fraß.“ Rousseau & Co., pardon: «Mother Nature» lässt grüßen.

Weil der Einsiedler (A. Hasenknopf) vor dem „Waldteufel“ und Sex-Guru Satyros (Jerryl, 2. von links) warnt, wird er von dessen Anhängern um Haaresbreite gekreuzigt. Rechts der Priester Hermes (W. Friedrich), der mit der gretchenhaft-naiven Psyche (T. Teuscher, links außen) ebenfalls dem falschen Propheten verfallen ist. Vorne seine Gattin Arsinoe (U. Pauer), die den triebgesteuerten Volksverführer im Allerheiligsten bei seinem frivolen Treiben entlarvt. Foto: Konrad Klein
Weil der Einsiedler (A. Hasenknopf) vor dem „Waldteufel“ und Sex-Guru Satyros (Jerryl, 2. von links) warnt, wird er von dessen Anhängern um Haaresbreite gekreuzigt. Rechts der Priester Hermes (W. Friedrich), der mit der gretchenhaft-naiven Psyche (T. Teuscher, links außen) ebenfalls dem falschen Propheten verfallen ist. Vorne seine Gattin Arsinoe (U. Pauer), die den triebgesteuerten Volksverführer im Allerheiligsten bei seinem frivolen Treiben entlarvt. Foto: Konrad Klein

Damit das Stück auch als Musical funktioniert, hat Toma Karl Heinz Hummel die Goetheverse zu musical-kompatiblen Songtexten aufpeppen lassen und den Komponisten Christian Auer um die richtigen Töne dazu gebeten. Der begeisterte Applaus am Premierenabend zeigt, dass das Gespann Hummel/Auer mal wieder ganze Arbeit geleistet hat. Was fast schon voraussehbar war. Die beiden hatten für Toma schon Karl Valentins Komödie „Ritter Unkenstein“ zum Erfolgsmusical gemacht. Das virtuose Slapstick-Grusical sorgt seit über einem Jahr für ausverkaufte Vorstellungen und gehört mittlerweile zum festen Bestand des Münchner ValentinKarlsstadtTheaters.

Als „dionysisches Spektakel auf einer Gauklerbühne“ möchte Toma seine neue Inszenierung in der Münchner Reithalle verstanden wissen. Und das ist es auch geworden dank der mit viel Spielfreude und Soul-Power agierenden Schauspieler. Allen voran dem farbigen Münchner Sänger Jerryl als Satyros (im „Unkenstein“ gab er den Scharfrichter), der mit seinem aufreizenden Hüftschwung und einnehmender Stimme alle Frauen und sicher auch manchen Mann um den Verstand bringt. Aber auch die anderen können dem Soul-Profi musikalisch durchaus das Wasser reichen. Nicht nur beim gemeinsam gesungenen Ohrwurm des Musicals „Ihr seid Jammerlappen nur“ – bei Goethe hieß es noch „Siechlinge“ -, groovt der ganze Saal. Aber auch die anderen Songs sind nicht von schlechten Eltern.

Durch die wohl durchdachte Choreographie und das minimalistische Bühnenbild von Bernhard Gross kommen die starken Bilder und die oft das Blasphemische streifenden Handlungen (etwa wenn der Kreuzbalken zum Ort symmetrisch inszenierter Sexspielchen wird) fast überdeutlich zur Geltung. Aber so muss es im Musical wohl sein, siehe Jesus Christ Superstar und wie sie alle heißen. Dabei versteht sich bei Toma, dem begnadeten Erzkomödianten, fast von selbst, dass auch Aktuelles aufgegriffen wird, zum Beispiel wenn Hermes (W. Friedrich) den bayerischen Ministerpräsidenten als Manager in Glaubensfragen auf den Arm nimmt oder Deutschland auf Star-Search geht („Deutschland sucht den Superstar“).

„Wir sind vielleicht zu antik gewesen / Nun wollen wir es moderner lesen.“ Toma hat Ernst mit diesem Goethewort gemacht. Und dabei auch noch jede Menge Theaterspaß produziert.

Konrad Klein


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 12 vom 31. Juli 2003, Seite 8)

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