1. Oktober 2004

Horst Göbbel: hervorragender Einsatz für die Gemeinschaft

Es war im Herbst 1944. Auf den Straßen Nordungarns schlängelten sich unzählige Wagen der aus Nordsiebenbürgen geflüchteten Sachsen. Ein Sonderzug mit 52 Güterwaggons, der am 21. September Bistritz verlassen hatte, transportierte schwangere Frauen, Kranke und Gebrechliche, Frauen mit kleinen Kindern und Alte. Unter ihnen befand sich auch die hochschwangere Maria Göbbel aus Jaad mit ihrer zehnjährigen Tochter und der kranken Schwiegermutter, die schon nach einigen Tagen starb. Der Ehemann mit den zwei größeren Kindern war mit dem Pferdewagen im Treck unterwegs. Am 2. Oktober, der Zug hielt in Ofeherto, gebar Maria Göbbel auf Stroh und einer Decke im Waggon Zwillinge: Erika und Horst.
Der Zug brachte die Flüchtlinge bis nach Oberschlesien, von wo Maria Göbbel nach einer mehrmonatigen Zeit des Suchens zu ihrem Mann und ihren Verwandten gelangte, die mit den Trecks in Auhof bei Perg (Oberösterreich) gelandet waren. Von hier trat die Familie, von der Roten Armee zur Rückkehr gezwungen, im Sommer 1945 die Heimreise an. Zu ihrem großen Leid musste sie in aller Eile in Püspöklodanyi (Ungarn) die erst zehn Monate alte Erika in einem Friedhof neben der Bahnlinie begraben. Horst Göbbel hat die Strapazen der Flucht überlebt und in Jaad unter den schweren Nachkriegsbedingungen die Kindheit verbracht und die Volksschule besucht. Das Leben innerhalb der relativ starken sächsischen Gemeinschaft sowie das Fluchterlebnis, das in den Gesprächen der Erwachsenen allgegenwärtig war, haben ihn stark geprägt. Er hat dann in Bistritz die Klassen 5-8 und das Gymnasium besucht und 1962 mit Abitur abgeschlossen.



Horst Göbbel. Foto: Petra Reiner
Horst Göbbel. Foto: Petra Reiner
Hier in Bistritz habe ich Horst Göbbel als Schüler in einer starken Klassengemeinschaft der deutschen Abteilung des Gymnasiums gehabt, von deren Absolventen der Großteil nach dem Abitur an einer Hochschule die Aufnahmeprüfung bestanden und studiert hat. Horst war ein aufgeweckter und strebsamer Schüler und an meinem Fach – Geschichte –, das er studieren wollte, besonders interessiert. Er hat dann tatsächlich an der Geschichtsfakultät der Klausenburger "Babes-Bolyai"-Universität studiert und mit der Diplomarbeit "Der Anschluss Österreichs 1918-1938" abgeschlossen. Danach war er kurze Zeit Geschichtslehrer an einer rumänischen Schule in Nordsiebenbürgen und wurde 1968, als ich aus Bistritz wegzog, mein Nachfolger an der deutschen Abteilung des Gymnasiums, die sich eines guten Rufs erfreute. Mittlerweile schrumpfte, vor allem in Nordsiebenbürgen, als Folge der Aussiedlung von Sachsen in die Bundesrepublik das Deutschtum immer mehr zusammen. 1973 heiratete Horst Göbbel die in Österreich geborene Geographie- und Englischlehrerin Gitti Engler, deren Eltern aus Jaad und Wermesch stammen und nach dem Krieg in Traun bei Linz eine neue Heimat gefunden hatten. Kurz nach der Heirat erhielt auch Horst Göbbel die Ausreisegenehmigung nach Deutschland. Die junge Familie ließ sich in Nürnberg nieder. Da Horst, wie es in Rumänien üblich war, nur für ein Fach qualifiziert war, nahm er 1974-1977 ein zweites Studium für Germanistik an der Philosophischen Fakultät der "Friedrich Alexander"-Universität in Erlangen-Nürnberg auf und absolvierte 1977 auch eine Erweiterungsprüfung für Sozialkunde. Damit war er für alle Anforderungen des Schuldienstes bestens gerüstet. 1977 trat er in den bayerischen Schuldienst und unterrichtet seit 1984 – zurzeit als Studiendirektor – am "Hans-Sachs"-Gymnasium Nürnberg Geschichte, Deutsch und Sozialkunde.

Dienstliche Beurteilungen bescheinigen dem Studiendirektor Horst Göbbel eine beeindrukkende fachliche und pädagogische Kompetenz, und das in einer ruhigen, souveränen Art der Unterrichtsführung, die den Schüler immer aktiv am Lernprozess beteiligt und ihn fragend zum eigenen Nachdenken anregt. Gestützt auf sein reiches Wissen hat das, was er sagt, stets Gewicht bei Schülern wie bei Kollegen. Dabei handelt er bei aller Deutlichkeit seiner Position mit Einfühlung und Maß, behutsam und leidenschaftlich zugleich, aber ohne Eiferertum, bei ausgleichendem, sachlichem Ton. Die Schüler ihrerseits gehen darum auch bereitwillig auf seine Anliegen ein und achten ihn als Lehrerpersönlichkeit von Format.

Das sind Bewertungen, die sich kaum steigern lassen, wofür ihm auch Anerkennung und Förderung zuteil wurde. Göbbel ist zudem Mitarbeiter des Ministerialbeauftragten für die Gymnasien in Mittelfranken und seit 1999 auch Seminarleiter für Grundfragen der staatsbürgerlichen Bildung. Seine besonderen Interessengebiete sind deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, internationale Politik, Nah-Ost-Konflikt, Islam und natürlich Siebenbürgen.

Wegen der genannten Verdienste würden wir trotzdem Horst Göbbel wahrscheinlich nicht in der Siebenbürgischen Zeitung zum 60. Geburtstag gratulieren. Wenn wir es tun, so haben wir zusätzlich vor allem seine vielfältige ehrenamtliche Tätigkeit im Dienste seiner siebenbürgischen Landsleute vor Augen. In dieser Tätigkeit bin ich ihm in Nürnberg wieder begegnet und wir haben seit 1984 im Vorstand der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, Kreisgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen, den Göbbel seit 20 Jahren als Vorsitzender leitet, zusammengearbeitet. Die Kreisgruppe ist nicht nur eine der größten mit rund 1 600 Mitgliedern, sondern auch eine der aktivsten. Das ist sicherlich mit ein Verdienst von Göbbel, unter dessen souveräner und kompetenter Leitung nicht nur die Formationen der eigentlichen Landsmannschaft, sondern auch die mehrerer Heimatortsgemeinschaften sowie die Siebenbürgische Blaskapelle zusammengefunden haben und sich in der Öffentlichkeit gemeinsam präsentieren. Es würde zu weit führen, das breit gefächerte Wirken der Siebenbürger Sachsen im Raum Nürnberg aufzuzählen, ein Blick in die Siebenbürgische Zeitung mit den Berichten und der Vorschau auf Termine bietet ein buntes Bild. Zu niveauvollen Kulturveranstaltungen, dem jährlichen Sommerfest und dem Weihnachtsgottesdienst kommen einige hundert Landsleute. Für ihre Mitglieder hat die Kreisgruppe von 1992 bis 2003 insgesamt 17 Broschüren zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen herausgegeben, die bei Landsleuten eine gute Resonanz und Verbreitung gefunden haben sowie den deutschen Schulen in Siebenbürgen als Dokumentation für heimatkundlichen Unterricht dienen.

Seine Erfahrung als Kreisvorsitzender konnte Göbbel einbringen als Bundesvorstandsmitglied und Stellvertretender Bundesvorsitzender, Stellvertretender bayerischer Landesvorsitzender der Landsmannschaft (1992-2003), als Vorsitzender des Verbandes der Siebenbürgisch-Sächsischen Heimatortsgemeinschaften (1997-2000), als Vorsitzender des Vereins "Haus der Heimat" (seit 2000) und nicht zuletzt als Sprecher der Heimatortsgemeinschaft Jaad. Göbbel hat auch zur Stadt Nürnberg und der Kirche seines Sprengels einen guten Draht und ist seit 1986 öfters als Vorsitzender in den Aussiedlerbeirat der Stadt berufen worden, zudem ist er Mitglied im Lenkungsausschuss Bündnis für Familie (seit 2002), der Kommission für Integration der Stadt Nürnberg (seit 2003) und gehört seit 2000 dem Kirchenvorstand der Sebaldus-Kirche Nürnberg an.

Am 25. August 1993 wurde Göbbel von Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland "in Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste" verliehen. Dass bei diesem Umfang an außerschulischen und ehrenamtlichen Tätigkeiten die Familie (das Ehepaar Göbbel hat einen Sohn und eine Tochter) sowie die Gesundheit zum Leisetreten rieten, versteht sich von selbst. Dem hat der Jubilar Rechnung getragen und mittlerweile einige Ämter aufgegeben. Auch den Vorsitz der Kreisgruppe tritt er in diesem Herbst an eine jüngere Kraft ab, wird sich aber nicht auf sein "Altenteil" zurückziehen.

Göbbel hat mehrere Bücher veröffentlicht, so eine umfangreiche Monographie über seine Heimatgemeinde Jaad (1990), jüngst gemeinsam mit Alexandru Pintelei ein Buch über die Flucht der Nordsiebenbürger Sachsen (2004), eine Arbeit über "Internationale Politik" (1995), ist Mitautor von vier der oben genannten, von der Kreisgruppe herausgegebenen Broschüren, hat drei Berichtbände über die Tätigkeit der Heimatortsgemeinschaften herausgegeben und viele Zeitungsartikel verfasst. Hinzu kommen zahlreiche Vorträge sowie Studienreisen nach Siebenbürgen, für die er auch Schüler seiner Schule gewinnen und begeistern konnte.
Zum 60. Geburtstag wünschen wir Horst Göbbel Gesundheit, Schaffenskraft, Schwung und weiterhin Erfolg in- und außerhalb der Schule, um sein derzeitiges Lebensmotto – "Freude am Leben, Lust auf Zukunft" – genießen zu können.

Dr. Michael Kroner

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