9. September 2004

Mit 70 auf den Götterberg Olymp

"Da packte Zeus die gebündelten Blitze und schleuderte mit grimmiger Miene die lodernden, todbringenden Geschosse auf die Krieger, die ihn in frevelhaftem Übermut verhöhnt hatten! " Ob diese Worte in den griechischen Göttersagen vorkommen, ist Kurt H. Binder nicht bekannt. Doch wie die alten Legenden in seiner Erinnerung leben, dürfte es wohl so ähnlich einmal geschrieben worden sein. Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er und seine Frau Erika im Juni von einem an der Ostküste Nordgriechenlands gelegenem Strand in der Thermaikos Bucht durch die Stadt Litochoro in Richtung Prionia fuhren. Zum Abschluss ihres diesjährigen Urlaubs wollten sie sich einen alten Wunschtraum erfüllen: den Olymp besteigen. Mit seinem Bericht will der siebenbürgische Buchautor Jung und Alt zum "höheren" Wandern animieren.
Litochoro liegt nur wenige Kilometer vom Strand entfernt. Wir fuhren zu dem Sandparkplatz Prionia hinauf, der von den meisten Wanderern als „Basislager“ für die Expedition auf den Olymp gewählt wird.

Erika und Kurt H. Binder auf dem Olymp.
Erika und Kurt H. Binder auf dem Olymp.

Am nächsten Morgen brachen wir um 7 Uhr zur Hütte auf. Gleich hinter dem Parkplatz ging der steinige Pfad den Hang hinauf und wand sich mäßig steil in Serpentinen durch einen dichten Laubmischwald aus Buchen und Eichen, dazwischen einzelne Schwarzkiefern und König-Boris-Tannen, stetig aufwärts. Wir kamen zügig voran. Die Morgensonne versetzte mit ihren noch sehr schräg einfallenden Strahlen diese herrliche, taufrische Landschaft in eine romantische Stimmung, der wir uns ganz hingaben und lange Strecken beinahe andachtsvoll schweigend zurücklegten. Nach einem dreistündigem Aufstieg kamen wir bei der Hütte an.
Die Schutzhütte "Spilios Agapitos", ein massiver Steinbau, liegt auf einer Höhe von 2 100 Metern. Sie wird von Maria Zolotas, der Tochter einer deutschen Mutter und eines griechischen Vaters, und deren Mann geführt. Das junge Ehepaar hatte die Hütte seit ein paar Jahren von Marias Eltern Kostas und Irmhild übernommen.
Auf den "Olympos" sollte man möglichst früh aufbrechen, da aus dem Tal fast täglich dichte Nebel aufsteigen, die sich durch die Nähe zum Ägäischen Meer von nur 20 km des fast 3 000 m hohen Gipfels rasch zu dicken Wolken heranbilden können, denen oft schwere Unwetter folgen. Dies geschieht meist schon um die Mittagszeit. Auf Grund dieser Willkür der Natur bekam Zeus die Beinamen "Wolkenversammler" und "Blitzeschleuderer".
Wir standen also morgens um 6 Uhr auf und marschierten nach einem frugalen Frühstück um 7 Uhr los. Der Pfad stieg steil und in vielen Kehren den Hang hinauf. Wir gingen durch Mischwald mit Kiefern, Tannen und Buchen, die nach etwa eineinhalb Wegstunden ganz aufhörten und von Kieferlatschen und Wacholder abgelöst wurden. Der steinige Pfad schlängelte sich nun in steilen Serpentinen einen langezogenen Hang hinauf, an dessen äußerstem Ende wir die Skala sahen, eine steinige Bergkuppe, auf der wir gegen 9.30 Uhr ankamen.
Von hier sahen wir zum ersten Mal den Mytikas, mit 2 917 Metern die höchste Spitze Griechenlands, in greifbarer Nähe vor uns. Links erhob sich der Skolio, mit 2 911 Metern die zweithöchste Spitze des Olymp. Auch er ist leicht erreichbar und bietet eine unbeschreibliche Aussicht über das ganze Massiv. Westlich von uns zog sich eine grüne, weit geschwungene Bergkette dahin, die uns lebhaft an unsere Zibinsgebirge mit dem Cindrel erinnerten.
Um den Mytikas zu besteigen, muss man von der Skala erst tief hinunter klettern. Wir warfen einen Blick hinab, dann hangelten wir uns vorsichtig hinunter. Es wurde eine mühsame, teils gefährliche Kletterpartie, weil die Steige nicht mit Stahlkabeln und Leitern gesichert sind. An dem tiefsten Punkt angekommen, balancierten wir über einen etwa 6 Meter langen, scharfen Grat, von dem sich nach links eine tiefe Schlucht auftat. Nach mehrfachem Aufundabklettern standen wir dann nur noch etwa 30 Meter unter dem Gipfel. Links eröffnete sich ein bodenloser, dicht vernebelter Abgrund. Wir stiegen an ihm vorbei und kletterten über scharfkantige Steinbrocken diesen letzten Hang hinauf.
Um 10.30 Uhr standen wir auf der stark zerklüfteten Spitze des Mytikas, auf der die blau-weiße, griechische Fahne wehte. Es war ein eigenartiges Gefühl, das ich immer dann empfinde, wenn sich eine Legende mit der Realität identifiziert. Dicht neben der Hauptspitze erhob sich der bullige, 2 907 Meter hohe Stefani, der wie auch der Mytikas nach Süden hin mehrere hundert Meter tief steil abfiel. Weit hinter dem Stefani ragte der Profitis Elias empor. Erika schoss mehrere Fotos und trug uns ins Gipfelbuch ein. Ein junger Grieche fragte uns lächelnd nach unserem Alter, dann gratulierte er mir zum 70. und fotografierte uns beide auf der Spitze.
Aus dem Tal stiegen Nebel auf, die sich rasch verdichteten. Trotz der frühen Tageszeit packten wir angesichts eines möglichen Gewitters unsere Sachen, legten noch ein paar Steine für unsere Sammlung in den Rucksack und begannen gegen 11 Uhr den Abstieg, der bis zur Skala noch schwierigerer als der Aufstieg wurde. Der Mytikas war bereits in dichte Wolken gehüllt, und um die Spitzen grollte leiser Donner. Wir hatten jedoch Glück - es fiel kein Regen. Um 15 Uhr waren wir wieder in der Hütte.
Letzter Tag am Olymp. Wir gingen um 7 Uhr los, kamen nach einem dreistündigem Abstieg auf Prionea an, und fuhren nach kurzer Pause hinunter nach Litochoro. Zwei Tage später fuhren wir in Igoumenitsa auf die Fähre „Prometheus“ auf, die uns nach einer 24-stündigen Überfahrt nach Venedig brachte. Nach einem weiteren Tag waren wir wieder zu Hause.
Da wir im Urlaub hauptsächlich Gebirgswanderungen machen, kommen wir öfters zu Stellen, die uns an unsere heimatlichen Karpaten erinnern. So wandern wir dann über einem "Gretchenweg" auf der Hohen Rinne bei Hermannstadt, klettern die „Bergerscharte“ hinter dem Negoi hinunter oder steigen zur "Foarfeca" auf die Cozia hinauf. Trotz der vielen Naturschönheiten in ganz Europa können wir unsere alte Heimat doch nicht vergessen.

Kurt H. Binder


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