18. Februar 2005

Moralische Wiedergutmachung für Deportierte

Vor 60 Jahren wurden 130 000 Deutsche aus Rumänien, Jugoslawien und Ungarn zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt, ein Willkürakt, den die sowjetische Besatzungsmacht angeordnet hatte und unter Mitwirkung der Polizeibehörden dieser Länder durchführen ließ. In zahlreichen Veranstaltungen erinnern Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben und andere Südostdeutsche an die traumatischen Ereignisse, die kaum eine Familie verschont haben. Die siebenbürgische Landsmannschaft setzt sich für mehr öffentliche Anerkennung der Zwangsarbeiter ein.
Unter den Historikern und Politikern herrscht ebenso wie in der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen Konsens darüber, dass die Verschleppung von etwa vier Millionen Zwangsarbeitern aus dem Osten in den Machtbereich des Dritten Reiches sowie die anderen Verbrechen der Nationalsozialisten zu verurteilen sind. Die historische Wahrheit erfordert es aber auch, die gegen Deutsche verübten Verbrechen beim Namen zu nennen. Die Deutschen aus Rumänien gerieten als Erste in den Machtbereich der Sowjets und mussten für die Verbrechen büßen, die die Nazis auf dem Gebiet der Sowjetunion begangen hatten. Diese ethnische Minderheit wurde kollektiv bestraft, für Verbrechen, die anderen zuzuschreiben waren. Diese Aktion sei, „gemessen an den Grundsätzen des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg ein Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, erklärte der Historiker Günter Klein kürzlich in einer Veranstaltung in Nürnberg (siehe Bericht in der Siebenbürgischen Zeitung Online).

In St. Sebald Nürnberg gedachten Deportierte mit Würde an die Ereignisse vor 60 Jahren, von links nach rechts: Sara Wagner, Adele Morth, Anna Schuller und Katharina Kirschner. In der Mitte: Pfarrer Hans Rehner. Foto: Horst Göbbel
In St. Sebald Nürnberg gedachten Deportierte mit Würde an die Ereignisse vor 60 Jahren, von links nach rechts: Sara Wagner, Adele Morth, Anna Schuller und Katharina Kirschner. In der Mitte: Pfarrer Hans Rehner. Foto: Horst Göbbel

Die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen betrachtet es als „moralische Pflicht“, dass die Russlanddeportierten mehr öffentliche Anerkennung erfahren. Gedenkveranstaltungen, Gottesdienste, Podiumsdiskussionen und Ausstellungen sollen an die Ereignisse vor 60 Jahren erinnern. Die Landsmannschaft beteiligte sich an der zentralen Gedenkveranstaltung am 14.-15. Januar 2005 in Ulm an der Donau, zudem würdigten zahlreiche Kreis- und Landesgruppen das Schicksal der Russlanddeportierten, wie diese Zeitung in mehreren Ausgaben ausführlich berichtete. Auch der Heimattag der Siebenbürger Sachsen vom 13. bis 16. Mai 2005 soll ein Zeichen des Gedenkens setzen. Im siebenbürgischen Kulturzentrum in Gundelsheim am Neckar sind die Namen von rund 32 000 Deportierten verzeichnet, ein Register, das nun mit Hilfe der Überlebenden und der Nachkommen vervollständigt werden soll.

Besonders wichtig ist dabei, dass die Menschen, die diese schwere Zeit erlebt haben, die Möglichkeit erhalten, sich das Leid „von der Seele“ zu sprechen oder zu schreiben und die traumatischen Ereignisse zu „verarbeiten“. „Vergeben ja, vergessen nein“, sagen die meisten Überlebenden der Sklavenarbeit in der Sowjetunion. Das Gedenken steht also im Zeichen der Versöhnung, des Dankes an Gott für die Rettung sowie für die in der neuen Heimat erlangte Freiheit. Keinesfalls von Rache erfüllt oder rückwärts gerichtet, sondern läuternd und in die Zukunft weisend ist die Botschaft der Zeitzeugen, die altersbedingt immer weniger werden. Sie mahnen zum Frieden, zu Menschlichkeit und zu einer besseren Welt, die die nötigen Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit zieht.

Das vor 60 Jahren an den Deutschen in Südosteuropa begangene Unrecht hat eine moralische Verpflichtung begründet, die sich die Bundesrepublik im Artikel 116 des Grundgesetzes selbst auferlegt hat. So wurden die Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler als Staatsbürger aufgenommen, „allein weil sie Deutsche sind“. Für diese Anerkennung und die spätere Familienzusammenführung hat sich die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen vehement eingesetzt und damit den Weg in die Freiheit für die Angehörigen der deutschen Minderheit geebnet, die dem kommunistischen Terror und den Verfolgungen eines menschenverachtenden Systems ausgesetzt waren. Die Russlanddeportation und das Kriegfolgenschicksal waren wichtige Argumente für die Siebenbürger Sachsen und die anderen Südostdeutschen, in den Genuss des deutschen Vetriebenenrechts zu kommen.

Die Entschädigungsproblematik der Russlanddeportierten wurde im Bundesvorstand der Landsmannschaft mehrfach erörtert. Die Landsmannschaft berät ihre Mitglieder in diesen Fragen und weist darauf hin, dass mögliche Ansprüche nur individuell geltend gemacht werden können. Über die eher symbolische Rehabilitierung durch die deutsche Gesetzgebung wurde in der Siebenbürgischen Zeitung vom 10. November 2001 informiert: Die Zeiten der Verschleppung nach Russland werden in der Rentenversicherung als Anwartschaft berücksichtigt (Ersatzzeiten gemäß § 250 SGB VI). Im Bundesversorgungsgesetz sind u.a. Leistungen für Gesundheitsschäden vorgesehen, die Zivilpersonen infolge einer Internierung wegen deutscher Volkszugehörigkeit im Ausland (also auch infolge der Russlandverschleppung) erlitten haben. Bei der „Stiftung für politische Häftlinge“ kann man zudem eine geringe Entschädigung beantragen, siehe Siebenbürgischen Zeitung vom 18. August 2003.

In den Diskussionen um osteuropäische NS-Zwangsarbeiter (so genannte „Ostarbeiter“) hat die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, von der Bundesregierung und der deutschen Industrie ins Leben gerufen, in den letzten Jahren beachtliche Entschädigungen geleistet. Weltweit zahlte die Stiftung gut 2,6 Milliarden Euro an 1,5 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter aus. Der 74-jährige Heinz Bornschein aus Essen beklagt, dass das Auswärtige Amt unter Minister Joschka Fischer die Ungleichbehandlung aus politischen und historischen Gründen als gerecht ansieht. „Der Bundesregierung ist aber auch bewusst, dass viele Deutsche während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach Opfer von Gewalt und Willkür durch fremde Mächte wurden. So groß dieses Unrecht auch war: Es hatte in der Regel seine Wurzeln in Untaten des NS-Regimes. Nicht zuletzt deshalb hat die Bundesregierung davon abgesehen, von der Russischen Föderation Entschädigung wegen erlittener Zwangsarbeit zu fordern“, heißt es in einem Schreiben des Auswärtigen Amtes, zitiert in der Welt am Sonntag vom 14.12.2003. Bornschein wurde Ende 2003 als erstem deutschen Zwangsarbeiter eine Entschädigung von Russland zuerkannt. Für 78 Monate wurden ihm umgerechnet gerade mal 170 Euro bewilligt: „Bornschein musste zu Zeiten der Stalin-Diktatur unter anderem fünfeinhalb Jahre im gefürchteten sowjetischen Zwangsarbeitergebiet Workuta am Polarkreis in einem Kohlebergwerk unter Tage malochen.“ Allerdings wurde die Entschädigung nicht nach Deutschland überwiesen. Der Betroffene hätte ein „persönliches Bankkonto“ in Russland eröffnen müssen. Allein die Reise nach Moskau hätte den Essener das Zehnfache gekostet. Bornschein empfand die Entschädigungsofferte der Russen als „eine perfide Verhöhnung“.

Dennoch sollten die Russlanddeportierten nach Ansicht von Prof. Dr. Pavel Polian, Zeithistoriker an der Universität Freiburg, materielle Entschädigungen verlangen bzw. gegen Russland als Nachfolgestaat der UdSSR klagen. Die „Verschleppung“ der Südostdeutschen sei „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gewesen, betonte Polian bei der Podiumsdiskussion in Ulm am 14. Januar (diese Zeitung berichtete). Nachdem die ehemaligen „Ostarbeiter“ in ihrer Klage gegen den deutschen Staat Erfolg hatten, könnte „auch ein international organisiertes Gerichtsverfahren der ehemaligen Zwangsarbeiter in der Sowjetunion Chancen auf Erfolg haben“. Nach diesem Präzedenzfall könnten die Gerichtsklagen der „Westarbeiter“, zu denen auch die Siebenbürger Sachsen zählen, auch in Moskau einiges bewegen, erklärte Polian gegenüber der Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (26. Januar 2005).

In Rumänien werden die Russlanddeportierten den ehemaligen politischen Verfolgten gleichgestellt. Aufgrund des Dekretgesetzes 118/1990 erhalten sie eine kleine monatliche Zusatzrente. Der damalige Staatspräsident Rumäniens Ion Iliescu hat in einer Erklärung von Januar 1995 die Verschleppung unserer Landsleute zur Zwangsarbeit nach Russland öffentlich bedauert, Russland hat sich zu einer zumindest symbolischen Geste noch nicht durchgerungen.

Siegbert Bruss

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