16. Dezember 2001

Reisefreiheit: Nach erster Euphorie die Ernüchterung

Ab 1. Januar 2002 können rumänische Staatsbürger ungehindert in den Westen Europas reisen, ausgenommen nach England und Irland, die nicht zu den Schengener Vertragsländern gehören, sowie nach Norwegen und Island, die der EU noch nicht beigetreten sind. Das haben die 15 EU-Innen- und Justizminister am 7. Dezember in Brüssel einstimmig bechlossen. Selbst die Österreicher, die bis zur letzten Minute gezögert haben, gaben ihr Votum für Rumänien.
Die Aufhebung der Visumspflicht wurde als Weihnachtsgeschenk von vielen Bukarester Regierungsmitgliedern und dem Präsidialamt begrüßt. Letzteres stellte jedoch klar, dass mit dem neu errungenen Recht auf Reisefreiheit auch Verpflichtungen verbunden seien. In Ploiesti feierten die Einwohner der Stadt das Ereignis mit Feuerwerk und Champagner auf den Straßen. In anderen Ortschaften richtete die Bevölkerung allerdings Augen und Ohren eher auf die elektronischen Medien, wo noch am Freitagabend auf allen Sendern rund um das Thema mit Verantwortlichen aus Ministerien, Parlament, Grenzpolizei u.a.m. "getalkt" wurde.
Rumänien hat per Regierungserlass Nr. 144 die Ausreisebedingungen für seine Staatsbürger ab dem 1. Dezember 2001 verschärft. Beim Verlassen des Landes müssen in die EU-Länder Reisende gegenüber den rumänischen Grenzbehörden 100 Euro in bar oder in Form von Schecks pro Aufenthaltstag nebst Kranken- und Fahrzeugversicherung oder Rückfahrkarten vorweisen, auf alle Fälle aber einen Mindestbetrag von 500 Euro. Der erforderliche Tagessatz für eine Reise in die ehemaligen Ostblockländer - inklusive die Türkei - beträgt 250 Euro.
Viele Ausreisebestimmungen waren bei Redaktionsschluss noch unklar. So behaupteten einige, dass nur Besitzer eines neuen Reisepasses visafrei reisen können. Das fälschungssicherere Reisedokument wird allerdings erst ab kommendem Jahr von den rumänischen Behörden in Umlauf gebracht.
Ungewiss ist auch, wie die Touristen Reiseziel und Aufenthaltsdauer an der Grenze nachweisen. Wer erklärtermaßen mit Frau und Kind beispielsweise für 30 Tage in die Bundesrepublik reisen will, der dürfte von daher mit 9 000 Euro auf Anhieb in der Tasche durch Europa kutschieren. Zum Glück jedoch bleiben die Einladungen von EU-Bürgern weiterhin gültig, worin sich diese verpflichten, für Unterkunft und Verpflegung ihrer rumänischen Gäste während des gesamten Aufenthalts zu sorgen. Anders gesagt: Auch die Angehörigen der deutschen Minderheit in Rumänien, die bislang davon ausgenommen waren, müssen voraussichtlich eine solche Einladung vorweisen - wenn sie nicht über das nötige Bargeld verfügen. Ebenso sind die Krankenversicherung, fallweise eine Pkw-Versicherung (grüne Karte) oder eine Hin- und Rückfahrkarte für Bus, Bahn oder Flugzeug beim Grenzübergang vorzulegen. Bloß Geschäftsreisende oder Teilnehmer an Symposien, Kulturveranstaltungen und dergleichen mehr werden von den Vorschriften ausgenommen.
Die verschärften Ausreisemaßnahmen haben Anfang Dezember dazu geführt, dass der Grenzverkehr zu Ungarn gleich um 40 Prozent gesunken ist. Nach Neujahr rechnet man jedoch mit einem "Run" auf Rumäniens Westgrenzen, wie das letztes Frühjahr der Fall bei den Bulgaren war, als für sie die Visapflicht aufgehoben wurde. Danach jedoch, so die Meinung der Fachleute, werde sich der Touristenstrom auf ein normales Maß einpendeln. So oder anders aber mahnt die rumänische Regierung ihre Bürger, sich unter diesen neuen Umständen in Europa als Europäer zu benehmen, andernfalls könnten einzelne oder gar alle EU-Länder die Visumspflicht für Rumänen erneut einführen. So geschehen zwischen Belgien und der Slowakei. Sollte sich alles im erhofften Rahmen entwickeln, könnte das Bukarester Kabinett die im Regierungserlass Nr. 144 festgeschriebenen Maßnahmen lockern.

Martin Ohnweiler


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 20. Dezember 2001, Seite 2)

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