1. September 2001

Kein ungetrübter Sommerurlaub

Pünktlich zu Monatsbeginn im August trat die Bukarester Regierung praktisch in corpore ihren Jahresurlaub an. Grubenunglück, Säuglingssterblichkeit und Rückgabeansprüche schreckten die Machthaber jedoch auf.
Pünktlich zu Monatsbeginn im August trat die Bukarester Regierung praktisch in corpore ihren Jahresurlaub an und wollte mal von Politik und Alltagssorgen Abstand nehmen. Karikaturisten vieler Medien setzten denn auch in ihren zeichnerischen Elaboraten vor das Regierungsgebäude ein großes Hängeschloss. Sommerliche Pausenstimmung herrschte zur gleichen Zeit auch in der einstigen Sommerresidenz des Königshauses im hauptstädtischen Nobelviertel Cotroceni an der Dambovita, dem Staatspräsidenten Iliescu.
Allein den ungetrübten Urlaub, wie der Himmel das versprach, konnten der Präsident und die Minister dann doch nicht verbringen. Einem Grubenunglück im Schiltal fielen nämlich gerade in dieser Zeitspanne 14 Bergleute zum Opfer, in der Jassyer Geburtenklinik "Cuza Voda'" kamen überdies sechs Neugeborene urplötzlich ums Leben, und Ex-König Michael I. schließlich stellte beim Bürgermeisteramt in Sinaia noch vor der Monatsmitte Anspruch auf Rückgabe der Schlösser Peles, Pelisor und Foisor sowie weiterer Immobilien und Grundstücke im Prahova-Tal. Der geschätzte Verkehrswert: gut über 20 Millionen US-Dollar. Das war offenbar zu viel des Guten bzw. Unguten selbst für die Regierenden, die darauf ihre Urlaubsorte am Meer, im Delta oder sonstwo fluchtartig aufgaben.
Doch so schnell sie in die Landeshauptstadt auch zurückgekehrt sind, so schnell haben sie diese auch wieder in Richtung Sonne, Sand und Meer verlassen und ihren Experten die Klärung der Sachverhalte überlassen. Eine experimentelle Simulation soll die Grubenexplosion von Vulcani im Schiltal ausgelöst haben und machte deutlich, was im Vorfeld ohnehin schon für viele Verantwortungsträger eindeutig war: Die Kumpel haben die elementarsten Vorschriften des Arbeitsschutzes nicht eingehalten und tragen mithin selbst die Schuld an ihrem tragischen Schicksal.
Arbeitsschutz aber wird in Rumänien lediglich auf dem Papier groß geschrieben, erst recht in Vulcani, wo im Laufe der Jahre immer wieder Bergleute den Tod in der Grube fanden: 1986 waren es 50, 1989 weitere 29 und heuer eben 14, obgleich kurz zuvor die Nachricht durch die Presse gegangen, dass allein in diesem Jahr aus dem Staatshaushalt ganze 3 500 Milliarden Lei in den Bergbau Wirtschaftssektor geflossen seien. Weitere rund 85 Millionen Lei je Opfer machte die Regierung nun zusätzlich für die Hinterbliebenen locker, den 21 Minderjährigen, die durch die Katastrophe zu Halbwaisen wurden, stellte man überdies Stipendien und andere Unterstützungen in Aussicht. Nach einigem Tauziehen wurden Leitungskader im Schiltal freigestellt, selbst im Wirtschaftsministerium rollten einige Köpfe.
Fast nach dem gleichen Muster wurde in Jassy vorgegangen. Alle sechs dort plötzlich verstorbenen Säuglinge waren Frühgeburten, ergo am eigenen "Schicksal" Schuld, hieß es zunächst unterschwellig in Erklärungen, als ob Frühgeburten auf Anhieb dem Tod geweiht seien. Doch dann besannen sich auch die "Experten" eines Besseren, zumal in Rumänien neuerdings fast mehr Früh- als Normalgeburten zu verzeichnen sind. Ein Infektionsherd innerhalb Jassyer Klinik musste als Todesursache herhalten, denn die Hygiene in den Spitälern wird gleichfalls dies- und jenseits der Karpaten nur auf dem Papier groß geschrieben, lässt in der Wirklichkeit aber eher zu wünschen übrig.
Groß fahnden musste man demnach erst gar nicht nach den Schuldigen. Bloß: Ober- und Chefärzte befanden sich - gleich der Regierung - auf Urlaub, zehn Prozent Lohnkürzung für drei Monate konnte ihnen daher die Gesundheitsministerin maximal als Strafe anhängen - das Schmiergeld für einen Tag. Als der Medienrummel dann doch zu groß wurde, sind auch hier Köpfe gerollt, allerdings vertikal nach oben, bis hinein in die lokale Gesundheitsdirektion. Entschädigung gab es keine, die Betroffenen suchen mittlerweile ihr Recht bei den Gerichten.

Martin Ohnweiler


(Siebenbürgische Zeitung, Folge 14 vom 15. September 2001, Seite 6)

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