30. Dezember 2001

Zu Fuß über die Alpen

Es war eine anstrengende, aber trotz aller Strapazen auch angenehme Wandertour, die zwei Siebenbürger Sachsen im Sommer 2001 hinter sich gebracht haben: Karl Martini (68 Jahre alt) aus Jakobsdorf im Harbachtal und Udo Brantsch (62) aus Schäßburg haben die Alpen in elf Tagen überquert, von Bayern nach Venetien.
Es waren gut anderthalb Wochen, in denen den beiden durchtrainierten Naturliebhabern, beide Mitglieder der Sektion Karpaten des Deutschen Alpenvereins, stets die Sonne zugelacht hat.
Starteten zu Fuß über die Alpen nach Venezien, von links: Udo Brantsch, Andreas Strozewski, Walter Stutzmüller und Karl Martini.
Starteten zu Fuß über die Alpen nach Venezien, von links: Udo Brantsch, Andreas Strozewski, Walter Stutzmüller und Karl Martini.

Martini, einst Sportlehrer und Handballtrainer in Hermannstadt, von 1972 bis 1990 Hochschullehrer an der Technischen Universität München und auch heute noch in den Niederungen des Handballs tätig, war Triebfeder des Unternehmens. Begonnen hat es mit einem Zettel, ausgehängt am schwarzen Brett der Sektion München des Alpenvereins und einer Anzeige in der Siebenbürgischen Zeitung, auf die hin sich Udo meldet. Neben Brantsch, von Beruf Förster, melden sich zwei weitere Wanderer: Walter Stutzmüller (58) und Andreas Strozewski (36).
Am 23. Juli startet das Quartett in der Jochenau. Die vier steigen ins Auto und fahren bis Hinterrip. Von hier aus geht es durchs Johannistal in den Kleinen Ahornboden am Hermann-von-Barth-Denkmal vorbei. Von Barth hat sich als Erforscher des Karwendels verdient gemacht. Die erste Etappe endet am Karwendelhaus. Der zweite Tag wird anstrengender. Vom 1 000 Meter hoch gelegenen Karwendelhaus geht es gute zwei Stunden hinauf, den letzten Teil durch Schnee, wie Martini vermerkt. Dann beginnt der Abstieg von 2 639 Metern vom Schlauckkassattel über Birkhar auf 1 242 Meter zur Kurtenalm. Dieser Abstieg geht in die Knie. Am selben Tag steht noch ein Anstieg auf 1 768 Meter zum Hallangerhaus bevor. „Wir gehen zur Isarquelle und schlafen billig in einem Lagerraum“, notiert Martini. Der dritte Tag lässt sich gemütlich an. Dann geht es steil hinab zum Issbach. Walter hat Schwierigkeiten. Auf dem Haller Rundweg geht es nach St. Martin im Gnadenwald und durchs Farbental nach Fritzens im Inntal. Damit ist der Karwendel überwunden. Es ist Walters letzte Etappe, er gibt auf. Martini „verliert“ seinen ersten Mitstreiter..
Von Fritzens geht es am vierten Tag weiter mit dem Taxi in Richtung Zillertaler Alpen. Das übriggebliebene Trio steigt hinauf zur Lizumer Hütte (2 019 Meter), weiter Richtung Pluderling-Sattel und Geierspitze (2 854 Meter). Auf dem Weg treffen die drei zwei österreichische Gebirgsjäger, die sie vor Schnee auf dem Pluderling warnen. Weil Udo in Halbschuhen wandert und Andreas Probleme hat, wählen die drei den Umweg übers Junusjoch (2 483 Meter). Es geht hinunter zum Stoakaser Haus, dann an Gamskar- (2 750 Meter) und Geschützspitze (2 714 Meter) vorbei durchs Weitental (2 010) zur Tuxer-Joch-Hütte (2 313 Meter). „Es ist eine schwere Etappe“, schreibt Martini, „jetzt müssen wir 1 000 Meter hinab ins Weitental und 350 Meter hinauf zum Tuxer Joch. Am nächsten Tag geht es am Hintertuxer Gletscher unter der gefrorenen Wand vorbei über die Friesenbergscharte (2 912) hinunter zum Friesenberghaus (2 477) und weiter zur Domenikus-Hütte am Schlegeisstausee. Mit dieser Etappe sind die Zillertaler Alpen überwunden.
Der sechste Tag führt über das Pfitschen-Joch (2 777), die Bichelalm (1 838), durch Gliderbachtal und über die Gliderscharte (2 634). Damit ist der Alpenhauptkamm überwunden. Weit geht der Blick nach Süden bis zu den Dolomiten. Die Marmolada ist deutlich zu sehen. Weiter geht es durch die Duner Klamm nach Daan und Pfunders. Dort endet dieser schwere Tag nach 18,5 Kilometern, 1 909 Metern Aufstieg und 1 509 Metern Abstieg. Dort angelangt, braut sich ein Gewitter zusammen. Und Martini notiert zufrieden: „Wir sind im Trockenen.“ Der siebte Tag beginnt mit einer zehn Kilometer langen Autoanfahrt bis Vintl. Durch den Rodenecker Wald geht es steil hinauf zur Rohner Hütte, dann hinunter nach Lüsen. Es ist ein heißer Tag. Am nächsten Morgen eröffnet Andreas seinen beiden Mitstreitern, dass er nicht mehr mitmacht.
Am achten Tag geht es in die Etappe der neun Jöcher und Scharten: Die Dolomiten beginnen. Über Würzjoch (2 002 Meter) geht es zum Kreuzkofel (2 340) zur Wasserscharte (2 642) und zur Ruascharte. Karl und Udo schlagen den Klettersteig zur Neves-Scharte ein und erreichen die Puez-Hütte (2 475). Am nächsten Morgen erleben die beiden einen großartigen Sonnenaufgang. „Der Langkofel glüht etwa fünf Minuten, dann ist alles vorbei.“ Über Ciampi-Joch (2 364), Grödner Höhenweg, durch die Setusschlucht und übers Grödner-Joch ersteigen sie den Sellastock. An der Pisciada-Hütte (2 587) geht es durchs gleichnamige Tal hinauf aufs Plateau (2 800). „Hier sieht es aus wie eine Mondlandschaft. Kein einziges Pflänzchen“, notiert Martini. Dann der letzte Anstieg zur Bamberger Hütte (2 873) und zum Piz Boe (3 152). Am zehnten Tag verspürt Udo Schmerzen im Knie. Doch es geht weiter zur Seilbahn auf dem Pordoi-Joch. Nach der Abfahrt setzten die beiden den Weg fort über Riff do Sass Becce (2 335), Rif Viel del Pan (2 436) zum Fedaja-Speicher. Ein Auto nimmt sie mit zum Rif unter der Marmolada. Mit dem Bus fahren sie bis Musere. Am elften Tag geht es mit der Seilbahn hinauf auf den Dolomitenhöhenweg 1. Damit beginnt der schönste Teil der Dolomiten. Karl und Udo genießen das großartige Panorama und den kilometerlangen überwältigenden Anblick der Civetta mit himmelhohen Wänden und Türmen. An der Vazzoler-Hütte vorbei gelangen sie auf dieser mit 21 Kilometern längsten Etappe zur Curestiato-Hütte.
Der zwölfte Tag ist angebrochen. Udo hat große Schmerzen, das Knie ist geschwollen. Der Hüttenwirt warnt: Eine große Gewitterfront zieht heran. Karl und Udo beschließen, nach Hause zu fahren. Sie handeln weise, denn die Gewitterfont überquert die Alpen. In Bayern angekommen, sehen sie die Folgen: Die Hagelkörner liegen zehn Zentimeter hoch, die Autobahn ist gesperrt. Auf Umwegen erreichen die beiden München um 23.30 Uhr. Udos Knie ist in ein paar Tagen wieder schmerzfrei.

Johann Steiner

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