4. Oktober 2003

Jaader Treffen: Fähigkeit zu vergleichen gibt mehr Lebenssinn

"Heimattreffen! Heimattreffen? Awa, ich gehe nicht hin, neee! Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Diejenigen, die noch hingehen, sind ja bekloppt! Haben die neue, moderne Welt noch nicht erkannt. Da wird ja nichts geboten, keine Äckschen, keine Gaudi ... ist auch nicht in. Ohne mich! " Das ist die eine Seite. Die andere ist jedoch entscheidend: "Heimattreffen? Wunderbar! Prima! Den Tag lasse ich mir nicht entgehen. Ich freue mich sehr darauf. Natürlich sind wir dabei".
So begann Matthias Penteker, Organisator vor Ort, seine Begrüßung beim heurigen 11. Jaader Treffen am 13. September, erstmals und sehr erfolgreich vonstatten gegangen im Schwäbisch-Gmünder Ortsteil Lindach.

"Tracht anzieh'n - Heimatgefühl spüren". Junge Trachtenträger beim Jaader Treffen nach dem Gottesdienst vor der Eichenrainhalle in Lindach. Foto: Hans Klein.
"Tracht anzieh'n - Heimatgefühl spüren". Junge Trachtenträger beim Jaader Treffen nach dem Gottesdienst vor der Eichenrainhalle in Lindach. Foto: Hans Klein.

"Dieses Treffen und all die anderen", fügte Matthias Penteker treffend hinzu, "haben für viele Jaader und deren Freunde eine große Bedeutung. Sie geben uns die Möglichkeit, Unterschiede im Leben wahrzunehmen und zu schätzen. Sie sind als Fundament, als zukunftsförderndes, belebendes Element in unserem siebenbürgischen Gemeinschaftsleben zu sehen". Das Treffen bot vor, im und nach dem Gottesdienst vielfältige Möglichkeiten, sich - auf jaaderisch - auszutauschen, sich über den Zustand der Jaader Kirche, die Jaader HOG und wesentliche landsmannschaftliche Anliegen zu informieren, gemeinsam zu essen, zu trinken, zu tanzen. Penteker begrüßte in der Eichenrainhalle weit über 300 begeisterte Jaader und Freunde der Jaader, unter ihnen auch den in Jaad geborenen, derzeit in Linz tätigen Pfarrer Ortwin Galter und dessen Gattin sowie den HOG-Vorsitzenden Horst Göbbel, ebenfalls mit Gattin, und den Chor der Kreisgruppe Schwäbisch-Gmünd unter der Leitung von Wilhelm Ehrlich. Als älteste Jaaderin bzw. Jaader im Saal beglückwünschten die Organisatoren Margaretha Penteker (85) und Michael Kuales (87) und überreichten ihnen ein Präsent.

Etwa siebzig Trachtenträger jeden Alters - es überwogen eindeutig Kinder und Jugendliche - prägten schon zu Beginn des elften Treffens im Gottesdienst in der exakt hundertjährigen neogotischen St. Nikolaus-Kirche in Lindach die festliche, heimatliche Stimmung. Pfarrer Ortwin Galter wählte in seiner Predigt einen Paulus-Text, in dem es, wie bei den Anwesenden, um die angenommene Einladung und um das große Geschenk der Befreiung ging. Matthias Penteker gedachte der Toten der letzten zwei Jahre. Sofia Penteker, die uns in "ihrer" Kirche freundlich begrüßt hatte - sie ist hier Mitglied im Kirchenvorstand -, las die Namen der Spender für die HOG Jaad vor. Horst Göbbel betonte die Kraft der Gemeinschaft, die Einsamkeit überwindet, zugleich jedoch der Pflege bedarf, wozu auch jedes Jaader Treffen passend sei - auch unser elftes seit 1981. Abschließend erinnerte er an die Vorhaben der HOG Jaad zur Sicherung der Jaader evangelischen Kirche als Gotteshaus und dankte unserem emsigen Landsmann vor Ort, Thomas Broser, der sich seit Jahren aufopferungsvoll um die Belange der Jaader ev. Kirche kümmert. Die Position der HOG Jaad zur Jaader Kirche bleibt unverändert und lautet in Kurzform: Die HOG Jaad ist an einer weiteren Erhaltung des Gotteshauses interessiert; die Jaader Kirche hat nur dann eine Zukunft, wenn sie von einer christlichen Religionsgemeinschaft als Gotteshaus auch zukünftig benützt wird; die jetzige evangelische Gemeinde in Jaad muss Vorkehrungen treffen für die Zeit nach ihrer wohl unabänderlichen Auflösung.

In seiner Festrede betonte Göbbel anschließend in der festlich geschmückten Eichenrainhalle in Lindach (dazu gehörten einprägsame Trachten und siebenbürgisch-sächsische Stickereien), wo das Fest bei Musik und Tanz bis tief in die Nacht weiterging, wie sehr sich unser Leben nach unserer Aussiedlung auch positiv verändert habe. Wir Aussiedler, wir Siebenbürger Sachsen seien ausgestattet mit einer riesigen Portion an inneren Vergleichsmöglichkeiten: Wir hätten z. B. Unfreiheit, Diktatur, Enteignung, die Zurücksetzung als Minderheit erlebt, wir hätten mit anderen Völkerschaften und anderen Religionsgemeinschaften im gleichen Land gewirkt, hätten, mehrsprachig aufgewachsen, völlig andere Mentalitäten kennen gelernt ebenso wie traditionelle Werte verinnerlicht, wir hätten das Dorfleben, die harte Arbeit in der Landwirtschaft ebenso wie die süßen Früchte der Ernte erfahren, wir hätten Denk- und Fühlmuster verinnerlicht, die ein wertvoller Schatz für uns seien. All dies würde uns hierzulande eine besondere, bewusstere Beziehung zu Freiheit und Demokratie, zur Zugehörigkeit zum deutschen Mehrheitsvolk in Deutschland, zu Eigentum aus Fleiß, Sparsamkeit und eigener schwerer Arbeit, zu Toleranz, Großstadtleben oder Auslandsreisen ermöglichen. Göbbel fasste zusammen: "Wenn sich jemand nach dem Zweiten Weltkrieg in Siebenbürgen völlig umstellen musste vom früheren Eigentümer und tonangebenden Bewohner im sächsischen Dorf zum nunmehr besitzlosen, rechtlosen, in vielerlei Hinsicht - nur weil wir Deutsche waren - bedrängten und geduldeten Mitbewohner, der ist wahrlich gewappnet, nach unserer Aussiedlung nach Deutschland oder Österreich hier beruflich bzw. gesellschaftlich flott Fuß zu fassen. Unsere Fähigkeit zu vergleichen verleiht unserem Leben im normalen Alltag zusätzlichen Sinn und Wert."

Er dankte schließlich allen, die auch dieses Treffen zu einem Höhepunkt im Jaader Gemeinschaftsleben haben werden lassen: den Organisatoren, Trachtenträgern und fleißigen Jaaderinnen, die Klotsch und andere Leckerbissen für uns gebacken haben, dem besonders überzeugend agierenden Chor, den Spendern, den Tänzern, den vielen Jugendlichen und Kindern.

Ab 19.00 Uhr tat die Tanzband "Evergreen" unter der Leitung von Robert Neiszer ihre angenehme "Pflicht" und begeisterte bis tief in die Nacht die zahlreichen, schwungvoll auftanzenden Liebhaber klassischer und aktueller Tanzweisen. In einer Pause, hatten die Teilnehmer Gelegenheit, in mehreren Power-Point-Präsentationen Ansichten von Jaad, Bilder von Gemeinden Nordsiebenbürgens, von Jaad im Internet und vom Bundeskanzleramt in Berlin anzusehen. Die Bilder vom neuen Bundeskanzleramt kommentierte fachmännisch Dietmar Penteker, unser Jaader "Außenposten" in der Regierungszentrale der Bundesrepublik Deutschland. Unser 1972 geborene Landsmann und stellvertretende HOG-Vorsitzende ist seit 2001 einer der etwa 450 Mitarbeiter im Bundeskanzleramt und pflegt seine tiefe Bindung zur siebenbürgisch-sächsischen Welt weiterhin in bedenkenswertem Maße. Er erläuterte, wie junge, hier gut integrierte Siebenbürger Sachsen aus ihrem traditionellen familiären und heimatortsgeprägten Milieu Kraft schöpfen. Seine Worte, seine Einstellung, sein Credo tun uns gut.

Das Treffen, solide vorbereitet vom Schwäbisch-Gmünder Team, wurde fortgeführt beim anschließenden gemütlichen Beisammensein bei Speis und Trank mit einer glänzenden sängerischen Einlage des von Wilhelm Ehrlich geleiteten Chors der Schwäbisch-Gmünder Kreisgruppe, mit der sehr gut auf das Publikum zugeschnittenen Tanzmusik der Band "Evergreen", geleitet von Robert Neiszer, die man getrost weiterempfehlen kann. Die spätere ausgelassene Tanzunterhaltung erfreute stundenlang Tanzende und Zuschauer jeden Alters.

Auf dem Treffen tagte auch der Vorstand der HOG Jaad. Horst Göbbel (146), Matthias Penteker (295), Dietmar Penteker (138), Thomas Frühm (224), Thomas Streifert (170), Michael Penteker (155), Walter Benesch (141), Dr. Alfred Theil (17), Simon Bidner (235) berieten angeregt über künftige Treffen, die Zukunft des Jaader Gotteshauses, über Aktualisierung des Familienbuches und der Familienforschung, Jaad im Internet, Spenden der HOG Jaad an siebenbürgische Institutionen sowie über einen Bildband Nordsiebenbürgen, der 2004 von Horst Göbbel herausgegeben werden soll. Das Jaader Heimatbuch und das "Adressen- und Familienbuch" der Jaader HOG kann bei Erika Hoos, Neumühlweg 4, 90449 Nürnberg, Telefon: (09 11) 68 26 51, bestellt werden.

Allen Jaader Landsleuten und unseren Jaader Freunden sagen wir Dank für ihr Kommen, für ihre Treue zu unserer Kirche, zu unserer HOG, zu unserer siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft. Wir freuen uns jetzt schon auf das nächste Jaader Treffen, das für das zweite Wochenende im September 2005 in Nürnberg vorgesehen ist.

Horst Göbbel


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 15 vom 30. September 2003, Seite 20)

Bewerten:

4 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.