11. November 2001

Sächsische Volkskunst vorbildlich dokumentiert

Rose Schmidt und Werner Förderreuther versuchen in ihrem Buch „Der Hände Fleiß. Siebenbürgische Haustextilien als Wohnschmuck" einen wichtigen Aspekt des sächsischen Kulturerbes für die Nachwelt zu retten. Die Neuerscheinung soll dem Leser und Betrachter die Schönheit und Vielfalt der für den Wohnschmuck bestimmten siebenbürgisch-sächsischen Web- und Stickarbeiten vorstellen. Die Textilkunst veranschaulicht die einmalige kulturhistorische Bedeutung bäuerlicher Handarbeit.
Vor dreißig Jahren führte ich eine volkskundliche Untersuchung über Sachsen aus Nordsiebenbürgen durch, die seinerzeit in langen Trecks ins österreichische Bundesland Salzburg geflüchtet waren. Bei einem der unzähligen Interviews drückte mir eine Bäuerin plötzlich ein kleines, zusammengefaltetes Textilstück in die Hand. „Nehmen Sie, das gehört Ihnen“- und dabei rannen ihr unaufhörlich Tränen über das Gesicht. Die letzte Besitzerin erzählte Erstaunliches aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren: Das Tuch wurde mitsamt anderen Habseligkeiten nach St. Pölten in Niederösterreich mitgenommen und im Wald vergraben, da man überstürzt vor den nahenden Russen weiter in den Westen flüchten musste. Dort verblieb es einige Jahre, bis sich die politische Situation endlich beruhigte.
Dreiteilige Bett- oder Tischdecke aus Jaad, 1863, Leinen.
Dreiteilige Bett- oder Tischdecke aus Jaad, 1863, Leinen.

Als ich das hier vorzustellende wunderbare Buch noch druckfeucht in Händen hielt, überfiel mich ein ähnliches Gefühl wie vor 30 Jahren, entdeckte ich doch beim Blättern (Seite 99, Abb. 172) genau die gleichen nordsiebenbürgischen Motive wie auf dem Tischtuch, das mir die Bäuerin geschenkt hatte. In dem Buch erfuhr ich nun wissenswerte Details über das Muster, über das Garn und seine Farbe, ganz bestimmte Stiche und ihre Benennungen, die Präsentation der Haustextlien, etwa im Paradezimmer, aber auch über die Anlässe, zu denen man den in unvorstellbarer, mühevoller Arbeit erzeugten Hausschmuck anfertigte.
Die beiden Autoren des Buches sind Rose Schmidt aus Schweischer, ausgebildete Kindergärtnerin und Lehrerin, 1987 nach Deutschland ausgesiedelt, Autorin mehrerer volkskundlicher Publikationen und, sowie der Mittelfranke Werner Förderreuther, Schreinermeister und Besitzer einer umfangreichen Sammlung siebenbürgisch-sächsischer Textilien. Beide sind ausgezeichnete Kennerin siebenbürgischer Volkskunst. Ihnen zur Seite stand Martin Rill, Verleger der Edition Wort und Welt und Herausgeber der beiden großartigen Bildbände „Siebenbürgen im Flug“ und „Das Burzenland“. Zusammen mit dem begnadeten Fotografen Martin Eichler steuerte Rill die meisten der rund 300 Farbaufnahmen bei, die alle hier zum ersten Mal veröffentlicht werden. Die billanten Bilder, zum Teil ganzseitig wiedergegeben, und die Qualität des Buches stellen „Der Hände Fleiß“ selbstbewusst auf die gleiche Stufe zu die beiden genannten Bänden.
Die Neuerscheinung zeigt sorgfältig ausgewählte Stickereien aus allen deutschen Siedlungsgebieten Siebenbürgens. Sie will dem Leser und Betrachter die Schönheit und Vielfalt der für den Wohnschmuck gestimmten siebenbürgisch-sächsischen Web- und Stickarbeiten vorstellen. Die Darstellung der einzelnen Arbeitsgänge, vom Anbau bis zum Verspinnen der Faserpflanzen, über die Aufbereitung und Verarbeitung des Rohmaterials bis hin zum Weben und Verzieren der Haustextilien (Tisch- und Bettdecke, Handtuch, Ofentuch, Stangentuch, Kissenbezug, Kissen- und Strohsackstulpen, Vorhänge u.a.), gewährt dem Leser Einblick in die meist noch von Hand gefertigte Textilkunst der Siebenbürger Sachsen. Redewendungen, Sprichwörter, Aberglaube, überliefertes Brauchtum bei unterschiedlichen Arbeiten veranschaulichen das Bestreben dieser Menschen, das Wissen ihrer Vorfahren aufzugreifen und weiter zu reichen. Die selbstverständliche Pflege von Sitte und Brauch im täglichen Leben des Bauernhauses veranlasst die Bäuerin, Wirtschaftstücher, Gewebe für Unterwäsche, Kleidung und Wohnschmuck nicht nur für ihre Familie und den eigenen Haushalt zu fertigen, sondern auch vorausschauend die erforderlichen Aussteuerstücke für ihre Kinder herzustellen. Dabei bediente sie sich eines viele Jahrhunderte alten Kanons an Mustern, die sie, je nach Lust und Laune oder auch aus vorgegebenen Zwängen, lange überlegt ode auch völlig spontan umändern konnte. Damit reihte sie sich ein in eine schier endlose Kette von Nehmen, Verwenden, Abändern und Weitergeben und war somit selbst Teil einer langen Traditionskette. Wir können diesen vielen Handarbeiterinnen nicht dankbar genug sein, dass sie in unendlichem Fleiß und Können all diese kleinen Wunderwerke schufen! Aus heutiger Sicht ist es schwer nachvollziehbar, wie die Bäuerin es fertig brachte, mit einfachsten Wirtschaftsgeräten, ohne handwerkliche Schulung in den verschiedensten Handarbeitstechniken, meist mit abgearbeiteten Händen und bei mäßigem Licht so schöne und kunsthandwerklich solide Stücke anzufertigen.
Aufschlussreich ist der beigegebene Anhang mit einer Landkarte, einem dreisprachigen Ortsverzeichnis, einer Literaturauswahl, der Nennung von Sammlern und Gewährspersonen und dem vollständigen Fragebogen, der 1980 für eine geplante „Volkskunde der Rumäniendeutschen zum Thema Textilien als Wohnschmuck“ von Rose Schmidt erarbeitet wurde. Die Ergebnisse der Umfrage und viele weitere Recherchen hat die Autorin in dieses Buch eingebracht.
Dem kostbaren Buch sind nicht nur viele Leser, sondern noch mehr „Seher“ zu wünschen: Menschen, die die Fähigkeit haben, die großzügig abgebildeten Kostproben an siebenbürgisch-säschsischen Haustextilien sprechen und erzählen zu lassen und die sich anstecken lassen von der Begeisterung der beiden Autoren.

Rotraut Acker


Rose Schmidt und Werner Förderreuther: Der Hände Fleiß. Siebenbürgische Haustextilien als Wohnschmuck. Edition Wort und Welt, 2001, 176 Seiten, 300 Farb- und Schwarzweißabbildungen, 78,00 DM/39,90 Euro, ISBN 3-932413-07-5. Im Buchhandel erhältlich und beim Buchversand Südost, Brigitte Rill, Seebergsteige 4, D-74235 Erlenbach, Telefon: (0 71 32) 9 51 16 12, Fax: (0 71 32) 9 11 16 13, E-Mail: buchversand_rill@t-online.de.

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