14. September 2003

Universalist Eginald Schlattner wird 70

Auf die Frage, wie lange der rumänische Staatsbürger Eginald Schlattner schon in Rumänien lebe, antwortete er einmal: "Seit 850 Jahren" ("Hermannstädter Zeitung", 31. Januar 2003). Das entspricht dem Zeitraum der Siedlungsgeschichte der Siebenbürger Sachsen. Diese wechselhafte Geschichte der Siebenbürger Sachsen wirft helle Lichtkegel, aber auch untergründigen Schatten auf Eginald Schlattner, den Menschen und Erfolgsautor oder sollte man hier besser schreiben: auf den Pfarrer in Rothberg, den Ehemann an der Seite der Musikpädagogin Susanne Schlattner, den Vater von Sabine Maya, den Ingenieur, den Kutschenbauer, den Rumänen oder Siebenbürger Sachsen? Von den Ausbildungsgängen, von den vielfältigen Tätigkeiten und Interessen her kann man unseren Jubilar getrost als einen Universalisten bezeichnen.
Nicht nur auf dem Rothberger Pfarrhof mit der Kirche, die älter ist als die Stadt Berlin, sondern mittlerweile europaweit auf unterschiedlichsten Foren und in Interessenkreisen wird der unbestreitbar erfolgreichste Literat der Siebenbürger Sachsen als intensiver Gesprächspartner erlebt und nachhaltig geschätzt.

Die Biographie des Jubilars, der am 13. September 70 Jahre alt geworden ist, birgt eine Vielzahl von existenziellen Ereignissen des 20. Jahrhunderts. Lebenserleidung, Gegenwartsbeglückung und Zukunftsbefürchtung, aber auch Hoffnung auf einen versöhnlicheren Lebensabend sind Empfindungen, die die Stofffülle seiner drei großen Romane durchströmen.
Der Schriftsteller und Seelsorger Eginald Schlattner. Foto: Konrad Klein
Der Schriftsteller und Seelsorger Eginald Schlattner. Foto: Konrad Klein


Eine Universitätsdozentin schrieb in einem Brief an den Schriftsteller: "Selbst wenn Sie vom 'Ende' reden, klingt es wie Aufbruch." Das Skript des dritten Romans mit dem Titel "Das Klavier im Nebel" befindet sich bereits auf dem Schreibtisch des Verlags Zsolnay in Wien.

Der Erstlingsroman "Der geköpfte Hahn" befasst sich, angelehnt an die verfremdete Familiengeschichte des Autors, mit dem Frontwechsel der Siebenbürger Sachsen im August 1944 von Hitler zu Stalin, vom Teufel zum Belzebub. Der Romanverlauf pendelt zwischen Wirklichkeit und Fiktion, zwischen historischer, dokumentarischer Wahrheit und zeitunabhängiger Wahrhaftigkeit. Von dieser literarischen Pendelbewegung ließen sich einige kritische Zeitgenossen geradezu hypnotisieren, um alte Vor- und Fehlurteile aufzugreifen. Schlattner werden nach vermeintliche Aussagen während einer zweijährigen Folterhaft von 1957 bis 1959 unter der rumänischen Securitate vorgeworfen.

"Rote Handschuhe", der Nachfolgeroman, ist eine literarische Antwort auf diese Angriffe, ohne sich dabei nur annähernd zu erschöpfen. Die Qualitäten des Roman liegen allein schon darin, dass die Handlung keine Selbstrechtfertigung darstellt, dass der Erzählinhalt kein rein autobiographisches Segment eines Verfolgungsopfers abgibt, das in die Fänge der Securitate geraten ist. Nein, mit den beiden Entwicklungs-, Gesellschaftsromanen, was sie auch sind, liegen Kunstwerke vor, die in die Sphäre großer europäischer Literatur hineinreichen. Sie verlängern thematisch eine Linie authentischer Literatur wie Dostojewskis "Aufzeichnungen aus dem Totenhaus", 1860, Tschechovs "Insel Sachalin", 1895, Kafkas "In der Strafkolonie", 1913, Stefan Zweigs "Schachnovelle", 1941, und die eher prosaischen Werke Solchenizyns. Diese literarische Tradition stellt der Menschheit alles andere als ein gutes Zeugnis aus. Hier dürfte man vielleicht nicht mehr von "Belletristik", von schöngeistiger Literatur, reden, hier wäre der Begriff der "Maletristik" einzuführen. Es handelt sich um einen Stoff des Ungeistes, um die ewig gleichen traurig-dramatische Nachrichten aus Deportationsgefängnissen und Haft. Trotz aller Zeit- und Ortsunterschiede bleiben die Konsequenzen über die Jahrhunderte hinweg gleich: Schmerz, Verzweiflung, millionenfacher Tod. Und trotzdem kann sich nur etwas ändern, wenn die Irrwege bekannt gemacht werden. An dieser Aufklärungsarbeit beteiligt sich Eginald Schlattner, ohne notorisch, ideologisch oder eindimensional zu werden.

Die mittlerweile auch an den Hochschulen behandelten Romane des Ich-Erzählers sind trotz des politischen Gehaltes keine Pamphlete. Eine Deckungsgleichheit zwischen Hauptfigur und Autor anzunehmen, wäre literarisch oberflächlich und verfehlt. Allerdings ließ sich der Rothberger zu lange Zeit unter den moralisierenden Druck von Anschuldigungen setzen, die schon im Ansatz bedauerlich und unhaltbar sind. Eginald Schlattner hat erst in letzter Zeit das Selbstvertrauen erlangt, das ihm in der Tyrannei und anschließend in der Unerbittlichkeit einer Sündenbock-Mentalität vorenthalten werden sollte. Niemand muss Eginald Schlattners Ehre retten oder Ehre wieder herstellen, weil im Erleiden eines SS-Kommandos oder in den Einwirkungen der Securitate-Schergen oder durch Taten irgend eines anderen Terrorregimes nicht die Opfer zur Rechenschaft zu ziehen sind.

Die Vielschichtigkeit und Vielseitigkeit der beiden Romane "Der geköpfte Hahn" und "Rote Handschuhe" lassen auch oberhalb der biographischen Bezüge das bestsellerische Erfolgsecho - wie bei allen großen OEvres - zu unterschiedlichen Ausgangspunkten zurück verfolgen.. Man kann im Lektüreverlauf einen Blick in die ältere und jüngere Geschichte der Siebenbürger Sachsen werfen. Die Romane sind eine Fundgrube für angewandte Bibelbezüge. Ungezählte literarische Verquickungen und Anspielungen auf literarische Vorgänger verdichten den Text. Im Focus des Betrachters steht aber schließlich die widerliche Praxis der Securitate: "Wir wissen wer, wir wissen wo, wir wissen alles" (Rote Handschuhe, Seite 315). Eginald Schlattner schaffte jenen überfälligen Roman deutschsprachiger Gegenwartsliteratur über die kommunistische Vergangenheit der Unterdrückungsmaschinerien, der paradigmatisch auch für den Psychoterror der Stasi in der ehemaligen DDR stehen kann.

Die zahlreich angeführten Buchtitel nehmen sich aus wie eine Bibliographie gutbürgerlicher deutschsprachiger Bildung in Siebenbürgen in den 40er und 50er Jahren. Hierin manifestieren sich dann doch Bildungselemente des Schülers Eginald Schlattner, der in Hermannstadt an der Brukenthalschule und in Fogarasch am Radu-Negru-Lyzeum unterrichtet wurde. Schließlich legte er in Kronstadt, damals noch Stalinstadt, an der Honterusschule, 1952 die Matura ab.

Als Sohn des selbstständigen Kaufmanns Felix Schlattner aus Freck, der 1945 nach Russland deportiert wurde, kann Eginald Schlattner in mancher Hinsicht als zukunftsweisendes Vorbild in weltbürgerlichen und europäischen Dimensionen gelten. Mit seiner Biographie und Lebenspraxis verkörpert er eine multikulturelle Gesinnung auf christlich-humanistischer Basis. So wie er die Sprachen Ungarisch, Rumänisch, Französisch und Deutsch beherrscht, so erlebt man seinen detailverliebten Bildungshorizont als Grenzen überbrückend. Aber trotz des Blicks für das Ferne, Tiefe und Erhabene, in all den Jahren hinter dem eisernen Vorhang wollte er und will er bis heute die Verwurzelung in der heimatlichen Region im Herzen Siebenbürgens nicht aufgeben: "Von hier rühre ich mich nicht!"

Eginald Schlattner, trägt vor allem außerhalb der Schriftstellerei mit seinem Einsatz als Gefängnispfarrer und in seinem Einsatz z.B. für die "braunen Brüder", wie er die Zigeuner nennt, für die Untersten innerhalb eines armen Landes bei, dass die Vision und Praxis einer gerechten Gesellschaft nicht vergessen wird. Nicht zuletzt deshalb gratulieren wir auch dem am 13. September 1933 in Arad geborenen Siebenbürger Sachsen zum runden Geburtstag als einem "offiziellen Kulturbotschafter Rumäniens", zu dem er im vergangenen Jahr durch den Rumänischen Außenminister ernannt worden ist.

Als Theologe lebt Eginald Schlattner eine christliche Spiritualität, in der er täglich aktiv als Leib-, Geist- und Seelsorger im banalen Alltag wirkt für ein lebens- und menschenbejahendes Dasein.

Dr. Rolf Willaredt, Köln




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