13. Januar 2023
Stolzenburgerinnen deportiert
Dieses Foto erhielt ich Mitte Dezember 2022 von einer gebürtigen Stolzenburgerin, und es hat mich seither nicht mehr richtig losgelassen: Während ich das Knusperhäuschen für meine Enkeltöchter aufbaute, erschienen diese dreizehn lachenden Mädchen in festlicher Stolzenburger Sonntagstracht immer wieder vor meinem geistigen Auge. Lachend zwar, aber nicht unbeschwert, denn das Foto entstand an Ostern 1943. Väter, Brüder und Freunde waren – sofern nicht gefallen oder in Gefangenschaft – an der Front. Der Fotograf hat sein Handwerk offenbar verstanden, denn die Mädchen sind nach den Farben und Mustern ihrer ansprechenden Trachtenkleidung nahezu perfekt symmetrisch aufgestellt, so dass das Bild ein stimmiges, harmonisches Ganzes ergibt.

Bei all dem, was man über die Bedingungen in den berüchtigten Arbeitslagern weiß, mag man sich gar nicht vorstellen, wie es den elf Mädchen – und all den anderen Deportierten – ergangen sein muss. Ich hoffe im Nachhinein, dass sie sich gegenseitig Hilfe, Trost und Stütze sein konnten. Die hier namentlich Genannten sollen stellvertretend für fast 120 Stolzenburger Frauen und Mädchen stehen, die am 13. Januar 1945 über Großscheuern bei Hermannstadt in russische Arbeitslager deportiert wurden. 14 von ihnen verloren im Kampf gegen Hunger, Kälte und Krankheiten ihr Leben. Ihre Namen stehen alle in unserem Heimatbuch (s. u.) auf S. 160. Sie sollen nicht vergessen werden. Wir wollen ihnen ein ehrendes Andenken bewahren. Eine vergleichsweise kleinere Gruppe von männlichen Deportierten setzte sich aus jungen Burschen – einige waren gerade mal 16 – und älteren Männern zusammen. Auch ihrer sei hier gedacht. Ihr Schicksal und ihr Opfer werden unvergessen bleiben.
Selbst als Nachgeborene erschüttert und ängstigt mich der Gedanke an diese schreckliche Zeit, über die die Überlebenden in den meisten Fällen gar nicht sprechen konnten. Gleichzeitig gedenke ich auch der Familienangehörigen, die hilflos zusehen mussten, wie ihre Mütter, Schwestern, Töchter und Enkeltöchter mit ungewissem Ziel und noch ungewisserem Schicksal weggeführt wurden. Auch dieser tapferen Menschen, die, enteignet und aus ihren Häusern vertrieben, für die unmündigen Kinder und Waisen zu sorgen hatten, sei hier in Dankbarkeit und mit gebührender Wertschätzung gedacht.
Man kann die Namen der Stolzenburger Opfer von Krieg und Vertreibung in Michael Hihns Monographie „Die Gemeinde Stolzenburg in Siebenbürgen. Aus Urkunden, Chroniken und anderen Schriften“ nachlesen. Das Buch ist bei Michael Theuerkauf, Förderverein Stolzenburg e.V., Telefon: (05 61) 88 75 92, erhältlich. Für das Jahr 2023 wünsche ich allen Gesundheit, Gottes Segen und Frieden in der Welt.
Astrid K. Thal
Schlagwörter: Stolzenburg, Deportation, Zwangsarbeit, Sowjetunion, Tracht
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- 13.01.2023, 14:25 Uhr von Scheibi: Danke der Redaktion der SbZ, dass heute mit diesem Beitrag von Astrid K. Thal aus Stolzenburg, an ... [weiter]
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