20. August 2004

Neue Wurzeln in Kanada gefasst

Über die geschichtlichen Hintergründe der Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen in Kanada und ihr derzeitiges Leben berichtet Steve Schatz.
Etliche Siebenbürger Sachsen sind in den letzten sechs Jahrzehnten nach Kanada ausgewandert, um hier eine neue Heimat zu finden. Eine genaue Zahl der Einwanderer nach dem Zweiten Weltkrieg ist nicht bekannt, aber es handelt sich um schätzungsweise acht- bis zehntausend Siebenbürger Sachsen. Oft fragen Landsleute aus Europa, die uns besuchen: „Wie stehen die Sachsen in Kanada wirtschaftlich und beruflich da? Wie ist ihr Lebensstandard?“ Die Antwort ist ganz einfach: „Wie überall auf der ganzen Welt, wo die Siebenbürger Sachsen zu Hause sind!“ Der Durchschnitt lebt sehr gut. Hier haben wir nicht viele Millionäre, aber jeder hat mehr als man zum Leben braucht.

Wer die Kriegsjahre mitgemacht hat, weiß, wie schwer es war: vertrieben und heimatlos, das Lagerleben, das Auswandern. Auf ihrer Heimatsuche sind in den fünfziger Jahren viele nach Übersee ausgewandert. Die ersten Einwanderer kamen schon 1948 nach Kanada, vor allem zu Verwandten oder Bekannten. Durch Kirchen wurden auch viele herüber geholt, darunter besonders Bauern, die sich für ein Jahr verpflichten mussten, auf dem Bauernhof zu arbeiten. Man kann sich kaum vorstellen, wie schwer das war, gerade für die Älteren: die fremde Sprache, die Umstellung auf die Arbeit in der Industrie, im Bergwerk oder in anderen Berufssparten. Gleichwohl waren unsere Leute sehr gefragt, weil sie strebsam, ehrlich, fleißig und ehrgeizig waren. Sie haben sich überall hochgearbeitet! Da wir die Sprache nicht beherrschten, mussten wir alle Arbeiten annehmen, die uns geboten wurden.

Auch ich hatte diese Probleme. In Attnang-Puchheim (Österreich) absolvierte ich die Gesellenprüfung als Kunstschlosser mit Auszeichnung, kam nach Kanada, konnte kein Englisch. Meine ersten Arbeiten: Friedhofsgräber ausheben, Tabak und Äpfel pflücken etc. Das erste Jahr war das schlimmste meines Lebens! Hätte ich Flügel gehabt, wäre ich gleich wieder nach Österreich zurückgekehrt. Später wurde es immer besser. 1966 gründete ich mit zwei Freunden eine Schlosserei, in der unsere Kinder heute 60 Mitarbeiter beschäftigen. Kanada ist für mich und meine Familie zur Heimat geworden.

Den anderen Landsleuten ist es ähnlich ergangen. Am Anfang mussten alle sehr schwer arbeiten. Neben dem Hauptberuf verrichteten viele nach Feierabend noch eine oder zwei weitere private Arbeiten. In den fünfziger und sechziger Jahren konnte man in Kanada sehr billig leben, so dass sich viele Landsleute bald nach ihrer Einwanderung Häuser kaufen konnten. Heute leben unsere Enkelkinder bereits in der vierten Generation in Kanada. Sie pflegen noch immer unsere Sitten und Bräuche, sprechen noch Sächsisch. Sie sind stolz, Siebenbürger Sachsen zu sein. Unsere Frauen, Männer und Kinder sind in jedem Arbeitsgebiet vertreten. Wir haben unter uns viele Mediziner, Krankenschwestern, Professoren, Architekten, Ingenieure, Rechtsanwälte, Richter, Lehrer, Selbstständige, auch Bauern und gute Arbeiter. Wir können sehr stolz sein auf unsere Landsleute, auf unsere Herkunft.

Auf kulturellem Gebiet können wir uns hier in Kitchener nicht beklagen. Viele Leser dieser Zeitung wissen, was wir hier leisten. Wir haben eine Musikkapelle, einen Chor, die Jugendtanzgruppe, die Kindertanzgruppe und auch die Deutsche Kinder-Sprachschule. Bis jetzt hatten wir auch immer gute professionelle Betreuer, die diese Gruppen leiteten. In diesem Sinne möchte ich mich auch im Namen der Kapelle nochmals bedanken für die unvergesslichen Stunden, die wir mit vielen Landsleuten in Deutschland und Osterreich bei unserem Kulturaustausch im Jahre 2002 erleben durften. Danke für die Aufnahme und Gastfreundschaft. Es war einmalig - wie im Traum!

Steve Schatz

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